Herr Rabbiner, die Infektionszahlen steigen rasant. Menschenansammlungen stellen dabei ein besonderes Risiko dar. Gilt das auch für Gottesdienste – und hat der Schutz der Gesundheit Vorrang vor dem gemeinsamem Gebet?
Natürlich gilt das auch für das gemeinsame Gebet, aus diesem Grund finden ja die Gottesdienste in den Berliner Gemeindesynagogen unter besonderen Bedingungen statt, die sich an den Verordnungen des Landes Berlin orientieren. Es ist keine Frage, dass Lebensrettung vor dem gemeinsamem Gebet steht. Selbst zweifelhafte Lebensgefahr ist hierfür ausreichend.
Aha-Regeln, Hygienekonzepte, Abstand in den Sitzreihen. Werden die Maßnahmen noch so eingehalten wie am Anfang?
Meine Erfahrung bezogen auf die Synagoge Pestalozzistraße ist, dass wir alle an einem Strang gezogen haben, sodass gemeinsames Gebet unter Coronabedingugen möglich war und ist. Viele religiöse Organisation und Verbände haben ihren Mitgliedern Vorschläge gemacht, wie Gottesdienste gemäß der unterschiedlichen halachischen Auffassungen korrekt durchgeführt werden können. Daran haben wir uns auch orientiert. Soweit ich das übersehen kann, haben alle Synagogen das Möglichste getan, um religiöses Leben in den Synagogen verantwortlich zu gewährleisten.
Wie sieht das praktisch aus: Werden Beter zum Beispiel zur Tora aufgerufen?
Es gibt Alijot, aber die Bracha wird im großen Abstand oder vom Platz aus gesagt. Obendrein haben wir für die Synagoge Pestalozzistraße die maximale Teilnehmerzahl von uns aus gesenkt. Dafür sind wir auch außerhalb von Gottesdiensten für die Menschen da, etwa durch Vorträge oder Hilfe für Betroffene, zum Beispiel den »Mitzwa-Express« unserer Synagoge. Wir haben zudem das Glück, dass die Synagoge recht groß ist und Chor, Kantor und Gemeinde große Abständen voneinander haben. Ich trage die meiste Zeit auch eine Maske.
Was empfehlen Sie Ihren Betern?
Ich empfehle ihnen, eher vorsichtiger zu sein, und im Zweifel zu Hause zu bleiben. Wir streamen ja praktisch jeden Gottesdienst, sodass man ihn auch von zuhause aus verfolgen kann. In keinem Fall kann man dies mit der Präsenz in einem Gottesdienst vergleichen; es ist aber besser als gar kein Gottesdienst. Auf diese Weise können wir auch in Zukunft den Menschen, die nicht kommen können, eine Anbindung an das religiöse Leben der Synagoge ermöglichen.
Apropos Zukunft: Wie stehen Sie zu einer Impfpflicht?
Sobald es eine wirksame Impfung gibt, halte ich es für halachisch geboten, diese auch zu nutzen. Meines Erachtens übersteigt der gesamtgesellschaftliche Nutzen einer Impfung jeden möglichen Nachteil um ein Vielfaches und rettet – im Fall von COVID-19 – Leben.
Mit dem Gemeinderabbiner und Leiter der Kultusabteilung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin sprach Katharina Schmidt-Hirschfelder.