Zweiter Weltkrieg

In der Falle

Vor 75 Jahren: Deutschland überfällt Polen, der Vernichtungsfeldzug gegen die Juden beginnt. Foto: ullstein

Als der Krieg begann, lebten nur noch halb so viele Juden in Deutschland wie 1933, und das, obwohl das Reich nun ein »Großdeutsches« war und das angeschlossene Österreich, das Saarland und das Sudetenland umfasste. Die meisten der etwas über eine halbe Million Juden waren ab 1933 aus dem Reich geflüchtet, oftmals im letzten Moment vor dem Kriegsausbruch.

Andere wurden abgeschoben, so die 17.000 polnischen Staatsbürger, die im Oktober 1938 zwangsweise an der polnischen Grenze ausgesetzt wurden. Zudem gab es auch einen natürlichen Bevölkerungsrückgang durch hohe Sterberaten, da vor allem die Jüngeren emigriert waren. Bis zum Eintritt der Vereinigten Staaten in den Krieg im Dezember 1941 gelang es noch einmal knapp 15.000 Juden, auf teilweise abenteuerlichem Wege Deutschland zu verlassen.

angst
Als der Krieg begann, reagierten die deutschen Juden mit Gefühlen der Angst wie auch der Hoffnung. Angst, da sie erlebt hatten, wie sich seit Anfang 1938 ihre Lage dramatisch verschlechtert hatte und sie mit dem Kriegsbeginn die Möglichkeit der Auswanderung schwinden sahen. Hoffnung, weil sie ersehnten, dass ein Sieg der Alliierten ein Ende der Nazi-Schreckensherrschaft von außen herbeiführen würde, das von innen unmöglich geworden war. Sie konnten nicht ahnen, dass es bis zur Niederschlagung des Dritten Reichs fast sechs Jahre dauern und dass diese Stunde kaum jemand von ihnen erleben sollte.

Als der Krieg begann, saßen die Juden im angrenzenden Europa in der Falle. Die über drei Millionen Juden in Polen hatten nicht sechs Jahre lang Zeit gehabt, um ihre Auswanderung zu planen. Im westlichen Polen wurden sie innerhalb weniger Stunden und Tage von der deutschen Besatzung überrascht und hatten so gut wie keine Chance zum Entrinnen. Ghettoisierung, Zwangsarbeit, Geiselnahmen, willkürliche Erschießungen und bald auch schon Massenmord prägten von nun an ihr Schicksal.

Die Juden im östlichen Polen kamen unter stalinistische Herrschaft und konnten sich »glücklich« schätzen, wenn sie freiwillig oder unter Zwang innerhalb der nächsten beiden Jahre nach Sibirien oder in die asiatischen Teile der Sowjetunion kamen. Viele deutsche Juden, die vor 1939 in die Tschechoslowakei, nach Frankreich, Holland oder Belgien geflüchtet waren, sahen sich – gemeinsam mit den einheimischen Juden – wiederum den Nazis ans Messer geliefert. Für sie war der 1. September 1939 ein besonders schwarzer Tag.

verbrechen Niemand konnte im September 1939 das Ausmaß der in den kommenden Jahren folgenden Verbrechen absehen. Doch hatte sich in Deutschland bereits seit 1938 eine Radikalisierung der NS-Politik angebahnt. Juden erhielten die Zwangsnamen Israel beziehungsweise Sara und ein »J« in ihren Reisepass gestempelt, sie verloren zumeist auch noch die letzte Möglichkeit für ihre berufliche Existenz, sie sahen ihre Synagogen in Flammen, ihre Fensterscheiben zertrümmert, die meisten Männer wurden in Konzentrationslager gesteckt und oftmals fürchterlich misshandelt. Doch bis zum Kriegsbeginn hatten viele von ihnen noch die Möglichkeit, aus Deutschland zu flüchten: zumeist in exotische Ziele nach Ostafrika, Südamerika und nach Shanghai.

