Meinung

Hört keine Musik von Juden!

Die Ausladung des Sängers Matisyahu von einem spanischen Festival markiert einen neuen Höhpunkt antisemitischen Treibens

von Berthold Seliger  17.08.2015 18:37 Uhr

Berthold Seliger Foto: Heiko Laschitzki

Die Ausladung des Sängers Matisyahu von einem spanischen Festival markiert einen neuen Höhpunkt antisemitischen Treibens

von Berthold Seliger  17.08.2015 18:37 Uhr

Der selbstgefällige Antisemitismus der BDS-Kampagne (»Boykott, Desinvestition und Sanktionen«) gegen Israel hat ein neues Level erreicht: Mittlerweile sorgt die Kampagne sogar dafür, dass europäische Musikfestivals gegenüber jüdischen Künstlern Gesinnungsschnüffelei betreiben und von ihnen eine öffentliche Distanzierung vom israelischen Staat verlangen.

Künstler, die sich dem verweigern, werden – Vertrag hin, Vertrag her – vom Festival kurzfristig ausgeladen. Dies passierte gerade dem US-amerikanischen Reggae-Musiker Matisyahu, der als Begründer des »chassidischen Reggae« gilt und der vom weltgrößten Reggae-Festival, dem Rototom Sunsplash im spanischen Benicassim, ausgeladen wurde, weil er sich geweigert hat, eine Resolution zu unterschreiben, die sich einseitig mit einem zu gründenden palästinensischen Staat solidarisiert und Israel als Staat bezeichnet, der »Apartheid und ethnische Säuberung« praktiziere.

BDS Die BDS-Kampagne, die von Pop- und Rock-Stars wie dem ausgewiesenen Antisemiten Roger Waters (»Pink Floyd«), von Brian Eno, Annie Lennox oder der britischen Band »Faithless« unterstützt wird, bezieht sich ausdrücklich auf den Kampf gegen die Apartheid in Südafrika und setzt Israel mit der vergangenen rassistischen Diktatur gleich. Die Aktivisten behaupten, es gehe ihnen um »gerechten Frieden« und »wahre Demokratie« in der Region, dabei könnte man die BDS-Aktivisten ein klein bisschen ernster nehmen, wenn sie sich gegen Menschenrechtsverletzungen in der Scharia-Diktatur Saudi-Arabiens, im Iran oder gegen die massiven Verletzungen demokratischer Grundrechte in Erdogans Regime einsetzen würden.

Aber sie tragen einen absurden Kampf gegen den einzigen wirklich demokratischen Staat der Region aus. Doch hier geht es eben nicht rational, sondern ausgesprochen irrational zu. Antisemitismus, der sich gerne als Antizionismus tarnt (»Wir haben nichts gegen Juden, aber dass Israel ein Apartheidstaat ist, wird man doch noch sagen dürfen...«), ist längst wieder salonfähig. Und dieser neue Antisemitismus verschafft nicht zuletzt den »Wird man doch noch sagen dürfen«-Deutschen das wohlige Gefühl, einer Opfergemeinschaft anzugehören – dort, wo andere vermeintlich Täter werden (Israel, das angeblich gegen die Palästinenser wie ein Apartheidstaat agiert), gehört man selber gleich viel weniger einem Tätervolk an. Eine verschwurbelte, aber gern genommene Entlastungsphantasie, weswegen die ekelhafte BDS-Kampagne hierzulande auch auffallend viele Freunde hat.

Apartheid Dass die Boykottaufrufe der BDS-Kampagne System haben und auf fruchtbaren Boden treffen, zeigt auch eine von rund 200 Filmemachern unterzeichnete Boykott-Resolution gegen die Auswahl Israels für die »Carte Blanche«-Sektion des gerade im schweizerischen Locarno zu Ende gegangenen Filmfestivals, die man auf der BDS-Seite finden kann. Regisseure wie Loach oder Godard haben unterzeichnet, ebenso wie einige palästinensiche Regisseure – deren Filme oft mit Mitteln der israelischen Filmförderung finanziert wurden. Typisch Apartheidsystem eben.

