Gesprengte Häuser, verkohlte Hauswände, ausgebombte Räume, Brandgeruch – vieles mögen Frank-Walter Steinmeier und seine aus Deutschland angereiste Delegation über den Überfall der Hamas-Terroristen auf Israel zu Hause auf Fotos und in Filmen gesehen oder in Berichten gelesen haben. Es ist nichts gegen die harte Wirklichkeit, die sie am Montag im Kibbuz Be’eri mit eigenen Augen erleben.
»Wir haben eine Vorstellung davon gehabt, mit welcher Brutalität die Hamas hier vorgegangen ist. Aber, hier an diesem Ort zu sein, ist etwas vollständig anderes«, sagt ein sichtlich angefasster Bundespräsident nach einem Gang durch den Kibbuz.
Was die deutsche Delegation sieht, ist die eine Sache, was sie über die dramatischen Ereignisse zu hören bekommt, ist die andere. Armeesprecherin Maya Bentwich führt die Journalisten, die Steinmeier begleiten, durch den Kibbuz und schildert die Hölle, die am Morgen des 7. Oktober losbrach.
Friedensaktivistin verbrannt
Sie zeigt ihnen unter anderem das Haus von Vivian Silver, in dessen Inneren sich Schutt und Asche türmen, dazwischen liegt eine verkohlte Mikrowelle. Die 74-Jährige, eine Jüdin aus Kanada, sei Friedensaktivistin gewesen. »Sie glaubte an den Frieden mit den Palästinensern.« Die Terroristen verbrannten sie in ihrem Haus, man fand nur noch ihre Zähne in der Asche. »Wir brauchten über einen Monat, um die Leiche zu identifizieren.«
Steinmeier lässt später durchblicken, was ihm berichtet wurde. Er spricht davon, dass Frauen vergewaltigt, Menschen in den Schutzräumen verbrannt, Kinder enthauptet und andere Opfer entführt worden seien. »Ich muss Ihnen gestehen, bei all dem, was wir eben gehört haben, versagt auch mir die Sprache, um Ihnen zu sagen, was im Detail an diesem Ort geschehen ist.«
Der auch von deutschen Juden mitgegründete Kibbuz Be’eri liegt nur drei, vier Kilometer vom Gazastreifen entfernt. Die Hamas-Terroristen zerstörten ihn fast vollständig. Mehr als 130 der etwa 1300 Bewohner wurden ermordet, mehr als 50 verschleppt. Unter ihnen waren auch Menschen, die neben der israelischen Staatsbürgerschaft zusätzlich die deutsche hatten. Unwirklich schauen heute inmitten der Verwüstung die an angekohlten Bäumen hängenden Zitronen oder die vor manchen Häusern orange blühenden Paradiesvogelblumen aus.
Millionen für Wiederaufbau
Die Islamisten aus dem Gazastreifen drangen am 7. Oktober nach Israel ein und töteten insgesamt mehr als 1200 Menschen. Etwa 240 Geiseln wurden verschleppt. Israel reagierte mit massiven Luftangriffen, einer Blockade des Gazastreifens und begann Ende Oktober eine Bodenoffensive.
»Der Kibbuz steht für die Geschichte Israels, so wie kaum etwas anderes«, sagt Steinmeier. »Er gehört zur Seele Israels. Und hier zu sein, bedeutet eben auch, Zeuge davon zu sein, wie sehr die Seele Israels getroffen und zerstört worden ist.«
Deutschland will dazu beitragen, diese zerstörte Seele wieder zu heilen. Steinmeier kündigte an, dass der Bundestag auf seine Initiative hin für 2024 einen Betrag von sieben Millionen Euro für den Wiederaufbau bereitstellen werde. Damit solle der Wiederaufbau eines Kulturzentrums und eines Begegnungszentrums für Senioren finanziert werden.
Schirmherrschaft mit Herzog
Man wolle damit »eine Zukunftsperspektive für die Rückkehr aller Menschen nach Be’eri setzen«, sagt Steinmeier. Er übernimmt zusammen mit Israels Präsident Isaac Herzog die Schirmherrschaft für das Vorhaben.
Für Herzog, der Steinmeier an diesem Tag begleitet, steht fest: »Wir kommen zurück. Wir bauen diese Orte wieder auf. Sie werden blühen und eine Botschaft der Hoffnung und des Friedens in die ganze Welt senden.«
Eine, die sich eine Zukunftsperspektive in Be’eri wünscht, ist Ziva Jelin. Sie hat das Massaker vom 7. Oktober im Schutzraum ihres Hauses überlebt. »Wir hatten viel Glück«, berichtet die 61-jährige Künstlerin. Als die Terroristen in den Kibbuz eingedrungen seien, seien sie nach links gegangen, sie aber habe auf der rechten Seite gewohnt. Nach dem Überfall wurde sie zusammen mit den anderen Überlebenden in einem Ort am Toten Meer untergebracht.
Doch Jelin ist in Be’eri zur Welt gekommen, hat hier ihr ganzes Leben verbracht. Will sie irgendwann wieder zurück? »Ja. Ich habe kein anderes Zuhause.« Dass der Bundespräsident an diesem Tag den verwüsteten Kibbuz besucht, freut sie. »Es ist sehr wichtig, dass viele Menschen kommen, um zu sehen, was uns die Hamas angetan hat«, sagt Jelin mit leiser Stimme. »Sie sind Mörder.«