Viele der Zurückgebliebenen hatten eine vage Ahnung, dass der Krieg eine beispiellose Katastrophe für die an Verfolgungen gewiss nicht arme jüdische Geschichte bringen würde. In Dresden schrieb der Jahrzehnte vorher zum Christentum konvertierte, aber von den Nazis weiter als Jude betrachtete Romanistikprofessor Victor Klemperer nach der Nachricht vom Kriegsausbruch in sein Tagebuch, er habe seiner Frau gesagt, »dann sei für uns eine Morphiumspritze oder etwas Entsprechendes das Beste. Das Leben sei zu Ende.«

morden In Warschau notierte Chaim Kaplan, der Direktor einer hebräischen Schule: »Wohin immer Hitler auch kommt, dort gibt es keine Hoffnung für die Juden.« In New York druckte die Exilzeitung »Aufbau« im September 1939 folgende Zeilen: »Des ganzen Judentums Schicksal steht auf dem Spiel ... Dieser Krieg wird das scheußlichste und umfassendste Morden werden, das die Welt je gesehen hat ... In diesem Krieg entscheidet sich noch viel gründlicher als das Schicksal anderer Völker das Schicksal des jüdischen.« Wie recht sollten diese Worte behalten!

Zwar ist der 1. September 1939 nicht der Tag, an dem die Synagogen brannten, und nicht der Tag, an dem die »Endlösung« beschlossen wurde, aber es ist der Tag, an dem das Schicksal der europäischen Juden für die nächsten Jahre besiegelt wurde. Unter dem Deckmantel des Krieges waren nun Verbrechen möglich, die in Friedenszeiten so nicht hätten begangen werden können. Der Zweite Weltkrieg war ein Krieg, der zahlreiche Opfer auf vielen Seiten forderte. Vor allem aber war er ein Krieg gegen die Juden.

Der Autor ist Professor für jüdische Geschichte und Kultur in München sowie Direktor des Zentrums für Israel-Studien der American University in Washington/USA.

Thüringen

Jüdische Landesgemeinde und Erfurt feiern Chanukka

Die Zeremonie markiert den Auftakt der inzwischen 17. öffentlichen Chanukka-Begehung in der Thüringer Landeshauptstadt

 08.12.2025

Frankfurt am Main

Lufthansa Cargo stoppt Militärtransporte nach Israel

Während die politischen Beziehungen zwischen Berlin und Jerusalem eine Annäherung erleben, ist dies im Luftfahrt-Bereich nicht der Fall. Warum?

 08.12.2025

Berlin

Presseschau zum Israel-Besuch von Kanzler Friedrich Merz

Wie bewerten deutsche Leit- und Regionalmedien Merz‘ Antrittsbesuch bei Ministerpräsident Benjamin Netanjahu?

 08.12.2025

Toronto

Miriam Mattova aus Uber geworfen, weil sie Jüdin ist

»Was passiert ist, ist nicht nur ein unangenehmer Moment. Es ist eine Erinnerung daran, warum es wichtig ist, sich zu äußern«, sagt das Model

 08.12.2025

Gaza

Wie die Hamas Hilfsorganisationen gefügig machte

Einer Auswertung von »NGO Monitor« zufolge konnten ausländische Organisationen in Gaza nur Hilsprojekte durchführen, wenn sie sich der Kontrolle durch die Hamas unterwarfen

von Michael Thaidigsmann  08.12.2025

Jerusalem

Ein neuer Sound?

Unterwegs mit Bundeskanzler Friedrich Merz bei seinem Amtsantritt in Israel

von Philipp Peyman Engel  07.12.2025

Jerusalem

Netanjahu: »Stellen Sie sich vor, jemand würde Deutschland vernichten wollen«

Bei der gemeinsamen Pressekonferenz lobte der Premierminister Bundeskanzler Merz als verständigen Gesprächspartner und rechtfertigte Israels hartes Vorgehen gegen die Hamas

 08.12.2025 Aktualisiert

Israel

Berichte: Netanjahu traf Blair heimlich zu Gaza-Zukunft

Bei einem Treffen zwischen Netanjahu und Blair soll es um Pläne für die Zukunft des Gazastreifens gegangen sein. Für Blair ist eine Rolle in Trumps »Friedensrat« vorgesehen

 07.12.2025

Justiz

Gericht bestätigt Verbot der Parole »From the river to the sea«

Ein von der Stadt Bremen erlassenes Verbot sei rechtmäßig, entschied nun das Verwaltungsgericht Bremen

 07.12.2025