Stellen Sie sich vor, Martin Luther King hätte »I have a dream« getwittert. Keine 250.000 Zuschauer, kein Lincoln Memorial, dafür aber viele Tweets – und noch mehr Retweets. Was wäre, wenn man all die großen Reden, die zu historischen Meilensteinen wurden, in das Zeitalter der sozialen Medien verlegen würde?
Jede Generation hat ihre eigenen Revolutionäre, die für grundlegende Veränderungen kämpfen. Und so führt jede Generation auch ihre eigenen Kämpfe, unsere junge Generation aber mit neuen Waffen. Greta Thunberg zum Beispiel nutzt ebendiese Waffen. Das 16-jährige Mädchen, das sich zum Ziel gesetzt hat, die Welt wachzurütteln, gilt als Sensation.
umweltpolitik Aus einem handgeschriebenen Schild mit der Aufschrift »Schulstreik für das Klima« wurde schließlich eine Ansprache auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos und der Klimakonferenz in Kattowitz. Aus ihrem Schulschwänzen wurde ein globaler Schülerstreik. Hunderttausende weltweit protestieren freitags gegen die Umweltpolitik. Ihr Motto: »Fridays for Future«. Vor Kurzem war Greta bei einer solchen Schüler-Demo in Hamburg.
Die sozialen Medien lassen sich hierbei nicht wegdenken, eine solche Bewegung kommt erst durch deren Einfluss zustande. Greta selbst twittert und teilt fleißig auf verschiedenen Plattformen, jeder kann jederzeit ihren Weg verfolgen. Genau dieser Weg aber wird von vielen kritisiert. Und so steht die Frage im Raum, welches der richtige Weg ist, sich in dieser Generation, zu diesen Zeiten Gehör zu verschaffen.
hashtag Das geschieht häufig in Form eines Hashtags: #MeToo, #EnoughIsEnough oder eben #FridaysForFuture. Es geht hierbei um völlig unterschiedliche Themen: sexuelle Belästigung, Waffenkontrolle und Umweltpolitik. Jedes Thema ein eigener Kosmos, komplex genug, um für sich allein zu stehen. Dennoch haben sie einen gemeinsamen Kontext, eine Mentalität, die den Zeitgeist unserer Generation prägt: Es reicht! Oder um es in den passenden Hashtag zu übersetzen: #TimesUp!
Wie gut, dass es uns Jugendliche gibt, die Tacheles reden. Unsere Generation will nicht die Zukunft, die uns bevorsteht, wenn so weitergemacht wird wie bisher. Darum also: Tatendrang!
Unsere Generation will nicht die Zukunft, die uns bevorsteht.
Man muss sich nur an die Ereignisse vom März vergangenen Jahres erinnern. In den Vereinigten Staaten wurden etwa eineinhalb Millionen Menschen Teil der »March For Our Lives«-Bewegung, ursprünglich initiiert von einer Gruppe von Teenagern. Die junge Generation hat also ihre eigene Stimme, und zwar eine laute. Ob sie gehört wird, das ist eine andere Frage.
twitter-trend Greta wird gehört. Sie ziert unzählige Titelseiten, wird zum Twitter-Trend, ihre Aussagen werden weltweit wiedergegeben. Sie wird gepriesen und gehasst, bewundert und beschimpft. Sie polarisiert, sie ist überall, und überall, wo sie ist, gibt es auch eine starke Meinung über sie. Das Problem ist, dass es längst nicht mehr nur um Gretas Anliegen und Taten geht. Stattdessen geht es mehr und mehr um sie als Person: die 16-Jährige, die Autistin, das Mädchen, das in Davos zeltet.
Die Medien lechzen nach jedem privaten Detail über Thunberg, die Radikalität ihrer Aussagen wird zum Sujet, die eigentliche Thematik, unsere Klimapolitik, rückt in den Hintergrund. Thunbergs Person und Kompromisslosigkeit haben den Unterhaltungsfaktor als Alibi, um in den Medien Nachklang zu finden. Und so werden unsere eigenen Waffen unsere eigenen Wunden. Durch die sozialen Medien werden politische Aktionen und Forderungen schnell zu etwas Banalem gemacht, zu Lifestyle und Trend.
Revolutionen unserer Zeit haben keine wirkliche Geburtsstunde. Stattdessen werden sie künstlich in digitalen Reagenzgläsern gezüchtet. Sie existieren in digitalen Blasen. Eine Zeit lang entfalten sie eine unglaubliche Kraft, aber zerplatzen doch sehr schnell.
klimawandel Klima-Greta, Öko-Pippi, die Unbeirrbare. Irgendwann ist auch das letzte Wortspiel ausgespielt, sodass das Thema für sich allein steht. Leider ist der Klimawandel zu ernst und nicht unterhaltsam genug, um die für eine Revolution notwendige Medienpräsenz aufrechtzuerhalten.
Aktionen wie »Fridays for Future« oder der von Schülern initiierte »March For Our Lives« erwecken Hoffnung. Wenn Schüler und Studenten Proteste auf die Beine stellen, die globale Dimensionen annehmen, dann macht das Hoffnung. So wie ein vielversprechender Trailer Zuversicht gibt, dass der Film einfach gut werden muss. Bei aller Energie, die wir für einen kurzfristigen Hype aufbringen, dürfen wir aber nicht vergessen, dass der Kampf für eine bessere Zukunft kein Sprint wird, sondern ein Marathon. Unser Engagement zum Beispiel für den Klimaschutz bringt nur dann etwas, wenn es zur Routine wird, nicht zum Trend. Wir brauchen etwas, das in einer Welt von digitalen Blasen nicht existiert: die Konstanz.
»We have a dream«: Wir haben den Traum, dass unsere Sorgen um das Morgen ernst genommen werden – und dass wir Veränderungen erreichen. Das »Fridays for Future«-Fieber mag vergehen, der Klimawandel bleibt.
Die Autorin ist 19 Jahre alt, lebt in München und ist Absolventin der JAcademy.