Die bayerische Staatsregierung nimmt von der Unterstützung einer wissenschaftlichen Edition von Hitlers Mein Kampf Abstand und setzt auch nach 2015 auf ein Verbot des Buches.
Ursprünglich wollte Bayern, wenn die Rechte an Mein Kampf am 31. Dezember 2015, also 70 Jahre nach dem Todesjahr Hitlers, freiwerden, eine eigene Mein-Kampf-Ausgabe herausgeben. So sollte auf die dann zu erwartenden Neuauflagen reagiert werden. Dieser Beschluss reifte im April 2012 nach Rücksprache mit der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Vertretern von Sinti- und Romaverbänden, Kirchen und anderen gesell schaftlichen Gruppen.
Es sollte eine kritisch kommentierte und wissenschaftlich aufbereitete Edition von Mein Kampf erarbeitet werden – unterstützt und gefördert von der bayerischen Staatsregierung. Den Auftrag dazu erhielt das Institut für Zeitgeschichte München (IfZ). 500.000 Euro bekam es dafür bislang.
strafverfahren Damit ist es jetzt vorbei. »Das Kabinett ist einhellig zu der Auffassung gelangt, diesen Ansatz nicht mehr zu verfolgen«, heißt es auf Anfrage der Jüdischen Allgemeinen. Mein Kampf sei volksverhetzend, eine Verbreitung in Deutschland deshalb strafbar. »Die Staatsregierung wird darauf hinwirken, dass Strafverfolgungsbehörden bei etwaigen Veröffentlichungen von Mein Kampf in Deutschland tätig werden und Strafverfahren einleiten.«
Als Grund gibt Bayern an, die ursprünglichen Pläne seien »bei Überlebenden des Holocaust auf Unverständnis und Ablehnung gestoßen«. Auch das laufende Parteiverbotsverfahren nannte Ministerpräsident Horst Seehofer als Motiv: »Ich kann nicht einen NPD-Verbotsantrag stellen, und anschließend geben wir sogar noch unser Staatswappen her für die Verbreitung von Mein Kampf – das geht schlecht.«
erbe Seehofer bleibt bezüglich Mein Kampf bei der vertrauten Linie des Freistaats. 1948 hatte Bayern das Erbe des einstmals von Österreich nach Bayern eingewanderten Adolf Hitler vor der Spruchkammer München 1 erstritten.
Zu dem Erbe gehören auch die Rechte an jenem Buch, das vor und während der Nazizeit in Millionenauflage erschienen war und den Grundstock für das zeitweilige Millionenvermögen Hitlers bildete: Mein Kampf. Die Mischung aus Biografie und politischem Wahn, 1924 während der Haft in der Festung Landsberg Rudolf Hess diktiert, wurde fast elf Millionen mal gedruckt und war schon in der Weimarer Republik ein Bestseller.
Damit sich das nicht wiederholt, sicherte sich der Freistaat die Rechte und tat alles, um Neuauflagen des Machwerks zu verhindern – in Deutschland mit Erfolg, im Ausland ohne: Mein Kampf ist in zahlreichen Ländern und Sprachen erschienen. Auch das deutschsprachige Original kann jeder, der es will, im Internet als PDF innerhalb von wenigen Sekunden auf seinen Computer laden oder es, vollkommen legal, antiquarisch erwerben.
Auch mit anderen Nachlassgegenständen Hitlers verfährt Bayern so: Wo immer einstige Besitztümer des Diktators auftauchten, reklamierte der Freistaat seine Eigentumsrechte. Sein Ziel, einen Devotionalienhandel zu unterbinden, hat er damit weitgehend erreicht.
sperrfrist Wert legt die bayerische Staatsregierung darauf, dass sie die geplante kritische Edition des IfZ nicht verbieten will. »Eine wissenschaftliche und historische Auseinandersetzung mit Mein Kampf« falle nicht unter den Begriff Volksverhetzung. Entsprechend hält das IfZ auch an seinen Plänen fest: Man werde die Herausgabe nun »in eigener Verantwortung weiter verfolgen und die Edition fristgerecht zum Ablauf der urheberrechtlichen Sperrfrist Ende 2015 veröffentlichen«, heißt es in einer Erklärung.
Die Reaktionen auf den Kurswechsel Bayerns fallen unterschiedlich aus: Charlotte Knobloch, Präsidentin der IKG München, begrüßt die Entscheidung Bayerns. »Hitlers Machwerk ist von Hass und Menschenverachtung durchdrungen und erfüllt Experten zufolge den Tatbestand der Volksverhetzung.« Knobloch hatte sich bereits 2012 gegen eine Veröffentlichung des Buches gewandt.
Der Historiker Michael Wolffsohn schreibt im »Focus«, die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Hitler und dem Nationalsozialismus bleibe Daueraufgabe. Ganz anders wäre jedoch eine unkommentierte Veröffentlichung von Mein Kampf zu bewerten.
Der Publizist Gideon Böss glaubt auf »Welt Online« hingegen, von dem Buch gehe keine Gefahr mehr aus: »Was erfährt man denn in Mein Kampf, dass man dieses Werk verstecken müsste? Dass Hitler viel und leidenschaftlich gehasst hat, vor allem die Juden? Ja, das erfährt man, und es ist nicht wirklich überraschend oder neu.«