Frau Just, Herr Hoch, »Scheiß Juden«, »Drecksjuden«, »der Schwarze muss vom Platz« sind Sprüche, die bei Fußballspielen von Amateurvereinen in Nordrhein-Westfalen gefallen sind. Sie beide haben antisemitische und rassistische Vorfälle für den Westdeutschen Rundfunk recherchiert. Sind Juden- und Fremdenfeindlichkeit Alltag auf dem Sportplatz?
Victoria Just: Ja. Der Amateursport im Fußball hat ein massives Problem mit Antisemitismus und Rassismus. Das gilt für jedes Wochenende, an dem Fußballer und Fußballerinnen in den Landes- und Kreisligen auflaufen …
Christian Hoch: … und wird von Betroffenen oft als Alltäglichkeit hingenommen. Abgesehen von der gesamtgesellschaftlichen Problematik ist im nordrhein-westfälischen Amateurfußball nach unseren Recherchen ein Nährboden da.
Victoria Just: Um einige Beispiele zu nennen: Der ehemalige Borussia-Dortmund-Spieler Kosi Saka, heute bei den Sportfreunden Baumberg in der Oberliga Niederrhein, wurde von einem Linienrichter als »der Schwarze« beleidigt. Bei Spielen des MSV Düsseldorf fallen Worte wie »Geh mal deine Hautfarbe abwaschen«, »Dreckspack, lernt erst mal richtig Deutsch«.
Christian Hoch: Makkabi-Fußballer in Köln müssen sich regelmäßig Kommentare wie »Ihr Scheißjuden« oder »Ihr Drecksjuden« anhören.
Können Sie das mit Zahlen belegen?
Christian Hoch: In den vergangenen drei Jahren haben in NRW etwa 800.000 Spiele stattgefunden, und rund 2000 Fälle von Diskriminierung wurden offiziell den Verbänden gemeldet. Bis vor einem Jahr wurden solche Zahlen noch nicht einmal erhoben. Mit diesen Daten haben wir die Vereine in NRW konfrontiert. Die Verantwortlichen dort haben gesagt, nur ein verschwindend geringer Teil der Vorkommnisse werde wirklich gemeldet. Antisemitische und rassistische Beschimpfungen und Beleidigungen kämen in der Realität viel häufiger vor. Die Dunkelziffer ist, abhängig von den unterschiedlichen Spielklassen, extrem hoch.
Wie erklären Sie sich diese Differenz?
Victoria Just: Das Meldesystem ist eine Hürde. Es gibt zwar einen Spielberichtsbogen, auf dem der Schiedsrichter unter »Sonstiges« Vorfälle melden müsste. Das passiert aber oft nicht. Auf der Ebene der Kontrollinstanzen wird wiederum davon ausgegangen, dass der Schiedsrichter diese auch notiert hat. Die Grundstruktur eines Monitorings fehlt. Immer wieder wurde uns berichtet, dass antisemitische und rassistische Vorfälle nicht im Spielbericht registriert wurden.
Sind den Sportverbänden diese Probleme bewusst?
Victoria Just: Vielen ist nicht bewusst, wo Rassismus und Antisemitismus beginnen, auch vielen Betroffenen nicht. Die Sensibilisierung für Antisemitismus und Rassismus durch die Kreis- und Landesligaverbände findet einfach nicht statt.
Christian Hoch: Bei den NRW-Verbänden gibt es kein Problembewusstsein. Das muss so in aller Deutlichkeit gesagt werden. Es werden noch nicht einmal die unterschiedlichen Fälle differenziert. 2000 »diskriminierende Vorfälle« wurden registriert, aber als wir konkret nach rassistischen oder antisemitischen Vorkommnissen gefragt haben, konnte uns niemand eine Antwort geben.
Aber Offizielle in den Verbänden sagen, sie seien aktiv?
Victoria Just: Es gibt zwar ein offizielles Prozedere, wie sich in gemeldeten Fällen der Verband zu verhalten hat. Aber auch daran wird sich in der Realität nicht gehalten. Das Mindeststrafmaß von fünf Wochen Spielsperre und 500 Euro Geldstrafe wird so gut wie nie angewendet, weil situations- und spielbedingte Gegebenheiten als »strafmildernd« angeführt werden. Es gibt ein Strafmaß, das nicht angewandt wird. Das Signal ist deutlich: Es wird geduldet.
Christian Hoch: Uns wurde immer wieder versichert, dass die Verbände schon viel getan hätten. Aber als wir konkret nachgefragt haben, warum in vielen Fällen noch nicht einmal das vorgesehene Mindeststrafmaß angewandt wurde, sondern die Strafen erheblich reduziert wurden, und den Vorwurf erhoben haben, dies sei doch das falsche Signal, wollte man mit uns nicht mehr sprechen. Die Begründung: Wir würden unsauber recherchieren.
Auf dem Platz geht es aber auch oft rau zu?
Victoria Just: Die Sprache ist in der Hitze des Spiels durchgängig schon derber. Aber das Problem ist, alles läuft ruhig und gesittet ab, aber im nächsten Moment wird die Nummer 6 nach einem Foul plötzlich zu einer oder einem »Schwarzen«.
Christian Hoch: Ich habe selbst auf Amateurebene Fußball gespielt. Das Phänomen des Antisemitismus und Rassismus zieht sich durch alle Vereine und Ligen.
Inzwischen haben sich einige Erst- und Zweitligavereine in NRW gegen Antisemitismus positioniert. Bis in die Landes- und Kreisliga hat sich das nicht durchgesetzt?
Victoria Just: Die Kampagnen bei den großen Vereinen und dem DFB gibt es ja schon ein paar Jahre, aber das scheint in Kreis- und Landesliga noch nicht angekommen zu sein. Dort hat sich nicht groß etwas geändert, wie uns die Betroffenen berichtet haben.
Christian Hoch: Dass die Vereine und Verbände sich des Themas annehmen, ist ein positives Signal. Ein erster Schritt, mehr nicht. Das Problembewusstsein ist nach wie vor zu gering bei den Verbänden.
Aber es wurde doch vom Westdeutschen Fußballverband eine zentrale Anlaufstelle für Gewaltvorfälle eingerichtet?
Christian Hoch: Aber die ist selbst bei den Betroffenen oft nicht bekannt.
Victoria Just: Wenn in der Champions League jemand rassistisch beschimpft wird, schauen da alle für einen Moment hin, aber es kommt darauf an, dass auch in den unteren Ligen Konsequenzen gezogen werden.
Mit den WDR-Journalisten sprach Hans-Ulrich Dillmann.