Nicht sofort, aber doch wenige Tage, nachdem US-Präsident Donald Trump verkündet hatte, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen, kam es in vielen Teilen Europas zu Demonstrationen. Oft gewaltsam, oft eindeutig antisemitisch. Wir haben mit Hilfe unserer Korrespondenten Eindrücke gesammelt.
Nach einer Analyse der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) kam es bundesweit zu mindestens 21 Demonstrationen gegen die Jerusalem-Entscheidung Trumps. Bei zwölf dieser Versammlungen liegen »Belege für gewaltverherrlichende und antisemitische Bildsprache und Parolen« vor, wie RIAS gemeinsam mit dem Forschungsinstitut IIBSA ermittelte.
Neben heftigen Vorfällen in Berlin, wo Demonstranten vor dem Brandenburger Tor Israelflaggen verbrannten, wurde am 8. Dezember in Düsseldorf mit den Füßen auf einer Israelflagge herumgetrampelt und sie bespuckt. Ähnliches geschah am gleichen Tag in Mainz. Parolen wie »Kindermörder Israel« oder »Zionisten sind Faschisten« waren in mehreren Orten zu hören. Das gilt auch für Gewaltaufrufe zu einer neuen Intifada. In Trier war am 10. Dezember auf einem Plakat Israels Premier Benjamin Netanjahu zu sehen, wie er als Monster nach dem Felsendom greift.
niederlande Die Scherben im koscheren Restaurant HaCarmel in Amsterdam sind aufgeräumt, der Schaden behoben. Die Gäste strömten auffällig zahlreich zum Abendessen, nachdem letzten Donnerstag ein Mann mit Kufiya und Palästinaflagge unter »Allahu Akbar«-Rufen mit einem Knüppel die Fenster zerschlug und die Tür eintrat.
Jetzt ist bekannt, dass der Täter ein 29-jähriger Palästinenser ist, der seit Längerem in Amsterdam wohnt. Im Verhör sprach er von einer »Verzweiflungstat« wegen der »Situation in Palästina«. Seinem Anwalt sagte er, er sei kein Antisemit. Inzwischen ist der Mann wieder auf freiem Fuß. Weil die Justiz den Angriff auf das Restaurant nicht als terroristisch wertet, steht der Täter am 20. Dezember wegen »Verwüstung« vor Gericht. Derweil wird in der Stadt über die Sicherheit jüdischer Unternehmen diskutiert. Schockiert ist man in jüdischen Kreisen auch darüber, dass zwei Polizisten den Täter eine halbe Minute gewähren ließen, bevor sie ihn überwältigten.
schweden Gleich mehrere Zwischenfälle wurden aus Schweden gemeldet. Am Samstagabend wurden drei Verdächtige festgenommen, nachdem sie einen Brandanschlag auf die Göteborger Synagoge verübt hatten. Nach Angaben des schwedischen Fernsehens (SVT) berichteten Augenzeugen von etwa einem Dutzend maskierter Jugendlicher, die Molotowcocktails auf das Gelände geworfen haben sollen, während drinnen im Gemeindehaus eine Feier stattfand. Verletzt wurde niemand.
Bereits am Freitagabend hatten bei einer nicht genehmigten Demonstration im südschwedischen Malmö etwa 200 Teilnehmer antisemitische Slogans wie »Tod den Juden« skandiert. Und am darauffolgenden Montag wurden in der Nähe des jüdischen Friedhofs von Malmö Spuren einer brennbaren Flüssigkeit entdeckt. Es wird vermutet, dass Brandstifter am Werk waren. Bisher wurde jedoch niemand festgenommen.
»Ich wurde früher nie wegen meiner Religion attackiert«, sagte der Malmöer Gemeindevorsitzende Freddy Gellberg laut SVT. Das, was derzeit passiere, sei »eine andere Art Antisemitismus, bei der wir wegen der politischen Situation im Nahen Osten angegriffen werden«. Viele Einwanderer aus dem Nahen Osten, die in den vergangenen zehn bis 20 Jahren nach Schweden gekommen seien, würden »nicht unterscheiden zwischen Juden in Schweden – schwedischen Staatsbürgern – und Israels Politik«.
Nach den Vorfällen in Göteborg und Malmö forderte Aron Verständig, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Schweden, auf der Website der Jüdischen Gemeinde Stockholm auch deren Gemeindemitglieder zu besonderer Aufmerksamkeit auf. Er wies jedoch darauf hin, dass »bis auf Weiteres keine geplanten Aktivitäten eingestellt« werden. Doch auch in Stockholm schaue man »sehr besorgt« auf die Vorfälle in Göteborg und Malmö, schrieb der schwedische Zentralratschef.
