Bundestagsabgeordnete aus verschiedenen Parteien haben sich vom Aufruf eines Arbeitskreises von deutschen Kultur-, Wissenschafts- und Bildungseinrichtungen distanziert, in dem ein Beschluss des Bundestags vom Mai 2019 als ursächlich genannt wird für das Beseitedrängen wichtiger Stimmen und »missbräuchliche Verwendungen des Antisemitismusvorwurfs«.
BESCHLUSS Am 17. Mai 2019 hatte das Parlament mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis90/Die Grünen eine Resolution verabschiedet, in der die gegen Israel gerichtete BDS-Bewegung als »antisemitisch« verurteilt wurde. Unter anderem forderten die Abgeordneten, dass Organisationen, die den Boykott Israels propagierten, keine staatlichen Fördergelder oder Räume mehr zur Verfügung gestellt bekommen sollen.
Dagegen wandten sich nun zahlreiche Vertreter von Kultur- und Wissenschaftsorganisationen, darunter auch Bundeseinrichtungen wie das Goethe-Institut und die Kulturstiftung des Bundes.
Auch der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, trat am Donnerstag bei der Pressekonferenz des Arbeitskreises im Deutschen Theater in Berlin auf – obwohl sein Name nicht auf der Einladung oder unter dem Aufruf selbst gestanden hatte.
Auf die Frage eines Journalisten nach praktischen Beispielen für die Auswirkung der Resolution sagte Krüger: »Ich kann Ihnen ein Beispiel nennen: In unserer Institution gibt es eine Reihe von Mitarbeitern, die Förderanträge zu begutachten haben und die natürlich in der Reaktion auf diesen Beschluss dazu neigen, vorauseilend Gesinnungsprüfungen stattfinden zu lassen. Das ist kontraproduktiv für politische Bildung, so wie ich Sie Ihnen hier skizziert habe.«
BUNDESZENTRALE Der Vorsitzende des 22-köpfigen Kuratoriums der Bundeszentrale, der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Thorsten Frei, distanzierte sich von diesen Aussagen und forderte eine Erklärung. Die Auswirkungen der BDS-Resolution auf die Bundeszentrale seien im Kuratorium der dem Innenministerium unterstellten Behörde nie zur Sprache gekommen, sagte der Frei dieser Zeitung, auch nicht bei der letzten Sitzung Ende November.
»Die Schilderungen des Präsidenten sind mir bisher nicht bekannt gewesen. Auch kein anderes Kuratoriumsmitglied hat sie mir gegenüber geäußert. Aber grundsätzlich wäre so etwas auch ein Thema für das Kuratorium, da die Resolution durch den Bundestag beschlossen wurde und das Kuratorium ausschließlich aus Mitgliedern des Deutschen Bundestages besteht«, so Frei weiter. Er freue sich deshalb auf die Erläuterungen Krügers zum Sachverhalt.
»Die von uns mit der BDS-Resolution im vergangenen Jahr eingeforderten Regeln sind eindeutig: Keine Förderung von Organisationen, die das Existenzrecht Israels in Frage stellen. Keine Förderung von Projekten, die zum Boykott Israels aufrufen oder die BDS-Bewegung aktiv unterstützen. Diese politische Maßgabe des Deutschen Bundestags ist angesichts der historischen Verantwortung Deutschlands, die das Existenzrecht Israels zur Staatsräson erhebt, richtig.«
ANWENDUNGSBEREICH Dabei gehe es keineswegs um ein Verbot von Dialog oder Kritik. Es sollten aber auch keine Steuermittel verwendet werden für BDS-Initiativen. Schlussendlich sei klar, dass der Beschluss des Bundestages auch umgesetzt werden müsse, verlangte Frei. Der Anwendungsbereich der Entschließung beziehe sich aber »zunächst nur auf den Bundestag und seine Liegenschaften. Wenn das Parlament durch Beschluss eine solche politische Entscheidung trifft, erachte ich diese auch als Richtschnur für die Exekutive«, fügte Frei hinzu.
Der frühere DDR-Bürgerrechtler und SPD-Politiker Thomas Krüger ist seit 2000 Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung. Die Behörde wurde 1952 gegründet und hat einen Jahreshaushalt von rund 65 Millionen Euro. Sie engagiert sich sowohl in der schulischen als auch die außerschulischen politische Bildungsarbeit und orientiert sich dabei an den Prinzipien des Pluralismus, der Kontroversität und der Rationalität.
AUSWÄRTIGES AMT Auf die Frage, ob das Thema BDS-Resolution in den Aufsichtsgremien der Kultureinrichtungen des Bundes wie der Kulturstiftung und dem Goethe-Institut in den letzten Monaten thematisiert worden sei, antwortete die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Michelle Müntefering der Jüdischen Allgemeinen: »Dort, wo ich Einblick hatte, nicht.« Das Auswärtige Amt habe, so Müntefering, eine Zusammenarbeit mit der BDS-Bewegung seit jeher ausgeschlossen und fördere deshalb auch keine Projekte, die der Unterstützung von BDS dienten.
Auch Krügers Aussage bewertete sie kritisch: »Auch für streitbare und kontroverse Debatten gelten aus Sicht der Bundesregierung bestimmte Regeln. Dazu zählt die unmissverständliche Anerkennung des Existenzrechts Israels.« Den Beschluss des Bundestages sehe sie auch durch die Kritik der Leiter der Kultureinrichtungen nicht in Frage gestellt, so die SPD-Politikerin weiter.