Die Art und Weise, wie beim vom spanischen Staat subventionierten Rototom-Sunsplash-Festival mit Matisyahu, dem jüdischen Reggae- und Rap-Star aus Pennsylvania, umgesprungen wurde, erinnert an die Barbarei finsterster Zeiten. Die Festival-Organisatoren haben laut eigener Aussage »immer wieder den Dialog mit Matisyahu gesucht«, aber der Künstler gab sich nicht dafür her, eine einseitige Petition zugunsten eines Palästinenserstaats und gegen Israel zu unterzeichnen. Hat man mit anderen Reggaestars den »Dialog gesucht«, um sich deren Haltung sicher zu sein?

Natürlich nicht. Die Gesinnungsschnüffelei betraf einzig Matisyahu, und zwar einzig deshalb, weil er Jude ist. Und die Ausladung des Künstlers hat einzig damit zu tun, daß er sich als US-amerikanischer, jüdischer Musiker nicht gegen Israel aussprach. Das führte zur Ausladung des Künstlers: Reggae-Fans! Hört keine Musik von Juden! Das Rototom Sunsplash-Festival, das nach eigenem Bekunden auf »22 Jahre der Förderung des Friedens, der sozialen Gerechtigkeit und der Menschenrechte« zurückblickt, betreibt die Sache der Barbarei. Eine Politik, die man so bisher nur von den Nationalsozialisten (»Entartete Musik«) und von einschlägigen Diktaturen kannte.

»Kein Künstler verdient es, in eine derartige Situation gebracht zu werden«, schreibt Matisyahu, der unlängst bei der Eröffnung der European Maccabi Games in der Berliner Waldbühne aufgetreten war, in einem Statement über die Erpressungsversuche des Festivals: »Mein Ziel ist es, Musik für alle Menschen zu machen – unabhängig von Rasse, Religion, Staat oder kulturellem Background.« Traurig, dass dies in der europäischen Festivallandschaft des Jahres 2015 nicht selbstverständlich ist.

Berthold Seliger ist Konzertagent und Autor. Im Juni erschien sein neues Buch »I Have A Stream – Für die Abschaffung des gebührenfinanzierten Staatsfernsehens« (Edition Tiamat, Berlin).

Elon Musk

Bundesregierung sieht versuchte Einflussnahme durch Musk

Elon Musk sorgt mit einem erneuten Wahlaufruf für die AfD für Wirbel. Die Bundesregierung verweist auf die Meinungsfreiheit - übt aber auch Kritik

 30.12.2024

Interview

»Eine Schande für unser Land«

Der scheidende FDP-Abgeordnete Frank Müller-Rosentritt zieht eine Bilanz der Ampel-Politik gegenüber Israel – und kritisiert das deutsche Abstimmungsverhalten in der UN scharf

von Michael Thaidigsmann  30.12.2024

Jerusalem

Netanjahu würdigt Jimmy Carter als Friedensstifter

Der ehemalige US-Präsident ist am Sonntag im Alter von 100 Jahren gestorben

 30.12.2024

Berlin

Polizeipräsidentin über Vorgehen israelfeindlicher Aktivisten: »agitieren und aufstacheln«

Barbara Slowik Meisel äußert sich zum harten Kern der »propalästinensischen« Proteste in der Hauptstadt

 30.12.2024

USA

Jimmy Carter ist tot

Als Vermittler machte er sich um den Nahen Osten verdient, doch seine späteren Bücher zu dem Thema sind höchst umstritten

von Imanuel Marcus  30.12.2024

Rechtsextremismus

Schweiz: Treffen von AfD-Politikern mit »Blood and Honour«-Anhängern zum Thema »Remigration« sorgt für Schlagzeilen

Die Hintergründe

von Basil Wegener  29.12.2024

Jerusalem

Netanjahu im Krankenhaus - Gericht verschiebt Anhörung

Die Gerichtstermine im Korruptionsprozess gegen Israels Regierungschef kollidieren oft mit seinen Amtsgeschäften. Diesmal zwingt ihn jedoch ein anderer Grund zu einer Absage

 29.12.2024

Welt am Sonntag

Heftige Diskussionen über Elon-Musk-Gastbeitrag zur AfD

Der Beitrag des US-Milliardärs sorgte auch in der »Welt«-Redaktion für Streit. Nun zog die Leiterin des Meinungsressort Konsequenzen und kündigte

von Alexander Missal  28.12.2024

Meinung

Der AfD-Claqueur

Elon Musk hat sich als Unterstützer der AfD geoutet. Das sollte seinen Anhängern in Deutschland eine Warnung sein

von Michael Thaidigsmann  28.12.2024 Aktualisiert