Bei einem Treffen mit Schwedens Kultur- und Demokratieministerin Alice Bah Kuhnke werde man unverzüglich die Sicherheitsfrage für Juden in Schweden vor dem Hintergrund der Ereignisse des vergangenen Wochenendes diskutieren, kündigte er an. Willy Silberstein, Sprecher des Schwedischen Komitees gegen Antisemitismus, sagte der Jewish Telegraphic Agency (JTA): »Es gibt derzeit eine Welle von antisemitischen Attacken, und ich befürchte, das wird nicht der letzte Vorfall sein.«
Grossbritannien Bei Protesten in London, die vor der Botschaft der USA stattfanden, wurden offene Morddrohungen gegen Juden gerufen. Aufgerufen zu der großen Demonstration am Freitag hatten drei verschiedene propalästinensische Gruppen, darunter auch die britische Solidaritätsbewegung für Palästina, deren Schirmherr der Labour-Vorsitzende Jeremy Corbyn ist. Gekommen waren etwa 3000 Personen. Wie auch in Berlin war der Ruf, dass Juden sich an Khabars erinnern sollten, zu hören. Andere Protestierer forderten den Tod Israels und Amerikas.
In einer gemeinsamen Erklärung distanzierten sich die Organisatoren von Slogans, die Gewalt und Hass verbreiteten; die seien erst nach dem Ende der Demonstration zu hören gewesen. Friedlicher als in London ging es auf Demonstrationen in Manchester, Birmingham und Nottingham zu, alle drei sind britische Städte mit großem muslimischen Bevölkerungsanteil.
Frankreich Viele waren es nicht, die sich am vergangenen Samstag auf der Place de la République in Paris versammelt hatten. Laut Polizeibericht folgten 400 Demonstranten dem Aufruf der Gruppen »EuroPalestine« und »France Palestine Solidarité«, um für eine Absage des sonntäglichen Besuchs von Israels Ministerpräsident Netanjahu beim französischen Präsidenten Macron zu demonstrieren. Sie schwangen palästinensische Flaggen und skandierten Slogans wie »Wir sind alle Palästinenser« oder »Israël criminel«.
Auf einer Bühne wurde ein »Volksgericht Palästina« abgehalten: »Zeugen« klagten dort über Menschenrechtsverletzungen in den besetzten Gebieten, am Ende wurde Netanjahu in einer Spielszene zur umgehenden Beendigung der Besatzung »verurteilt«. In Lyon fanden sich zudem 300 Menschen zu einer Kundgebung ein, in Lille waren es kaum 100 Demonstranten.
Griechenland Vor dem Parlament in Athen, einem der zentralen Demonstrationsplätze der griechischen Hauptstadt, hatten sich am Freitag etwa 1000 in Griechenland lebende Palästinenser versammelt. »Stoppt die Zionisten« und »Jerusalem gehört uns« wurde skandiert. Mindestens eine israelische Flagge soll angezündet worden sein.
Österreich Demonstrationen gegen Israel, die Trumps Entscheidung zum Anlass nahmen, gab es auch in Wien. Dort, so berichten Augenzeugen, wurde »Tod Israel« und »Schlachtet die Juden!« gerufen, auf einem Schild waren ein Davidstern und ein Hakenkreuz grafisch vereint.
Der Vorsitzende der rechtspopulistischen FPÖ, die kurz vor ihrem Eintritt in die österreichische Regierung steht, Heinz-Christian Strache, erklärte, an den Demonstrationen hätten die Vorgängerregierungen Schuld, die »mit ihrer verantwortungslosen Migrationspolitik diesen arabischen Antisemitismus nach Österreich importiert« hätten.
Türkei Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hatte den Takt vorgegeben, wie Israel nach der Trump-Entscheidung zu charakterisieren sei: »Terrorstaat« und »Land der Kindermörder«. Trotz der rasselnden Anti-Israel-Rhetorik des Staatschefs ging die Polizei in Kadiköy, einem Bezirk im asiatischen Teil Istanbuls, gegen anti-israelische Demonstranten vor. Die kamen nämlich von Erdogans politischem Gegner, der Linken, und sie riefen Parolen wie »Gegen den Imperialismus, Zionismus und ihre Partner im Inland«. Nach Medienangaben wurde etwa ein Dutzend Demonstranten festgenommen.
Martin Krauß, Michael Magercord, Tobias Müller, Katharina
Schmidt-Hirschfelder, Daniel Zylbersztajn