Zum Schluss entzog sogar der Senat der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) Christiane Dienel das Vertrauen. Nach monatelanger Auseinandersetzung über den Umgang der HAWK-Präsidentin mit Antisemitismusvorwürfen gegen ein Seminar ihrer Hochschule glaubt selbst das Gremium nicht mehr daran, dass Dienel die Krise managen kann.
Der Senat habe den Eindruck gewonnen, heißt es, dass die 51-Jährige der Aufklärung der Hochschulaffäre schade. Man sei »der Überzeugung, dass die dadurch entstandenen Verwerfungen nicht mehr von der amtierenden Präsidentin behoben werden können«. Im Mai hatte die Kommission eine Verlängerung des Vertrags noch befürwortet, doch jetzt kommt die Misstrauenserklärung.
schlachtfeld Eine bittere Pille für die Hochschulpräsidentin, die sich in ihrem Selbstverständnis als Verfechterin der Freiheit der Lehre und der universitären Unabhängigkeit sieht – und als Opfer einer proisraelischen Lobby. Eine solche habe die HAWK, so verstieg sie sich im Sommer im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen, zum »Schlachtfeld des israelisch-palästinensischen Konflikts« gemacht.
Ein Jahrzehnt lang wurden von der Lehrbeauftragten Ibtissam Köhler in ihrem Studienseminar für Sozialarbeit mit dem Titel »Zur sozialen Lage von Jugendlichen in Palästina« Studenten mit Unterrichtsmaterial versorgt, das gespickt war mit antisemitischen Texten. Von Informationen zur sozialen Lage palästinensischer Jugendlicher keine Spur, konstatierte ein Gutachten der Berliner Amadeu Antonio Stiftung. Und obwohl schon früher immer wieder – auch von Studenten – Kritik geübt wurde, duldete die HAWK-Leitung diese Pseudolehrveranstaltung.
Christiane Dienel ist seit 2011 Präsidentin der Hildesheimer HAWK. Die Religionspädagogin Rebecca Seidler aus Hannover, die dort auch Dozentin ist, war auf das fragwürdige Seminar aufmerksam geworden. Als die antisemitische Tendenz dann durch eine Beschwerde des Zentralrats der Juden ans Wissenschaftsministerium und durch eine Veröffentlichung in der Jüdischen Allgemeinen bekannt gemacht wurde, setzten die Hochschulverantwortlichen und Gremien allerdings nicht auf transparente Aufklärung.
Fakultät Die Ethik-Kommission der HAWK stellte der Dozentin einen Persilschein aus, in dem sie keinen Anhaltspunkt fand, dass »antiisraelische oder antisemitische Inhalte in unzulässiger Weise propagiert« wurden. Auch die Dekanin der Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit, Christa Paulini, stellte sich vor die Dozentin. Inzwischen ist sie zurückgetreten. Die Dozentin wurde schließlich suspendiert. Aber auch Präsidentin Dienel verweigerte über Wochen eine Aufklärung – mit der Begründung, die inhaltliche Verantwortung für die Lehre liege bei den Fakultäten und den Lehrenden.
Erst nach und nach ließ Dienel sich nach reichlich Druck aus dem Wissenschaftsministerium darauf ein, was ihre Aufgabe als HAWK-Chefin gewesen wäre: die Vorwürfe zu prüfen. Sie gab ein wissenschaftliches Gutachten bei der Leiterin des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin, Stefanie Schüler-Springorum, in Auftrag. Mitte November wird es der Hochschule übergeben. Über seinen Inhalt ist zunächst Stillschweigen vereinbart.
Dienel aber trat jetzt schon nach: Die HAWK habe ihr »nicht vollständig und nicht in der gebotenen Zügigkeit« geholfen, den Vorfall aufzuklären. Man habe sie im Stich gelassen, als sie »mit der Autorität meines Amtes und meiner Person« die HAWK gegen Vorwürfe in Schutz genommen habe. Im Kern sei es um die Frage gegangen, inwieweit wegen der »Verwendung von israelkritischen, in Einzelfällen auch die Grenze zum Antisemitismus überschreitenden Materialien im Rahmen des Moduls der Vorwurf des Antisemitismus gegen das gesamte Seminar« gerechtfertigt sei.
Intransparenz Die oppositionelle CDU-Landtagsfraktion in Hannover macht auch das Wissenschaftsministerium für die Intransparenz um die Vorgänge in Hildesheim verantwortlich. Die grüne Ministerin Gabriele Heinen-Kljajic müsse nun für Transparenz sorgen, forderte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Jörg Hillmer.
Rebecca Seidler hofft, »dass die HAWK eine ernsthafte und selbstkritische Aufarbeitung des gesamten Vorgangs vornimmt«. Dass sie nun in der Krise ist, findet Seidler, »haben sich Frau Dienel und die HAWK selbst zuzuschreiben«.