Herr Rabbiner, Sie sind vergangene Woche vor Ihrem Wohnhaus Opfer eines antisemitischen Angriffs geworden. Wie geht es Ihnen jetzt?
Der Jochbeinbruch ist im Krankenhaus operiert worden, inzwischen bin ich wieder zu Hause. Die Operation ist gut verlaufen, und ich habe keine Schmerzen mehr. Allerdings werde ich noch etwa sechs Wochen lang nur flüssige oder breiförmige Nahrung zu mir nehmen können.
Und wie geht es Ihnen psychisch?
So etwas hinterlässt natürlich Spuren. Das ist auch für meine siebenjährige Tochter, die den Angriff miterlebt hat, eine große Belastung. Ich selbst komme relativ gut zurecht, auch weil ich im Rahmen meines Studiums psychologisch und seelsorgerisch ausgebildet wurde. Aber ich maße mir nicht an, allein mit den Folgen des Angriffs umzugehen. Ich habe mir professionelle Hilfe geholt, um mögliche Traumata zu verarbeiten, genauso, wie wir es auch für unsere Tochter tun werden. Wir haben viele Hilfsangebote bekommen, vor allem von der Gemeinde.
Es sind mutmaßlich arabischstämmige Jugendliche gewesen, die Sie, weil Sie eine Kippa trugen, krankenhausreif geschlagen haben. Werden Sie sich künftig lieber eine andere Kopfbedeckung aufsetzen?
Das muss man ein wenig relativieren. Ich habe eine Baseballkappe über meiner Kippa getragen. Offenbar hat sie ein bisschen hervorgeguckt. Oder vielleicht kannten mich die Angreifer aus anderen Zusammenhängen. Denn in dem Stadtviertel, in dem ich wohne, wissen viele, wer ich bin und was ich tue. Bis vor einigen Jahren habe ich meine Kippa immer offen getragen. Aber auf Bitten meiner Frau habe ich es mir abgewöhnt und ein Basecap aufgesetzt. Ich habe die Notwendigkeit nie so richtig eingesehen. Aber heute weiß ich, dass meine Frau recht hatte.
Mehr als 1.000 Menschen haben sich am Sonntag in Ihrem Kiez zu einer Demonstration versammelt, um ihre Solidarität mit Ihnen zu bekunden. Wie ging es Ihnen dabei?
Es war für mich und meine Familie sehr wichtig. Es gibt uns Kraft, mit dem Erlebten besser umzugehen. Wir sind von der Umgebung sehr gut aufgefangen worden, das tut gut und hilft uns.
Haben Sie in den vergangenen Tagen manchmal darüber nachgedacht, einen Krav-Maga-Kurs zu besuchen?
Nein, das hat keinen Sinn, ich bin kein Rambo. Ich habe 53 Jahre so gelebt, dass ich nie in eine Schlägerei verwickelt wurde, und werde weiterhin in brenzligen Situationen versuchen, ruhig und deeskalierend zu wirken. Zwei Jahre Krav-Maga-Training hätten mir in der Situation am vergangenen Dienstag vermutlich nicht geholfen, da ich den Eindruck habe, dass der Angreifer ein routinierter Schläger war.
Was kann die Gesellschaft tun, dass nicht auch anderen Juden in Berlin Ähnliches passiert wie Ihnen?
Es gab einen Flashmob, und einige nichtjüdische Prominente haben Kippa getragen. Ich denke, diese Zeichen der Solidarität sind sehr wichtig, denn sie werden nicht nur von uns, sondern auch von den anderen wahrgenommen. Ich hoffe, dass die Täter durch die Aktionen der vergangenen Tage kapieren, dass sie etwas getan haben, was ein Fehler war. Öffentlichkeitswirksame Aktionen können helfen. Letztendlich ist die gesamte Gesellschaft gefordert: Verbände, Vereine und jeder Einzelne müssen sich gegen Rassismus und Antisemitismus stellen.
Sie waren über Jahre im jüdisch-muslimischen Dialog aktiv. Wie wird sich der Angriff auf Ihr Engagement auswirken?
Es gibt für mich keine kollektive Schuld. Für das, was ein Einzelner getan hat, kann ich nicht den ganzen Islam verantwortlich machen. Das Gespräch ist die einzige Chance, um aufzuklären und solche oder schlimmere Vorkommnisse in Zukunft zu verhindern. Es steht schon in der Tora: Die Juden sind ein halsstarriges Volk. In diesem Sinne werde ich mich, so gut ich kann und wann immer ich eine Gelegenheit dazu bekomme, weiter am interreligiösen Dialog beteiligen. Daran wird auch ein Dumpfbackenschläger nichts ändern.