Herr Klein, Sie sind seit 2018 Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus. Haben Sie manchmal ans Aufhören gedacht?
Aufhören war für mich nie eine Option, weil die Aufgabe sehr wichtig und die Situation immer schwieriger geworden ist. Ich habe im Laufe meiner Amtszeit gemerkt, dass es von Vorteil ist, Erfahrungen einzubringen. Ich konnte viele institutionelle Änderungen und auch Gründungen von Strukturen anstoßen, etwa den Aufbau des RIAS-Bundesverbandes, dessen Schirmherr ich bin. Das ist eine wichtige Struktur, die wir geschaffen haben, weil Menschen, die von Antisemitismus betroffen sind, hier eine Anlaufstelle haben, wo sie Unterstützung bekommen. Ich habe außerdem viele Kontakte zu jüdischen und nichtjüdischen Organisationen geknüpft und viel Vertrauen aufgebaut. Insofern übe ich mein Amt mit Freude aus und stehe auch weiterhin zur Verfügung.
Wäre es Ihnen lieber, im Bundeskanzleramt angesiedelt zu sein, statt wie bisher im Innenministerium?
Ich hätte gegen den Umzug ins Kanzleramt nichts einzuwenden. Der wäre durchaus sinnvoll, denn es hat sich gezeigt, dass Antisemitismus ein Querschnittsthema ist, das alle Ministerien betrifft, und wenn Sie von der Regierungszentrale aus Initiativen anstoßen, hat das eine gewisse Wucht. Gleichzeitig ist, wie die zurückliegenden sechs Jahre zeigen, auch aus dem Innenministerium heraus, in dem ich mich wohlfühle und viel Unterstützung erfahre, eine gute und effektive Arbeit möglich.
Wenn Sie auf die ersten Jahre Ihrer Amtszeit zurückblicken: Welche Ihrer ersten Ideen, die Sie angehen wollten, hatten Erfolg und bei welchen mussten Sie Misserfolge einstecken?
Die Kommission der Antisemitismusbeauftragten aus Bund und Ländern ist ein entscheidendes strukturelles Instrument, da die Zuständigkeit für etwa achtzig Prozent der Handlungsfelder gegen Antisemitismus bei den Ländern liegt. Denken Sie an Bildung und Kultur, Polizei oder Justiz. Auch deshalb bin ich froh, dass - bis auf die bedauerliche Ausnahme Bremen - alle Bundesländer Antisemitismusbeauftragte berufen haben. Auch die Einrichtung von Beauftragten bei den Staatsanwaltschaften ist extrem wichtig, damit die Justiz noch besser in der Lage ist, Antisemitismus zu erkennen und schnell zu ahnden. Wir haben es auch geschafft, das Verbrennen von Fahnen anderer Länder zum Straftatbestand zu machen. Das hilft nun der Polizei im Umgang mit den sogenannten propalästinensischen, aber in Wahrheit antiisraelischen Demonstrationen.
Und wo sehen Sie Misserfolge?
Nun, die Zahl antisemitischer Straftaten steigt leider. Deshalb muss die Präventionsarbeit weiter verstärkt werden. Es gilt besonders in Schulen – das ist zwar Ländersache, aber hier ziehen glücklicherweise alle an einem Strang. In der Erklärung der Kultusministerkonferenz, des Zentralrats der Juden in Deutschland und der Bund-Länder-Kommission der Antisemitismusbeauftragten etwa wird der Umgang mit Antisemitismus in der Schule in den Fokus genommen. Ich bin sehr froh, dass jetzt einige Punkte dieser Erklärung vom Juni 2021 nach und nach umgesetzt werden. Ganz entscheidend ist es, dass der Umgang mit Antisemitismus und Rassismus zum verpflichtenden Bestandteil der Lehramtsausbildung werden soll.
Es gibt viele Antisemiten mit Doktortitel. Glauben Sie, dass Bildung wirklich die beste Prävention von Antisemitismus ist?
Bildung alleine schützt nicht gegen Antisemitismus. Francesca Albanese zum Beispiel hat ein Jurastudium hinter sich und verbreitet antisemitische Narrative. Auch Björn Höcke mangelt es sicher nicht an Bildung, und dennoch verharmlost er den Holocaust. Aber wir müssen natürlich auf die Bildung setzen, weil sie die Möglichkeit stärkt, sich kritisch reflektiert mit Themen auseinanderzusetzen und nicht unreflektiert geistigen Rattenfängern hinterherzulaufen. Wir müssen sie nutzen, um aufzuklären und beispielsweise Verschwörungsmythen zu dekonstruieren.
