Am Dienstag fanden wieder deutsch-israelische Regierungsberatungen statt. Das Ritual vorher und nachher kennt man. Bezogen auf Angela Merkel und ihre Regierung stellen Israel und Juden nicht nur in Deutschland die bange Frage: Wie geht es weiter nach dem Jubiläumsjahr 2015, als das Hohelied von 50 Jahren diplomatischer Beziehungen gesungen wurde?
Die schwerwiegendsten Meinungsverschiedenheiten beziehungsweise Spannungsfelder zwischen Deutschland und Israel lassen sich leicht zusammenfassen. Sie sind allseits bekannt, nicht erst nach den Jubelfeiern des Vorjahres.
zweistaatenlösung Die deutsche Regierung sowie die Mehrheit der Öffentlichkeit wollen – wie die Regierungen und Bevölkerungsmehrheiten der USA, der EU und der meisten Staaten der Welt – eine Zweistaatenlösung. Netanjahu sagt, er wolle das auch. Doch davon kann ernsthaft keine Rede sein, zumal er bei der Durchführung innerhalb seiner Partei und Koalition Mammutprobleme zu lösen hätte. In Demokratien zählt die Meinung der Mehrheit. Ob sie richtig ist, steht auf einem anderen Blatt.
Die Zweistaatenlösung gilt als Zauberformel für die Lösung des Konflikts, ohne dass ihre Befürworter jemals genau gesagt hätten, was mit knapp 600.000 Juden im Ostteil Jerusalems und dem Westjordanland nach der Gründung eines Staates Palästina geschehen soll. Unausgesprochen sieht dieser Plan ein »judenfreies« Gebiet Ost-Jerusalem plus Westjordanland vor. Daraus müsste die Symmetriefrage folgen: Was soll dann mit den Palästinensern geschehen, die israelische Staatsbürger sind und mehr als 20 Prozent der Gesamtbevölkerung darstellen? Werden zwei voneinander getrennte und soziokulturell grundverschiedene Palästina-Einheiten (Gaza und Westjordanland) zu einer zusammenwachsen?
Wir sehen: Es wird über die Zweistaatenlösung mehr geredet als nachgedacht. Die einzig wirklich gangbare Alternative wäre eine Mischung aus Bundesstaat und Staatenbund Israel-Palästina.
siedlungspolitik Die Siedlungspolitik ist ein weiterer Zankapfel. Auch hier wird mehr geredet als gewusst. Hinter den Kulissen besteht längst Einigkeit, dass die großen Siedlungsblöcke um Jerusalem sowie im Nordosten von Tel Aviv auch im Falle eines Friedensvertrags Israel zugeschlagen und die Palästinenser durch Gebietsaustausch kompensiert würden. Wenn Israel diese Siedlungsblöcke erweitert, spielen Deutschland und die Weltgemeinschaft das Spiel der Überraschten. Auch das ist längst Ritual.
Offenbar kein Ritual, sondern neuer Streitpunkt ist ein neues israelisches Gesetz, das von NGOs verlangt, ausländische Finanzierungsquellen offenzulegen. Nicht zuletzt deutsche Parteistiftungen fühlen sich dadurch in ihrer Bewegungs- und Entscheidungsfreiheit eingeengt. Da sie nach Recht und Gerechtigkeit handeln, ist diese Aufregung nicht so recht nachvollziehbar. Dieses Gesetz soll weniger Geldgeber aus westlichen Demokratien kontrollieren als dunkle Kanäle aufdecken, die Israels Sicherheit gefährden. Also ist die Empörung doch Ritual.
kennzeichnungspflicht Wirklich kein Ritual ist jedoch die Kontroverse um die Kennzeichnung von Waren aus den besetzten Gebieten. Hier beugt sich Deutschland – wie die EU-Mehrheit, doch mit weniger Tamtam – dem Druck der öffentlichen Meinung. Die meint es zwar gut mit den Palästinensern im Westjordanland, schadet ihnen aber. Sie verlieren nämlich sichere und gut bezahlte Arbeitsplätze.
Ebenfalls kein Ritual, sondern feste, jahrzehntelange Freundschaftsroutine bleibt die sicherheitspolitische Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Israel. Sie dient den Interessen beider Staaten. Seit März 2008 haben sich viele daran gewöhnt, in diesem Zusammenhang Angela Merkels Sicherheitsgarantie für Israel zu erwähnen. Israel wird sie gewiss nicht einfordern. Müsste es sich auf die Bundeswehr verlassen, wäre es tatsächlich verloren. Also keine Bange, Deutschland! Beruhigt und dankbar sein können Deutschlands Bürger für Israels Hilfe bei der Terrorbekämpfung. Sie hat, wie die US-Hilfe, dazu beigetragen, Anschläge in Deutschland zu verhindern. Auf israelische Technologie ist Deutschlands Militär einstweilen ebenso angewiesen wie Teile der deutschen IT-Wirtschaft.
u-boote Umgekehrt muss Israel dankbar sein für Deutschlands massive Hilfe beim Erwerb überlebenswichtiger U-Boote. Zudem werden Israels Erdgas-Förderanlagen im östlichen Mittelmeer künftig durch Korvetten geschützt, die Deutschland günstig liefert.
Vor und nach 2015 bleibt die fundamentale Distanz zwischen Berlin und Jerusalem beim Atomabkommens mit dem Iran bestehen. Wie die UN-Vetomächte USA, China, Russland, Frankreich und Großbritannien sieht Deutschland diese Vereinbarung als Sicherung des Friedens. Israel sagt: Sie gefährdet langfristig nicht nur Israel und Nahost, sondern auch Deutschland und Europa. Das sind Meinungsverschiedenheiten auf dem Weg. Im Ziel – die Festigung von Israels Sicherheit – sind sich Berlin und Jerusalem einig. Das zählt.
Der Autor ist Historiker und Publizist. Zuletzt erschien von ihm »Zum Weltfrieden: Ein politischer Entwurf«, dtv premium, München 2015.