Der selbstgefällige Antisemitismus der BDS-Kampagne (»Boykott, Desinvestition und Sanktionen«) gegen Israel hat ein neues Level erreicht: Mittlerweile sorgt die Kampagne sogar dafür, dass europäische Musikfestivals gegenüber jüdischen Künstlern Gesinnungsschnüffelei betreiben und von ihnen eine öffentliche Distanzierung vom israelischen Staat verlangen.
Künstler, die sich dem verweigern, werden – Vertrag hin, Vertrag her – vom Festival kurzfristig ausgeladen. Dies passierte gerade dem US-amerikanischen Reggae-Musiker Matisyahu, der als Begründer des »chassidischen Reggae« gilt und der vom weltgrößten Reggae-Festival, dem Rototom Sunsplash im spanischen Benicassim, ausgeladen wurde, weil er sich geweigert hat, eine Resolution zu unterschreiben, die sich einseitig mit einem zu gründenden palästinensischen Staat solidarisiert und Israel als Staat bezeichnet, der »Apartheid und ethnische Säuberung« praktiziere.
BDS Die BDS-Kampagne, die von Pop- und Rock-Stars wie dem ausgewiesenen Antisemiten Roger Waters (»Pink Floyd«), von Brian Eno, Annie Lennox oder der britischen Band »Faithless« unterstützt wird, bezieht sich ausdrücklich auf den Kampf gegen die Apartheid in Südafrika und setzt Israel mit der vergangenen rassistischen Diktatur gleich. Die Aktivisten behaupten, es gehe ihnen um »gerechten Frieden« und »wahre Demokratie« in der Region, dabei könnte man die BDS-Aktivisten ein klein bisschen ernster nehmen, wenn sie sich gegen Menschenrechtsverletzungen in der Scharia-Diktatur Saudi-Arabiens, im Iran oder gegen die massiven Verletzungen demokratischer Grundrechte in Erdogans Regime einsetzen würden.
Aber sie tragen einen absurden Kampf gegen den einzigen wirklich demokratischen Staat der Region aus. Doch hier geht es eben nicht rational, sondern ausgesprochen irrational zu. Antisemitismus, der sich gerne als Antizionismus tarnt (»Wir haben nichts gegen Juden, aber dass Israel ein Apartheidstaat ist, wird man doch noch sagen dürfen...«), ist längst wieder salonfähig. Und dieser neue Antisemitismus verschafft nicht zuletzt den »Wird man doch noch sagen dürfen«-Deutschen das wohlige Gefühl, einer Opfergemeinschaft anzugehören – dort, wo andere vermeintlich Täter werden (Israel, das angeblich gegen die Palästinenser wie ein Apartheidstaat agiert), gehört man selber gleich viel weniger einem Tätervolk an. Eine verschwurbelte, aber gern genommene Entlastungsphantasie, weswegen die ekelhafte BDS-Kampagne hierzulande auch auffallend viele Freunde hat.
Apartheid Dass die Boykottaufrufe der BDS-Kampagne System haben und auf fruchtbaren Boden treffen, zeigt auch eine von rund 200 Filmemachern unterzeichnete Boykott-Resolution gegen die Auswahl Israels für die »Carte Blanche«-Sektion des gerade im schweizerischen Locarno zu Ende gegangenen Filmfestivals, die man auf der BDS-Seite finden kann. Regisseure wie Loach oder Godard haben unterzeichnet, ebenso wie einige palästinensiche Regisseure – deren Filme oft mit Mitteln der israelischen Filmförderung finanziert wurden. Typisch Apartheidsystem eben.
Die Art und Weise, wie beim vom spanischen Staat subventionierten Rototom-Sunsplash-Festival mit Matisyahu, dem jüdischen Reggae- und Rap-Star aus Pennsylvania, umgesprungen wurde, erinnert an die Barbarei finsterster Zeiten. Die Festival-Organisatoren haben laut eigener Aussage »immer wieder den Dialog mit Matisyahu gesucht«, aber der Künstler gab sich nicht dafür her, eine einseitige Petition zugunsten eines Palästinenserstaats und gegen Israel zu unterzeichnen. Hat man mit anderen Reggaestars den »Dialog gesucht«, um sich deren Haltung sicher zu sein?
Natürlich nicht. Die Gesinnungsschnüffelei betraf einzig Matisyahu, und zwar einzig deshalb, weil er Jude ist. Und die Ausladung des Künstlers hat einzig damit zu tun, daß er sich als US-amerikanischer, jüdischer Musiker nicht gegen Israel aussprach. Das führte zur Ausladung des Künstlers: Reggae-Fans! Hört keine Musik von Juden! Das Rototom Sunsplash-Festival, das nach eigenem Bekunden auf »22 Jahre der Förderung des Friedens, der sozialen Gerechtigkeit und der Menschenrechte« zurückblickt, betreibt die Sache der Barbarei. Eine Politik, die man so bisher nur von den Nationalsozialisten (»Entartete Musik«) und von einschlägigen Diktaturen kannte.
»Kein Künstler verdient es, in eine derartige Situation gebracht zu werden«, schreibt Matisyahu, der unlängst bei der Eröffnung der European Maccabi Games in der Berliner Waldbühne aufgetreten war, in einem Statement über die Erpressungsversuche des Festivals: »Mein Ziel ist es, Musik für alle Menschen zu machen – unabhängig von Rasse, Religion, Staat oder kulturellem Background.« Traurig, dass dies in der europäischen Festivallandschaft des Jahres 2015 nicht selbstverständlich ist.
Berthold Seliger ist Konzertagent und Autor. Im Juni erschien sein neues Buch »I Have A Stream – Für die Abschaffung des gebührenfinanzierten Staatsfernsehens« (Edition Tiamat, Berlin).