Eine breite Koalition gegen Antisemitismus: Zur Kundgebung des Zentralrats der Juden in Deutschland »Steh auf! Nie wieder Judenhass!« versammelte sich am Sonntag fast die gesamte politische Elite des Landes am Brandenburger Tor in Berlin. Auch Bundespräsident Joachim Gauck nahm teil. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte in ihrer Rede, die Sicherheitsbehörden nähmen jeden Übergriff auf Juden sehr ernst: »Wir wollen, dass sich Juden in Deutschland sicher fühlen. Sie sollen spüren, dass dieses Land unser gemeinsames Zuhause ist, unsere gemeinsame Heimat.«
Die anderthalbstündige Kundgebung, zu der etwa 8000 Menschen aus ganz Deutschland anreisten, wurde von Zentralratspräsident Dieter Graumann eröffnet, der ein konsequentes Vorgehen gegen antisemitische Parolen wie »Juden ins Gas« bei jüngsten Demonstrationen forderte. »Genug ist genug! Das wollen wir uns einfach nicht mehr gefallen lassen«, sagte Graumann.
Erfolg Ronald S. Lauder, Präsident des World Jewish Congress, verwies in seiner Rede auf den Erfolg der deutsch-jüdischen Beziehungen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Deutschland gehöre nicht zu den Ländern, in denen Juden einen Anstieg des Antisemitismus erwartet hätten: »Seit 1945 ist Deutschland eines der verantwortungsvollsten Länder der Welt.
Es gibt Länder, in denen sich Juden nicht öffentlich als Juden zu erkennen geben können, aber nicht in Deutschland. Es gibt Länder, deren Regierungen den Judenhass schüren, aber nicht Deutschland.« Diese 70 Jahre alte Erfolgsgeschichte werde nun durch »mittelalterlich anmutenden Judenhass« infrage gestellt. Doch die Tatsache, dass die Spitzen von Staat und Gesellschaft hier zusammenkamen, zeige der Welt, dass diese Art von Intoleranz in Deutschland nicht akzeptiert werde, erklärte Lauder.
Nikolaus Schneider, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD), betonte, aus christlicher Sicht sei Antisemitismus »Gotteslästerung«. Wer in Deutschland eine Synagoge anzünde, »der kritisiert dadurch nicht die Politik der israelischen Regierung. Vielmehr liefert der Gaza-Krieg offenbar einigen einen willkommenen Anlass, ihren Antisemitismus öffentlich auszuleben«.
Die israelische Regierungspolitik dürfe selbstverständlich kritisiert werden, betonte Schneider. Er selbst habe immer wieder betont, dass er Israels Siedlungspolitik für rechtswidrig und falsch halte. Doch »der Dämonisierung und der Delegitimierung des jüdischen Staates müssen wir entschieden entgegenwirken«, so der EKD-Ratsvorsitzende.
Schulhöfe Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, versicherte: »Sie sind nicht alleine, wir stehen an Ihrer Seite.« Er sei zutiefst verstört über die jüngsten antisemitischen Parolen und darüber, dass das Wort »Jude« auf deutschen Schulhöfen zum Schimpfwort geworden ist. »So etwas darf es in Deutschland nicht geben. Wir wollen gemeinsam dafür sorgen, dass das verschwindet«, betonte der Erzbischof von München. Bei WJC-Präsident Ronald S. Lauder bedankte sich Marx für dessen Solidarität mit verfolgten Christen im Nahen Osten.
Auch der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit (SPD), rief gegen jede Form von Hass auf. Mitglieder »aus Familien mit Migrationshintergrund« ließen sich leider zu Extremen hinreißen. »Darauf müssen wir mehr achten«, so Wowereit. In seiner Rede verwies er auf die Symbolkraft des Brandenburger Tors, das seit 1989 ein Zeichen geworden sei »für die Sinnlosigkeit und Unmenschlichkeit von Mauern«. Mit Mut und Zivilcourage könne man auch Mauern in den Köpfen überwinden, so der Regierende von Berlin. In seiner Rede erneuerte Wowereit die Forderung nach einem Verbot der rechtsextremen NPD.
Zu der Kundgebung waren auch Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD), der frühere Bundespräsident Christian Wulff, mehrere Bundesminister, die Fraktionschefs aller Parteien im Bundestag, der DGB-Vorsitzende Rainer Hoffmann, der DFB-Präsident Wolfgang Niersbach, die Verlegerin Friede Springer und der Vorsitzende des Zentralrats des Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, gekommen.
Auch Vertreter der Alternative für Deutschland (AfD) ließen sich sehen. Moderiert wurde die Veranstaltung von dem Journalisten Cherno Jobatey. Die unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen abgehaltene Demonstration verlief friedlich. Nur einzelne Störrufe von Gegendemonstranten, die sich unter die Menge gemischt hatten, waren zu hören.