Im Rathaus des Berliner Bezirks Steglitz-Zehlendorf sollte der Umsturz beginnen. Im Oktober 2017 stürmten Mitglieder der Vereinigung »Geeinte Deutsche Völker und Stämme« (GdVuSt) in die Räume der Bezirksverwaltung und forderten Bürgermeisterin Cerstin Richter-Kotowski (CDU) auf, ihnen die Schlüssel zu übergeben.
Sie sei illegitim auf ihrem Posten und mit sofortiger Wirkung vom »Höchsten Gericht der geeinten Deutschen Völker und Stämme« abgesetzt, hieß es in einem Pamphlet, das die drei älteren Herren dabeihatten. Die Männer mussten von der Polizei aus dem Büro der Bezirksbürgermeisterin hinauseskortiert werden.
Aktionen Mit diesen und anderen bizarr-provokativen Aktionen wie dem Verfassen eines Absetzungsgesuchs an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) machten Mitglieder der in der vergangenen Woche von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) verbotenen rechten Polit-Sekte auf sich aufmerksam.
Es ist das erste Mal, dass eine Vereinigung aus dem Spektrum der sogenannten Reichsbürger in Deutschland verboten wurde. Mit der Verbotsverfügung gegen die GdVuSt und ihren Vereinsableger »Osnabrücker Landmark« vom vergangenen Donnerstag gingen trotz der Corona-Epidemie Hausdurchsuchungen in zehn Bundesländern einher. Bei den Razzien wurden Baseballschläger, Schusswaffen, Propagandamaterial und Betäubungsmittel sichergestellt.
POLIZEIAKTIONEN Der Schwerpunkt der Polizeiaktionen lag in Berlin. In der Bundeshauptstadt sollen viele der rund 120 Anhänger der Gruppe aktiv sein. Auch die Vorsitzende der Truppe, Heike Maria Werding, die sich selbst als »Generalbevollmächtigte der geeinten Deutschen Völker und Stämme« bezeichnet, lebt in Berlin.
In der Bundeshauptstadt sollen viele der rund 120 Anhänger der Gruppe aktiv sein.
Seehofer begründete das Verbot der Gruppe damit, dass die GdVuSt eine Vereinigung sei, »die rassistische und antisemitische Schriften verbreitet und damit unsere freiheitliche Gesellschaft systematisch vergiftet«. Anhänger seien wiederholt mit aggressiver Sprache und Drohungen gegen Amtsträger aufgefallen.
»Reichsbürger lehnen den deutschen Staat in seiner bestehenden Form ab, erkennen Behörden und deren Entscheidungen nicht an«, hieß es in einer Erklärung des Bundesinnenministeriums ergänzend. »Sie bringen durch Rassismus, Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus ihre Intoleranz gegenüber der Demokratie zum Ausdruck und verstoßen damit gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung.«
Bundesweit rechnet der Verfassungsschutz derzeit rund 19.000 Personen der Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter zu. Bei etwa 950 soll es sich um Rechtsextremisten handeln.
FANTASIEKOSMOS Lob für das Verbot der GdVuSt kam vom Zentralrat der Juden in Deutschland. Gerade jetzt dürfe der Staat im Kampf gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus nicht nachlassen, erklärte Zentralratspräsident Josef Schuster. In Krisenzeiten verstärkten sich Verschwörungsmythen und Schuldzuweisungen.
Auch Martina Renner, Innenexpertin der Linksfraktion im Bundestag, begrüßte das Verbot der GdVuSt als angesichts der Corona-Epidemie notwendigen Schritt. »Die Reichsbürger wie auch andere rechte Bewegungen warten auf Krisensituationen wie diese«, sagte Renner. »In dem Fantasiekosmos dieser Gruppen ist ein Katastrophenfall, in dem der Staat die Kontrolle zu verlieren scheint, prädestiniert für eine Erhebung.«
Die Hausdurchsuchungen – trotz Corona – sind auch eine Warnung an ähnlich tickende Gruppierungen.
Die Hausdurchsuchungen seien daher auch eine Warnung an ähnlich tickende Gruppierungen, sagte Renner. Die Linken-Politikerin beschäftigt sich intensiv mit dem Weltbild der Reichsbürger. »Vereinigungen wie die nun verbotene sind im Kern antisemitisch«, konstatierte Renner.
WELTBILD Ihnen allen sei die Ablehnung der Bundesrepublik als angeblich illegitimer Staat auf deutschem Boden gemein. »Reichsbürger sind völkische Geschichtsrevisionisten, die davon überzeugt sind, dass hinter der Bundesregierung geheime Mächte die Strippen ziehen.«
Verschwörungsgedanken über eine jüdische Weltregierung im Untergrund, die auch vor dem Einsatz eines Virus nicht zurückschreckt, um ihre Ziele zu erreichen, seien in der Szene weit verbreitet, erläuterte die Innenexpertin. »Es handelt sich hier um Personen mit einem geschlossenen rechten Weltbild.«
Tatsächlich offenbart ein Blick auf Aussagen von Anhängern der GdVuSt deren Antisemitismus. In einem Interview mit dem »Tagesspiegel« vom Oktober 2017, das kurz nach der gescheiterten Erstürmung des Berliner Bezirksrathauses stattfand, äußerte sich einer der Gruppen-Rädelsführer, Hans Sahr, mit den Worten: »Die Juden machen sich ihre Hände nicht schmutzig, die nehmen sich immer welche, die für sie die Drecksarbeit machen.«
»Judenflagge« Angela Merkel sei eine Jüdin, und das 1871 gegründete Deutsche Reich sei ein Staat »von Juden für Juden« gewesen, die Flagge eine »Judenflagge«. Juden seien eine eigene Rasse mit eigenem Körperbau, Hitler sei der Enkel des jüdischen Bankiers Nathan Mayer Rothschild gewesen.
»Solche Aussagen erscheinen pathologisch und völlig verrückt«, sagt Linke-Politikerin Renner. Wer Reichsbürger allerdings als harmlose Spinner abtut, habe nichts verstanden. »Diese Menschen und ihre Gruppen müssen als Teil der gewaltbereiten extremen Rechten von allen Demokraten bekämpft werden«, forderte sie. So wie nun geschehen.