Der Zentralrat der Juden in Deutschland ist alarmiert über die Ergebnisse des Verfassungsschutzberichtes, der am heutigen Dienstag der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. »Der neue Verfassungsschutzbericht zeigt in erschreckendem Maße, dass die Bedrohung des jüdischen Lebens in Deutschland weiter gewachsen ist. Den Alarmzustand, den Minister Seehofer benannt hat, empfinden Jüdinnen und Juden bereits seit längerem«, betonte Zentralratspräsident Josef Schuster.
RECHTSEXTREMISMUS »Die Strafverfolgungsbehörden und die Justiz sind besonders gefordert«, erklärte Schuster weiter, »gegen Antisemitismus und Extremismus vorzugehen«. Ebenso gelte es nun, die Neue Rechte und die Rechtspopulisten weiterhin im Blick zu behalten. »Die zentrale Bedrohung für unsere Demokratie geht vom Rechtsextremismus aus. Dennoch müssen alle Formen des Extremismus einschließlich des Islamismus beobachtet werden.«
Die bereits jetzt gereizte Stimmung im beginnenden Bundestagswahlkampf, die auch von einigen Medien, vor allem aber von der AfD angeheizt werde, besorge die jüdische Gemeinschaft zusätzlich, stellte der Zentralratspräsident klar. »Die demokratischen Parteien und die Medien tragen dafür Verantwortung, dass Respekt und Anstand im Wahlkampf nicht verloren gehen, sondern eine politische Kultur gewahrt wird, die diesen Namen verdient.«
Der Hintergrund von Josef Schusters Stellungnahme am Dienstagmorgen: Die Zahl der Menschen mit rechtsextremistischen Einstellungen ist in Deutschland im vergangenen Jahr erneut angestiegen. Das geht aus dem Verfassungsschutzbericht für 2020 hervor, den Bundesinnenminister Horst Seehofer am Dienstag in Berlin gemeinsam mit dem Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, vorgestellt hat.
»DICKES PROBLEM« Die größte Bedrohung für die Sicherheit seien nach wie vor Rechtsextremismus und Antisemitismus, betonte Seehofer. Es gebe nicht nur eine besondere Gesundheitslage, sondern auch eine besondere Sicherheitslage, »die ein dickes Problem ist« Danach wuchs das Personenpotenzial im rechtsextremistischen Spektrum um 3,8 Prozent auf 33.300 Menschen an. Knapp 40 Prozent von ihnen schätzt der Verfassungsschutz als »gewalttätig, gewaltbereit, gewaltunterstützend oder gewaltbefürwortend ein«.
Rechtsextremisten und Treffpunkte der rechten Szene waren in den vergangenen Monaten nach Angaben aus Sicherheitskreisen auch mehrfach Ziel von Angriffen. In Erfurt waren ein mutmaßlicher Angehöriger der gewaltbereiten rechtsextremen Hooligan-Szene und seine schwangere Freundin im Mai nachts in ihrer Wohnung überfallen und von als Polizisten verkleideten Eindringlingen misshandelt worden.
Zu den Rechtsextremisten, die der Verfassungsschutz auf dem Schirm hat, zählen auch rund 1000 sogenannte Reichsbürger. Das sind Menschen, die die Bundesrepublik und ihre demokratischen Strukturen nicht anerkennen. Oft stehen sie deshalb im Konflikt mit Behörden. Nicht alle Menschen, die von den Sicherheitsbehörden zu den »Reichsbürgern und Selbstverwaltern« gezählt werden, rechnet der Verfassungsschutz dem Rechtsextremismus zu.
QUERDENKER Die Corona-Pandemie habe dabei sogar zur Verstärkung der Gefahr beigetragen, sagte er. Zahlreiche rechtsextreme Großveranstaltungen seien im vergangenen Jahr abgesagt worden. Dafür hätten sich Rechtsextreme bemüht, über die Proteste gegen die staatlichen Corona-Schutzmaßnahmen Anschluss an das bürgerliche Spektrum zu finden.
Sie hätten dem Protest ihren Stempel aufdrücken können, »obwohl sie von der Personenzahl deutlich in der Minderheit waren«, sagte Seehofer und äußerte sich besorgt über die mangelnde Abgrenzung der Mehrheit der Demonstranten gegen mitlaufende Extremisten.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte im April bekannt gegeben, dass es Personen der »Querdenken«-Bewegung, die häufig Anmelderin von Protesten gegen die Corona-Maßnahmen war, beobachtet. Die Behörde richtete dafür eigens die Kategorie »Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates« ein. Begründet wurde der Schritt wegen der Beteiligung einschlägiger Extremisten bei der Bewegung sowie Verbindungen in die Szene der »Reichsbürger«. ja/epd