Müntefering rügte aber die mangelnde Dialogbereitschaft der Unterzeichner des Aufrufs. »Dass hier nicht im Vorfeld das Gespräch mit den Abgeordneten gesucht wurde, kann man durchaus als verwirrend empfinden. Aber es ist ja nie zu spät, miteinander zu sprechen.«
GOETHE-INSTITUT Einige Kultureinrichtungen verteidigten den Aufruf gegen Kritik. Eine Sprecherin des Goethe-Instituts in München sagte der Jüdischen Allgemeinen, die Teilnahme des Generalsekretärs der Organisation, Johannes Ebert, an der Pressekonferenz des Arbeitskreises am Donnerstag vergangener Woche sei intern abgesprochen gewesen.
Als Vorsitzender des Vorstands führe Ebert die Geschäfte »unserer in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins geführten Kulturmittlerorganisation in inhaltlicher und administrativer Hinsicht,« erklärte Jessica Kraatz Magri. »Das Goethe-Institut unterstützt die Initiative, um für die Verteidigung eines Klimas der Vielstimmigkeit, der kritischen Reflexion und der Anerkennung von Differenz einzutreten. Deshalb wenden wir uns auch gegen Aufrufe zum Boykott Israels durch den BDS. Und regen gleichzeitig - aufgrund ihrer Auswirkungen auf unsere praktische Arbeit - ein Überdenken der BDS-Resolution des Bundestages an«. Man habe in den vergangenen Monaten »eine zunehmend größere Verunsicherung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im In- und Ausland im Hinblick auf die Frage, wer eingeladen werden ›darf‹ und wer nicht« erlebt.
Zudem sei ein vom Goethe-Institut geplantes Projekt »wegen Bedenken des Zuwendungsgebers gegen beteiligte Künstler«, die sich nur indirekt zur BDS-Bewegung geäußert hätten, nicht bewilligt worden. Vor diesem Hintergrund sei es »nur folgerichtig, wenn wir eine Initiative unterstützen, die sich dafür einsetzt, ›Ambivalenzen zu ertragen und abweichende Positionen zuzulassen‹ «. Der gemeinsame Kampf gegen Antisemitismus, Rassismus, Rechtsextremismus und jede Form von gewaltbereitem religiösem Fundamentalismus stehe im Zentrum dieser Initiative, so Kraatz Magri gegenüber dieser Zeitung.
KUNSTFREIHEIT Monika Grütters, die im Kanzleramt angesiedelte Kulturstaatsministerin, vertrat dagegen eine andere Auffassung. Weder sei mit ihr in den vergangenen Monaten über die immerhin schon anderthalb Jahre alte Entschließung des Parlaments bei der Kulturstiftung des Bundes diskutiert worden, noch seien ihr persönlich Fälle bekannt, bei denen es zu Ausladungen von Veranstaltungen gekommen sei, um den Vorgaben der Resolution Genüge zu leisten.
Für die vom Bund geförderten Kultureinrichtungen gelte zwar das Grundrecht der Kunstfreiheit, teilte Grütters der Jüdischen Allgemeinen mit, und es sei daher »grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn sich Leiter dieser Kultureinrichtungen politisch äußern«, so die CDU-Politikerin weiter.
Eine vorherige Abstimmung mit ihr habe es aber nicht gegeben. Sie halte sowohl die Meinungsfreiheit als auch die Autonomie der Kultureinrichtungen in Deutschland für gewährleistet. Persönlich stehe sie zur Resolution des Bundestages, der sie in ihrer Eigenschaft als Abgeordnete des Parlaments zugestimmt habe.
REGELN Grütters weiter: »Es gehört für die Bundesregierung zur Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland, das Existenzrecht Israels zu schützen. Hieraus folgt, dass der Bund auch im Rahmen der Kulturförderung keine Organisationen oder Projekte aktiv unterstützt, die das Existenzrecht Israels in Frage stellen.« Für streitbare und kontroverse Debatten gälten außerdem bestimmte Regeln, so Grütters. »Dazu zählen die konsequente Ablehnung jedes Antisemitismus und die unmissverständliche Anerkennung des Existenzrechts Israels.«
Nicht nur bei den Regierungsparteien ist man verschnupft über den Aufruf der staatlichen Kultureinrichtungen. Auch Oppositionspolitiker schütteln darüber den Kopf. Er halte »gar nichts« von der Behauptung der Unterzeichner, dass »unter Berufung auf diese Resolution durch missbräuchliche Verwendungen des Antisemitismusvorwurfs wichtige Stimmen beiseitegedrängt« würden, teilte Benjamin Strasser auf Anfrage mit. Der FDP-Abgeordnete war 2019 einer der Mitinitiatoren der Entschließung.
FÖRDERMITTEL Die Kritik daran sei »völlig unangebracht«, so Strasser weiter. Beim BDS-Beschluss des Bundestages sei es nie darum gegangen, kritische Stimmen zur israelischen Politik zu unterbinden oder den Dialog mit ihnen zu verhindern: »Gerade in der heutigen Zeit sind das ganz gefährliche Falschbehauptungen. Bei dem Beschluss ging es darum, die klar antisemitische BDS-Methode der pauschalen Ausgrenzung und Stigmatisierung von Jüdinnen und Juden zurückzuweisen«, betonte Strasser. Gesprächsanfragen von Seiten der Kritiker hätten ihn keine erreicht.
Strasser will das Thema in der Fragestunde des Bundestages an diesem Mittwoch ansprechen. »Natürlich haben auch Bundesbeamte das Recht auf eine eigene Meinung, aber das gilt für sie als Privatperson. Wenn sich Behördenleiter in offizieller Funktion öffentlich gegen eine mit großer Mehrheit beschlossene Initiative im Bundestag wenden, finde ich das befremdlich.«