Nach der Entscheidung Israels zu Auffrischimpfungen gegen Corona für ältere Menschen sieht die Ständige Impfkommission (Stiko) noch nicht die nötigen Daten für eine solche Empfehlung in Deutschland. Es sei aber eines der Themen, mit denen sich das Gremium weiter intensiv beschäftige, sagte Stiko-Chef Thomas Mertens am Freitag der Deutschen Presse-Agentur.
Den unabhängigen Experten gehe es bei den Daten um zwei Aspekte: ob die messbare Immunantwort im Labor nachlasse und ob trotz Impfung vermehrt Infektionen mit Erkrankung aufträten, erklärte Mertens. Laboruntersuchungen zu Antikörperspiegeln gebe es bereits, diese erlaubten aber nicht die direkte Schlussfolgerung, dass auch die Schutzwirkung beim Menschen nachlässt. Es gehe auch noch um die Frage, welche Gruppen eine Auffrischung bekommen könnten: ob zum Beispiel Immunsupprimierte, Alte oder alle.
Der Impfexperte Leif Sander von der Charité in Berlin erklärte auf dpa-Anfrage, er rechne damit, dass es zu einer Empfehlung zu Auffrischungen kommen werde. Er halte es für sinnvoll, dies Hochbetagten sowie Menschen mit besonderem Risiko »schon bald breitflächig« zu empfehlen und anzubieten. Er hatte bereits vor mehreren Wochen gesagt, dass die nächste Phase beim Impfen angedacht werden müsse, auch in Anbetracht der zu erwartenden nachlassenden Immunantwort bei älteren Menschen.
Für Deutschland hält Sander Auffrischungsimpfungen zunächst vor allem bei den über 80-Jährigen für nötig: Diese seien besonders vulnerabel und schon zu Jahresbeginn geimpft worden. Das heiße, dass ein nachlassender Immunschutz sowie die Verbreitung der Delta-Variante bei einem Teil der Menschen zu erneuten Infektionen und eventuell zu Erkrankungen führen könnten. »Immunsupprimierte Personen könnten ebenfalls eine Auffrischungsimpfung erhalten«, teilte Sander mit.
Aus Sicht des Charité-Wissenschaftlers ist es nicht nötig, Impfstoffe zu verwenden, die speziell an die neuen, als besorgniserregend eingestuften Varianten angepasst wurden: »Auch die bereits verfügbaren Impfstoffe bieten einen sehr guten Schutz und heben die Immunantwort nach einer Auffrischungsimpfung wahrscheinlich deutlich an.«
Die Impfstoffhersteller Pfizer und Biontech hatten schon anfang Juli mitgeteilt, dass sie von einem Rückgang der Schutzwirkung ihres Corona-Vakzins ein halbes Jahr nach der zweiten Impfung ausgehen. Grundlage seien unter anderem vom israelischen Gesundheitsministerium aus der praktischen Anwendung erhobene Daten. Daher sei es wahrscheinlich, »dass eine dritte Dosis innerhalb von sechs bis zwölf Monaten nach der vollständigen Impfung erforderlich sein wird«.
Zusätzlich arbeiten Biontech und Pfizer an einer Version des Impfstoffs, die an die Delta-Variante angepasst ist. Dabei werde das vollständige Spike-Protein dieser Virusvariante verwendet. Die erste Charge des neuen Botenmoleküls mRNA - des eigentlichen Wirkstoffs in dem Vakzin - sei bereits im Mainzer Biontech-Werk produziert worden, erklärten die Unternehmen bereits vor einiger Zeit. Eine Studie mit rund 800 Teilnehmern solle noch im August beginnen, teilte Biontech auf Nachfrage am Freitag mit.
Zum Vorgehen Israels sagte Virologe Mertens, dass nichts dagegen spreche, wenn ein Staat aus Fürsorgepflicht solche Impfangebote mache - auch ohne Evidenz. Aufgabe der Stiko seien jedoch Empfehlungen auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse. Insofern warte man eine Datengrundlage ab.
Israel hatte angesichts steigender Infektionszahlen als erstes Land mitgeteilt, 60-Jährigen und älteren Jahrgängen eine dritte Impfung gegen das Coronavirus zu geben. Dies gelte für Patienten, die vor mindestens fünf Monaten ihre zweite Impfdosis erhalten haben, hieß es. Präsident Izchak Herzog (60) hat am Freitag als erster seine Auffrischungsimpfung erhalten.
Ein Expertenteam hatte eine solche Impfung mit dem Biontech-Pfizer-Präparat empfohlen. Die allgemeine Impfkampagne in den Krankenkassen soll laut Ministerpräsident Naftali Bennett binnen weniger Tage beginnen. Nach Angaben des Regierungschefs haben in Israel bereits 2000 Menschen mit Immunschwäche eine solche dritte Dosis erhalten, ohne dass es schwere Nebenwirkungen gegeben hätte.
Hintergrund sind Zahlen des Ministeriums, wonach die Effektivität der in Israel verwendeten Biontech/Pfizer-Impfung seit Anfang Juni stark nachgelassen habe. Demnach verhindere die Impfung eine Infektion nur noch zu 39 Prozent und schwere Erkrankungen zu 91 Prozent. Gleichzeitig verbreite sich die ansteckendere Delta-Variante. Allerdings kritisieren auch Experten der Regierung, dass die Zahlen zur Effektivität nicht wissenschaftlich erhoben seien. dpa