Ist es Ihnen persönlich schon einmal gelungen, einen Antisemiten von seinem Judenhass abzubringen?
Antisemiten haben meist ein geschlossenes Weltbild. Hier ist Überzeugungsarbeit nicht einfach. Aber zumindest ist es mir mit Gegenfragen gelungen, auch Antisemiten dazu zu bringen, ihre Behauptungen zu hinterfragen. Mit unserer Arbeit adressieren wir vor allem auch die große Zahl von Menschen, die für Antisemitismus zwar empfänglich, aber die für Argumente noch erreichbar ist.
Mittlerweile gibt es in jedem Bundesland außer Bremen Antisemitismusbeauftragte, dennoch sind die Zahlen der antisemitischen Vorfälle explodiert. Was können Sie dagegen tun?
Grundsätzlich sei erstmal gesagt, dass die Zahl der Menschen, die anfällig für antisemitische Narrative sind, auch nach dem 7. Oktober schätzungsweise konstant bei zehn bis fünfzehn Prozent der Bevölkerung liegt. Wenn die Spannungen im Nahen Osten steigen, steigen auch die antisemitischen Vorfälle in Deutschland. Das zeigt, dass unsere Möglichkeiten begrenzt sind, ändert aber nichts an der Notwendigkeit guter Prävention. Wichtig ist aber auch, dass Straftäter schnell verurteilt werden, wie beispielsweise in den Niederlanden nach der Jagd auf israelische Fußballfans im November.
Sie haben gefordert, den Verfassungsschutz an Universitäten einzusetzen. Warum, und welche Aufgaben wären für Sie vorstellbar?
Wir haben in der Vergangenheit immer wieder israelfeindliche Aktionen gesehen, bei denen Menschen von außerhalb der Universitäten in diese hineinwirken und Straftaten begehen. Zum Beispiel mit Hörsaalbesetzungen, dem Verwenden verfassungsfeindlicher Symbole oder auch durch Zerstörungen mit hohem Sachschaden. Die Ansicht, es handele sich bei den Protesten und Besetzungen lediglich um studentische Aktivitäten, verharmlost den extremen und teils gewalttätigen Judenhass, der dort verbreitet wird. Das dürfen wir nicht zulassen.
Weil Sie sich positiv über den Plan von US-Präsident Donald Trump, Millionen Palästinenser aus dem Gazastreifen umzusiedeln, geäußert haben, werfen Ihnen Kritiker vor, Sie würden ethnische Säuberungen befürworten. Wie sehen Sie das?
Nie würde ich für ethnische Säuberungen eintreten, wer mich kennt, weiß auch, dass ich nie etwas Völkerrechtswidriges vorschlagen würde – und ich habe das auch jetzt mit keinem Wort getan. Hier sind falsche Deutungen in meine Aussagen hineingelesen worden.
Sie haben Ihre Teilnahme an einer Antisemitismus-Konferenz in Jerusalem abgesagt, weil dort auch Mitglieder der rechtsextremen französischen Partei Rassemblement National auftreten sollten. Wussten Sie vorher davon nichts?
Zum Zeitpunkt meiner Zusage als Teilnehmer an einer Podiumsdiskussion bei der Konferenz war mir das weitere Teilnehmerfeld der Veranstaltung nicht bekannt.
Beunruhigt es Sie, dass Teile der israelischen Regierung die Nähe zu europäischen Rechtsextremen suchen?
Ich finde die Aussage der israelischen Regierung beruhigend, nach wie vor mit extremistischen Kräften hier in Deutschland keinerlei Kontakte zu pflegen.
Sie haben sich in Ihrer Arbeit oft kritisch über Politiker geäußert, etwa über die Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoğuz. Haben Sie dafür mal Gegenwind von der Bundesregierung zu spüren bekommen?
Ich bin in meinem Amt als Beauftragter insoweit unabhängig, als ich nicht in die Hierarchie eines einzelnen Ressorts eingebunden bin. So ist es auch in der Bundestagsresolution von Januar 2018 vorgegeben, mit der mein Amt definiert wurde. Ich bin sehr zufrieden, dass meine Unabhängigkeit als Beauftragter von der gesamten Bundesregierung respektiert wird. Wenn ich dabei auch gelegentlich kritisiert werde, ist das doch in Ordnung.
Das Gespräch mit dem Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus führte Nils Kottmann.