Francesca Albanese ist kein Neuling im Kampf um die Lufthoheit in den sozialen Netzwerken. Seit Jahren feuert die Italienerin aus allen Rohren gegen Israel, postet fast täglich in mehreren Sprachen auf ihrem X-Account und auf Instagram Prägnantes und Provokantes zur Lage in Nahost. Sie kritisiert den »Siedlerkolonialismus«, prangert Israels angebliche gezielte Tötung von Zivilisten in Gaza an, redet von Apartheid und sagt auch sonst das, was man in israelkritischen Kreisen zu sagen pflegt.
Und das, obwohl Albanese seit einigen Jahren als Sonderberichterstatterin des UN-Menschenrechtsrats für die OPT, die besetzten palästinensischen Gebiete also, fungiert und somit nicht nur Privatperson ist. Eigentlich sollte diese Rolle sie zumindest dem Anschein nach zu einem gewissen Maß an Objektivität und Unvoreingenommenheit verpflichten. Doch das Gegenteil ist der Fall: Albanese wurde vermutlich in das Amt berufen, weil sie seit Langem eine Ikone der BDS-Bewegung ist.
Für gewöhnlich werden ihre Statements nicht mit einer offiziellen Reaktion von westlichen Regierungen geadelt. Am vergangenen Wochenende war das anders. Albanese hatte sich nämlich auf X mit Emmanuel Macron höchstpersönlich angelegt.
Vergangene Woche hatte der französische Staatspräsident im Hof des Invalidendoms in Paris ein feierliches Gedenken für jene 42 französischen Staatsbürger abgehalten, die beim Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober ums Leben gekommen oder von der Terrororganisation in den Gazastreifen entführt worden waren. Und Macron hatte dort vom 7. Oktober als dem »größten antisemitischen Massaker unseres Jahrhunderts« gesprochen.
Retourkutsche aus Paris
Sehr zum Unwillen von Francesca Albanese. Auf X wandte sie sich direkt an Macron – auf Französisch: »Das ›größte antisemitische Massaker unseres Jahrhunderts‹? Nein, Herr @EmmanuelMacron. Die Opfer des 7. Oktobers wurden nicht wegen ihres Judentums getötet, sondern als Reaktion auf die Unterdrückung durch Israel. Frankreich & die internationale Gemeinschaft haben nichts getan, um dies zu verhindern. Mein Respekt für die Opfer.«
Die Retourkutsche kam prompt, wenngleich nicht von Macron persönlich. Der Quai d’Orsay, das französische Außenministerium, schrieb auf X, Albaneses Äußerungen auf ihrem UN-Account seien »eine Schande« und »umso skandalöser, als der Kampf gegen Antisemitismus und alle Formen von Rassismus das Herzstück der Gründung der Vereinten Nationen ist.«
Tags darauf gab das Auswärtige Amt in Berlin den Franzosen seine »volle Unterstützung«. Auf seinem englischen X-Account schrieb das Ministerium von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock: »Die schrecklichen Terroranschläge vom 7.10. zu rechtfertigen und ihren antisemitischen Charakter zu leugnen, ist entsetzlich. Solche Aussagen in einer UN-Funktion zu machen, ist eine Schande und widerspricht allem, wofür die Vereinten Nationen stehen.«
Und am Montagabend legte auch die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen in Genf, Michèle Taylor, nach. »Francesca Albanese hat in der Vergangenheit immer wieder antisemitische Phrasen verwendet. Ihre jüngsten Erklärungen, in denen sie die antisemitischen Untertöne des Hamas-Anschlags vom 7. Oktober rechtfertigt, abtut und leugnet, sind inakzeptabel und antisemitisch. Wir erwarten mehr von unabhängigen UN-Experten und verurteilen alle Formen des Antisemitismus.«
Albanese zeigte sich angesichts der Vorhaltungen gekränkt und missverstanden. Sie sei »enttäuscht, dass einige meinen Tweet als ›Rechtfertigung‹ für die Verbrechen der Hamas vom 7.10. gelesen haben, die ich mehrfach scharf verurteilt habe. Ich lehne jeglichen Rassismus, einschließlich Antisemitismus, als globale Bedrohung ab. Aber diese Verbrechen als Antisemitismus zu bezeichnen, verschleiert deren wahre Ursache«, schrieb sie.
Ungerührt rührte sie die Propagandatrommel weiter. In einem weiteren Tweet, diesmal auf Italienisch, warf sie dem Chef des italienischen Fernsehens RAI vor, nur Solidarität mit den 1200 israelischen Opfern des 7. Oktober zum Ausdruck zu bringen, aber nicht mit den angeblich »30.000 palästinensischen Opfern, die von der israelischen Armee in Gaza ermordet wurden (70% Frauen und Kinder)«.
RAI-Chef Roberto Sergio hatte bei einer Veranstaltung wörtlich gesagt: »Ich habe zusammen mit (Israels) Botschafter Bar und der (jüdischen Gemeinde-) Vorsitzenden Di Segni die Veranstaltungen erlebt, die RAI in der letzten Januarwoche dem Gedenken an die Schoa gewidmet hat. Und jeden Tag berichten unsere Nachrichten und Sendungen über die Tragödie der Geiseln in den Händen der Hamas und erinnern an das Massaker an Kindern, Frauen und Männern am 7. Oktober - und werden dies auch weiterhin tun. Meine Solidarität mit dem israelischen Volk und der jüdischen Gemeinschaft ist von Herzen und aus Überzeugung«. Das sei, so Francesca Albanese, »eine der dunkelsten Seiten in der Geschichte des öffentlichen Fernsehens« gewesen. So kann man es natürlich auch sehen.
