EILMELDUNG! Internationaler Strafgerichtshof erlässt Haftbefehl gegen Israels Premier Netanjahu

Leipzig

Historischer Moment

Symbolträchtiges Geschenk: Zentralratspräsident Josef Schuster übergibt dem neuen Militärbundesrabbiner Zsolt Balla einen Toramantel. Foto: Andreas Schulz / Zentralrat d. Juden

Zsolt Balla ist die Aufregung anzumerken. Der Rabbiner steht in der heißen Mittagssonne vor der Synagoge in der Leipziger Keilstraße und begrüßt die Ehrengäste. Aus diesem Haus hat Balla, Landesrabbiner von Sachsen und Gemeinderabbiner in Leipzig, seit Beginn der Corona-Pandemie Gottesdienste gestreamt – und vielen Juden damit über die schwere Zeit hinweggeholfen. Doch dies ist kein Tag wie jeder andere. Zwar hat Zsolt Balla auch an diesem Montagmorgen ein Schacharit-Gebet aus Leipzig in die Welt gesendet – diesmal aus dem Gemeindehaus, nicht aus der Synagoge.

Doch wenige Stunden später, am Nachmittag des 21. Juni, wird der 42 Jahre alte gebürtige Ungar in dem Gotteshaus in der Keilstraße in sein neues Amt als Militärbundesrabbiner eingeführt – als erster deutsch-jüdischer Armeegeistlicher seit mehr als 100 Jahren. Bis zu zehn weitere Militärrabbiner sollen folgen, nicht nur als Seelsorger für jüdische Soldatinnen und Soldaten, sondern auch als Ansprechpartner zum Thema Judentum für die Bundeswehr.

ZEREMONIE Die Brodyer Synagoge in Leipzig mit den bunt verglasten Fenstern und den geometrischen Davidstern-Mustern an der Decke, erbaut Anfang des 20. Jahrhunderts im historisierenden neomaurischen Stil, ist wie geschaffen für diese Zeremonie, die der Zentralrat der Juden in Deutschland ausrichtet: ein Gotteshaus, das in der Pogromnacht 1938 nicht angezündet wurde, weil es sich in einem Wohnhaus befand. Unten links in der ersten Reihe des Emporensaals sitzen Zentralratspräsident Josef Schuster und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, rechts haben Rabbiner Balla und seine Frau Marina Platz genommen.

Erschienen sind auch die Wehrbeauftragte des Bundes, Eva Högl, der Generalinspekteur der Bundeswehr, Eberhard Zorn, Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linke), der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Wolfgang Hellmich (SPD), der Sächsische Staatsminister für Kultus, Christian Piwarz (CDU), der Antisemitismusbeauftragte des Bundes, Felix Klein, Zentralratsvizepräsident Abraham Lehrer, Zentralratsgeschäftsführer Daniel Botmann, das Präsidiumsmitglied und Vorsitzender der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig, Küf Kaufmann, der Oberbürgermeister der Stadt Burkhard Jung (SPD), der israelische Botschafter Jeremy Issacharoff und Dutzende von weiteren Ehrengästen aus Politik, Gemeinden, Kirchen, Militär und Gesellschaft.

Wegen der Corona-Regeln mit Test-, Masken- und Abstandspflicht ist die Brodyer Synagoge nicht voll besetzt. Doch das tut der würdevollen Feier, die im MDR-Fernsehen übertragen wird, keinen Abbruch.

SPIEGELBILD Josef Schuster ist der erste von sieben Rednern (vgl. Seite 8). Die Einführung eines Militärrabbinats sei noch vor Jahrzehnten undenkbar gewesen und »alles andere als selbstverständlich«, unterstreicht der Zentralratspräsident. »Daher haben wir allen Grund zur Dankbarkeit.«

Der Auftrag sei auch politisch zu verstehen: Es gelte nicht nur, Rechtsradikale aus der Bundeswehr zu verbannen, sondern alle anderen Soldaten zu stärken und in ihrer demokratischen Gesinnung zu festigen, sagt Schuster. »Denn so wie die Bundeswehr ein Spiegelbild unserer Gesellschaft sein soll, so wirkt sie umgekehrt auch in unsere Gesellschaft hinein.«

Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer (CDU) spricht von einem »Tag von großer Tragweite«. Denn: »Wir stärken und bekräftigen etwas, das gerade vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte sehr viel wiegt, obwohl es beinahe normal klingt: Normalität. Eine Normalität, die bekennt: Jüdisches Leben, Jüdinnen und Juden gehören zu Deutschland, und Judentum gehört zur Bundeswehr«, sagt die Ministerin, die auch an die Unterzeichnung des Staatsvertrags über die jüdische Militärseelsorge erinnert – 2019 auf dem Gemeindetag des Zentralrats in Berlin. Der Festakt sei »das Ergebnis entschlossener gemeinsamer Arbeit in den vergangenen zwei Jahren«, sagt die CDU-Politikerin.

Zsolt Balla stellt sich und sein Gebet in den Dienst der Gemeinschaft.

Es folgen die Ansprachen des katholischen Militärbischofs Franz-Josef Overbeck und des evangelischen Militärbischofs Bernhard Felmberg. Der Soul-Key-A-cappella-Chor aus Israel, der die Veranstaltung umrahmt, singt Verse aus Psalm 126: »Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten«. Anschließend segnet Rabbiner Andreas Nachama, Vorsitzender der Allgemeinen Rabbinerkonferenz, seinen orthodoxen Kollegen Zsolt Balla.

Rabbiner Avichai Apel, Vorstandsmitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland, hilft seinem Kollegen beim Umlegen des Tallit, des Gebetsschals. Und Josef Schuster liest dem neuen Militärbundesrabbiner nicht nur die Ernennungsurkunde vor, sondern überreicht ihm zudem ein symbolträchtiges Geschenk: »Im Rahmen Ihrer Tätigkeit wird es sicherlich auch notwendig werden, mitunter mit der Truppe andere Orte aufzusuchen, sei es im Inland oder im Ausland«, sagt Schuster und übergibt Rabbiner Zsolt Balla einen Schutzmantel für seine Reisetorarolle. »Ich wünsche Ihnen, dass dieser Mantel nicht nur als praktisch-mechanischer Schutz für die Torarolle dienen möge, sondern auch Sie beschützen möge und mit Ihnen all die Menschen, für die Sie die geistliche Verantwortung übernehmen.«

HERAUSFORDERUNG In seiner Dankesrede sagt Rabbiner Balla: »Ich stehe heute demütig hier vor Ihnen. Ich spüre die Last der Geschichte auf meinen Schultern. Die deutsche Gesellschaft und die jüdische Gemeinschaft in Deutschland haben einen langen Weg zurückgelegt, um diesen historischen Moment zu erreichen.« Bei allen Herausforderungen und Problemen empfinde er Dankbarkeit, in einem Land zu leben, das sich seiner Vergangenheit gestellt habe.

Seine Ansprache endet mit einem Aufruf zum Gebet: »Wir haben ein sehr herausforderndes Jahr hinter uns, und die Pandemie ist noch nicht vorbei. Hier in Leipzig, in ebendieser Synagoge haben wir jeden Tag gebetet, dass wir alle das durchstehen und stärker aus dieser Zeit hervorgehen, als wir vorher waren. Bitte erheben Sie sich.«

Und dann erklingt erneut die Stimme von Zsolt Balla in der Brodyer Synagoge. Er trägt ein »Gebet während des Coronavirus-Ausbruchs« vor. »Bitte, Ewiger, stärke die Hände der Ärzte und aller, die ihre Arbeit tun, die sich selbst opfern, um sich an diesem heiligen Dienst zu beteiligen, und erleuchte ihre Augen, um ein passendes Medikament zu finden, denn Du bist treu darin, die Heilung vor der Krankheit voranzubringen«, betet er zum Schluss. Ein »ziviler« Wunsch des Militärbundesrabbiners bei seiner Amtseinführung. Aber einer, der zeigt: Zsolt Balla stellt sich und sein Gebet in den Dienst der Gemeinschaft. Auch und gerade an diesem historischen Tag.

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