Es gibt eine vielfältige Kultur des Outings in diesem Land. Zuletzt war es der frühere Nationalspieler Thomas Hitzlsperger, der sich »endlich« dazu durchgerungen hat, offen über seine Homosexualität zu sprechen. Warum ist das so wichtig für uns? Warum sollte man sich als Fußballfan für Hitzlspergers Privatleben interessieren? Und warum sollte er es uns erzählen? Er spielte gut – und fertig, sollte man meinen. Ich frage meinen Schreiner ja auch nicht, ob er verheiratet ist, solange ich keinen Schiduch für ihn habe.
Dennoch ist das Coming-out eines Fußballstars hochinteressant. Vor allem, weil Hitzlsperger so lange gewartet hat, bis seine Profikarriere zu Ende war. Warum eigentlich? Wenn er mit dieser Lebensweise zufrieden ist, hätte er es uns allen doch schon längst erzählen können. Schuhgröße, Gewicht, Lieblingsessen und weitere persönliche Informationen – das alles wird ja ständig über die prominenten Kicker veröffentlicht. Schwul zu sein, ist aber offensichtlich etwas anderes.
Gewiss, das Judentum spricht sich klar und strikt gegen homosexuelle Beziehungen aus. Aber es geht bei dem Thema, zu dem uns der Fall Hitzlsperger führt, um eine ganz andere Frage: Akzeptiert unsere Gesellschaft Menschen, so wie sie sind, oder nicht? Wir dürfen nicht vergessen, dass auch Homosexuelle vom Nazi-Regime verfolgt und ermordet wurden. Uns allen liegt der Kampf gegen Antisemitismus und gegen Rassismus am Herzen, auch in den Fußballstadien.
gedenken Das Volk liebt den Fußball, und entsprechend werden viele Menschen erreicht, wenn große Fußballclubs gegen Antisemitismus vorgehen. Wenn beispielsweise die Fanclubs von Borussia Dortmund, der Stadt, in der ich Rabbiner bin, einen Gedenktag für Julius Hirsch, einen jüdischen Fußballer, der in der Schoa ermordet wurde, veranstalten, freue ich mich sehr über dieses positive Signal.
Aber bis eine menschenfreundliche Atmosphäre in den Stadien herrscht, wird es noch dauern. Hätte Thomas Hitzlsperger seine Homosexualität noch als aktiver Spieler öffentlich gemacht, die Fans der gegnerischen Teams hätten diese Information vermutlich schlimm gegen ihn ausgenutzt. Das darf nicht sein, völlig unabhängig von der Frage, ob es richtig ist, ein Coming-out zu haben. Jeder Mensch bleibt ein Mensch, und seine Würde muss von uns allen geachtet werden.
Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Kultusgemeinde Groß-Dortmund und hat diesen Kommentar zusammen mit seinem Sohn Amiad (13) verfasst.