»Jüdische Lobby«
Es ist nicht das erste Mal, dass die 46-Jährige im Kreuzfeuer der Kritik steht. 2022 wurden Facebook-Posts der Italienerin aus dem Jahr 2014 publik. Sie hatte an den katholischen Bischof des Heimatbistums ihrer Familie einen Spendenaufruf geschickt und darin geschrieben, eine »jüdische Lobby« habe die Vereinigten Staaten »unterworfen« und verhindere, dass Israel seine Politik gegenüber den Palästinensern ändern müsse. Europa fühle sich »mitschuldig am Holocaust« und setze sich deshalb zu wenig für die Palästinenser ein.
Die Palästinenser, so Albanese, seien »seit fast einem halben Jahrhundert ständigen Misshandlungen ausgesetzt und von der israelischen Besatzung jeglicher Rechte und Gerechtigkeit beraubt. Israel führe einen »bösartigen Krieg« gegen die Bevölkerung des Gazastreifens, welche unter »israelischem Militärjoch« wie in einem »Gefängnis« leben müsse, und verfolge eine Politik der »ethnischen Säuberung«. Das war wohlgemerkt lange vor dem 7. Oktober.
Ebenfalls 2014 attackierte sie sogar die BBC, welche für gewöhnlich nicht als besonders israelfreundlich gilt. Laut »Times of Israel« schrieb Albanese damals in den sozialen Netzwerken: »Die israelische Lobby steckt eindeutig in euren Adern und in eurem System, und man wird sich daran erinnern, dass ihr auf der Seite des großen Bruders in diesem orwellschen Albtraum gestanden habt, der einmal mehr durch Israels Gier verursacht wurde. Schande über euch, BBC!«
Rücktrittsforderungen prallten bislang an ihr ab wie an einer Teflonpfanne. Doch mit ihren Tweets hat die promovierte Völkerrechtlerin, die seit Mai 2022 als Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen für die besetzten palästinensischen Gebiete amtiert, womöglich den Bogen überspannt.
Die israelische Regierung gab am Montag bekannt, Albanese sei mit einer Einreisesperre belegt worden und werde nicht mehr ins Land gelassen. Persona non grata ist die Italienerin dort schon länger. Und auch in Deutschland hat sie viele Gegner. Der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Volker Beck, und Bundestagsabgeordnete wie FDP-Mann Frank Müller-Rosentritt fordern seit Langem ihre Entlassung.
Das Auswärtige Amt hingegen zeigte sich auf Nachfrage zurückhaltend. Dort war zu hören, dass Albanese vom UN-Hochkommissar für Menschenrechte aufgrund einer Ausschreibung ernannt worden sei und »unabhängig« arbeite - »was die Bundesregierung aber nicht daran hindert, wo notwendig die geäußerten Ansichten klar und deutlich zurückzuweisen.«
Der genannte Hochkommissar ist übrigens ein Österreicher namens Volker Türk. Er kam aber erst einige Monate nach Albanese ins Amt. Letztere wurde noch von Türks Amtsvorgängerin Michelle Bachelet berufen.
Bislang hat es Albanese sowieso vermocht, sich Kritik an ihrer Person eher zunutze zu machen, getreu dem Motto »Viel Feind, viel Ehr.« Im vergangenen November sagte sie: »Die israelische Regierung fordert meine Entlassung nicht wegen meiner angeblichen ›anti-israelischen Einstellung‹, sondern weil ich die Verstöße der Israelis gegen internationales Recht aufdecke, einschließlich: der Siedlungen, die Kriegsverbrechen sind, Apartheid, der »ewigen Besatzung‹, die durch und durch illegal ist, Kriegsverbrechen und das Risiko eines Völkermords in Gaza.«
Forderungen nach Entlassung
Doch der Druck, Francesca Albanese abzulösen, wächst. Ende der Woche wird UN-Generalsekretär António Guterres in München sein, um an der Sicherheitskonferenz teilzunehmen. Dem Vernehmen nach will er sich auch zum Antisemitismus und zur Kritik an der Haltung der Vereinten Nationen zum Nahostkonflikt äußern. Guterres dürfte in München auch auf Albanese angesprochen werden. Schon jetzt hat der Portugiese, der seit 2017 an der Spitze der UN-Verwaltung steht, einen Brief vom International Legal Forum (ILF) bekommen.
Darin wird Albanese vorgeworfen, »nicht einmal den Vorwand« für Unparteilichkeit und Objektivität zu haben, zwei Begriffe, die gemäß dem Verhaltenskodex der Vereinten Nationen für Sonderberichterstatter die Arbeit der Berichterstatter leiten sollten.
Der Brief endet mit den Worten: »Genug ist genug, Herr Generalsekretär. Wir fordern Sie auf, dafür zu sorgen, dass die UNO ihre eigenen Regeln und Standards einhält, und eine klare Botschaft zu senden, dass Antisemitismus und die Befürwortung von Gewalt bei den Vereinten Nationen nicht toleriert werden, indem Sie Frau Albanese entlassen und ihre Position vollständig aufheben.«