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In der TikTok-Arena

Maximilian Krah (AfD) auf TikTok: Nicht allen gefällt das, aber viele schauen hin. Foto: JA

Kennen Sie den AfD-Politiker Ulrich Siegmund? Wenn Sie nicht in Sachsen-Anhalt leben und sich für die Landespolitik interessieren, wohl eher nicht. Ihre Kinder aber wahrscheinlich schon. Denn Ulrich Siegmund ist der erfolgreichste deutsche Politiker auf TikTok. Er hat dort fast 375.000 Follower. Siegmund sitzt nicht einmal im Bundestag – aber seine Inhalte erreichen mehr Menschen als beispielsweise die des »Stern« – ohne, dass die »Stern«-Leser-Generation etwas davon mitbekommt.

Unter den fünf erfolgreichsten Politiker-Kanälen auf TikTok sind vier von der AfD. Der fünfte, jener von Sahra Wagenknecht, erntet ebenfalls mit AfD-nahen Thesen Likes. Das liegt nicht unbedingt daran, dass die TikTok-Generation besonders rechts ist – vielmehr haben es rechte Politiker schon lange verstanden, die Plattform für sich zu nutzen, während Politiker anderer Parteien erst jetzt realisieren, was sie dort verpasst haben: Vergangene Woche sprach sich Olaf Scholz dafür aus, dass die Bundesregierung künftig auf TikTok präsent sein sollte. Man »diskutiere das«.

Lange hatten Datenschutzbedenken politische Institutionen davon abgehalten, auf der Plattform eines chinesischen Unternehmens aktiv zu werden. Die skeptische Distanz, aus der gerade ältere Politiker die App beäugten, auf der ihre Kinder lustige Tanzvideos nach oben wischen, hat wohl zusätzlich dafür gesorgt, dass sie diese politische Arena kaum wahrgenommen haben. Das aber, so zeigt eine Statistik, die ebenfalls kürzlich durch die Schlagzeilen ging, war ein schwerer Fehler: Die AfD erreicht auf TikTok mehr Zuschauer als alle anderen demokratischen Parteien zusammen.

Alternativ-Programm für die junge Generation

Mit Parolen, die im Bundestag empörte Zwischenrufe auslösen würden, senden ihre Politiker dort quasi unwidersprochen ein Alternativ-Programm für die junge Generation. Dank des TikTok-Algorithmus stolpern auch Zuschauer, die sonst kaum rechter Rhetorik begegnen, dort über solche Videos.

Der EU-Spitzenkandidat der AfD, Maximilian Krah, steht im weißen Hemd und mit gegeltem Seitenscheitel vor sonnigen Gräbern. »Unsere Vorfahren waren keine Verbrecher. Wir haben allen Grund, stolz auf unser Land zu sein«, sagt er in die Kamera. Krah fordert seine jungen Zuschauer auf, herauszufinden, was Opa und Oma früher gemacht haben, »was sie gekämpft und gelitten haben«.

Anders als in der analogen Welt, wo es durchaus etwas bringt, wenn jemand am Kneipen- oder Familientisch dem braunen Onkel widerspricht, bringt Gegenrede auf TikTok wenig – oder fördert gar die Reichweite: Wenn sich jemand kopfschüttelnd den Clip zwei-, dreimal anschaut und dann einen negativen Kommentar verfasst, hält der TikTok-Algorithmus das Video für relevanter – und zeigt es mehr Menschen an.

Auch bei Maximillian Krah ist das so. Die Mehrheit der Kommentare unter dem Friedhof-Clip sind kritisch: »Mein Opa hat in der SS an der Ostfront für den Holocaust und die Kolonialisierung Afrikas Menschen erschossen. Verbrecher passt da eigentlich gut.« Trotzdem haben das Video 226.000 Nutzer gesehen. Und 18.000 davon haben auf das Herz geklickt, also gezeigt, dass es ihnen gefällt. Wenn nur ein Prozent davon die AfD wählt, hat Krah mit seinem Einminüter viel erreicht.

Die AfD hat mehr Views als alle anderen Parteien zusammen.

Bereits bei den vergangenen Landtagswahlen scheint das funktioniert zu haben: In Hessen und Bayern war die AfD besonders beliebt bei den unter 30-Jährigen. In dieser Altersgruppe ist ein Drittel täglich auf TikTok unterwegs. Die unter 20-Jährigen sogar ganze eineinhalb Stunden lang. »Man hat 90 Minuten am Tag ein Fenster in deren Gehirn, wo man reinsenden kann«, sagte Erik Ahrens vergangenes Jahr auf einem Vortrag des rechtsextremen Ins­tituts für Staatspolitik.

Erik Ahrens ist, so schreibt das Institut selbst, »der Kopf hinter Maximilian Krahs TikTok-Offensive«. Gut möglich, dass er die Kamera hielt, als Krah auf dem sonnigen Friedhof sein Hemd richtete, um seinen jungen Zuschauern von einer stolzen deutschen Geschichte zu erzählen, in der die Verbrechen der Nazis nicht einmal mehr ein »Vogelschiss« (so der Ex-AfD-Vorsitzende Alexander Gauland 2018) sind – sondern schlicht ausgelassen werden.

Erik Ahrens arbeitet nebenbei auch an »Fragen der Biopolitik und Genetik«, wie er selbst schreibt. Recherchen mehrerer Journalisten legen nahe, dass es dabei wohl eher um Ideologien von angeblichen Rassen und Eugenik geht. Das Netzwerk soll seinen Sitz in der Villa Adlon in Potsdam haben. Ebenjene Villa, in der im November Pläne zur »Remigration« von Millionen Menschen geschmiedet wurden. Ulrich Siegmund stand bei jenem Treffen übrigens auch auf der Gästeliste. Und von der Hausherrin gibt es Partyfotos mit Maximillian Krah. Die TikTok-Stars der AfD sind in der rechtsextremen Szene gut vernetzt. Und hinter den knappen Thesen in ihren Videos stecken Theorien, die kaum noch von jenen der Nationalsozialisten unterscheidbar sind.

Wird ein Kanal wegen rechtsextremer Inhalte gelöscht, ist schnell ein neuer aufgebaut

Anders als bei anderen Plattformen können bei TikTok selbst kleine Kanäle schnell viele Zuschauer erreichen. Das heißt auch: Wird einer wegen rechtsextremer Inhalte gelöscht, ist schnell ein neuer Kanal aufgebaut. Es ist das ideale Klima für Extremisten aller Art. Und damit auch ein Nährboden für Judenhass.

»Der größte Raum für Antisemitismus im Netz ist TikTok«, sagte Zentralratspräsident Josef Schuster vergangene Woche. Auch der Zentralrat der Juden hat mit der Kampagne #StopRepeatingStories begonnen, mit eigenen Inhalten den Rechtsex­tremen auf der Plattform entgegenzutreten.

Anfang Februar hatte die Bildungsstätte Anne Frank einen Report veröffentlicht. Ihre Mitarbeiter haben sich seit dem 7. Oktober antisemitische Inhalte auf der Plattform genauer angesehen. Fazit: »Während Rechtsradikale das Medium souverän, entschlossen, und mit hegemonialem Anspruch bespielen, führen die Verteidiger*innen der Demokratie nicht einmal ein solides Rückzugsgefecht.« Das also ist der Punktestand in der politischen Arena von TikTok. Nicht nur für Olaf Scholz ist es an der Zeit, sich eine Spieltaktik zu überlegen.

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