Bauernproteste

»Hinter der Wut steckt echte Verzweiflung«

Yisrael Yitzchak Schmitt züchtet Rinder und Ziegen. Im Interview erzählt der jüdische Landwirt, warum er die Bauern versteht – aber auch die Bundesregierung, die vor einer schwer zu lösenden Aufgabe steht

 15.01.2024 16:16 Uhr

Yisrael Yitzchak Schmitt mit einem seiner zwanzig Rinder. Foto: privat

Yisrael Yitzchak Schmitt züchtet Rinder und Ziegen. Im Interview erzählt der jüdische Landwirt, warum er die Bauern versteht – aber auch die Bundesregierung, die vor einer schwer zu lösenden Aufgabe steht

 15.01.2024 16:16 Uhr

Herr Schmitt, seit die Bundesregierung die Streichung von Agrardieselsubventionen und die Kfz-Steuerbefreiung diskutiert, protestieren die deutschen Landwirte. Können Sie das verstehen?
Auch wenn mich die Streichungen nicht so stark betreffen, habe ich großes Verständnis für das Leid der Landwirte und fahre heute auch auf einem Protest mit meinem Schlepper mit. Was die Regierung da ursprünglich geplant hatte, wäre ein immenser Einschnitt für viele Landwirte, und für einige Großbetriebe hätte es sicher das Aus bedeutet. Es ist leider so, dass ohne Subventionen des Bundes und aus der EU viele Bauern nicht mehr über die Runden kommen. Ich kenne viele, die sich über Generationen verschuldet haben.

Nach den heftigen Protesten hat die Regierung versprochen, die Landwirtschaft nun doch weiter von der Kfz-Steuer zu befreien. Und die Subventionen beim Agrardiesel will sie nun schrittweise abbauen. Warum reicht das noch nicht?   
Für mich persönlich ist die Befreiung von der Kfz-Steuer schon mal ein wichtiger Schritt, ich hätte sonst etwa 1500 Euro im Jahr mehr bezahlt. Das klingt erstmal nicht nach viel, aber vielleicht kann man anhand meines kleinen Eigenbetriebes ganz gut zeigen, wie knapp wir wirtschaften: Ich habe zurzeit zwanzig Rinder, vierzig Ziegen und zehn Pferde, dazu noch ein bisschen Land, um Futter anzubauen. Ab und zu bringe ich ein Tier zum Schlachter, aber davon allein kann ich nicht mal die Kosten decken. Die Haltung lohnt sich nur, weil ich Geld vom Land bekomme, da meine Tiere eine natürliche Landschaftspflege betreiben: Die Ziegen futtern das Gehölz, die Rinder auch hohes Gras. Dazu beantrage ich im Frühjahr Subventionen von der EU, für sogenannte Umweltmaßnahmen. Wirklich rentieren tut sich das aber auch nicht. Ich habe schon oft überlegt, die Tiere aufzugeben, und nur noch als Zimmerer zu arbeiten, was ich eh schon hauptberuflich mache, um mich über Wasser zu halten. Aber ich komme nicht von meinen Tieren los. Die Landwirtschaft ist eigentlich meine Berufung.

»Es muss ein Umdenken stattfinden, politisch, aber auch in der Gesellschaft.«

Was müsste die Politik ändern?
Das ist nicht einfach, und ich möchte gerade nicht in der Haut eines Landwirtschaftsministers stecken. Es muss ein Umdenken stattfinden, politisch, aber auch in der Gesellschaft. Wenn Menschen mehr Geld für mein Fleisch ausgeben würden, wäre mir schon viel geholfen. Die Supermärkte geben uns aber die Preise vor, und wir Landwirte müssen entsprechend immer mehr sparen, und gleichzeitig mehr produzieren, um mitzuhalten. Ich weiß, dass es nach den Preissteigerungen der letzten Jahre nicht einfach ist, den Leuten jetzt noch zu vermitteln, dass sie eigentlich noch viel mehr für ihre Lebensmittel ausgeben müssten. Vielleicht muss man damit anfangen, den Menschen zu erklären, dass sie nur noch ein, zweimal die Woche Fleisch essen sollten, dafür aber richtig gutes, von gesunden Tieren.

Die Bauernproteste werden auch kritisiert: Sie gelten als radikal, und teilweise von rechts unterwandert.
Ich habe ein Foto gesehen, auf dem Bauern Runen zeigen, eine rechtsextreme Symbolik. Als Jude ist für mich natürlich völlig klar, dass ich sowas ablehne. Ich glaube aber, diese Gefahr laufen große Massenproteste immer. Es ist eben ein Sammelbecken, und natürlich gibt es solche Einstellungen auch unter den Landwirten. Deswegen alle Bauern in die rechte Ecke zu schieben, ist Quatsch. Hier in Baden-Württemberg sind die Bauern eher bunt statt braun. Auch als religiöser Jude werde ich akzeptiert. Klar schütteln manche den Kopf darüber, dass ich an einem sonnigen Samstagmorgen in die Synagoge gehe, statt bei idealen Wetterbedingungen zu mähen. Aber die meisten zeigen mir auch Anerkennung dafür, dass ich meine Religion so überzeugt auslebe. Und sie sehen ja auch, dass es funktioniert!

Alle Bauern in die rechte Ecke zu schieben, ist Quatsch.

Das Judentum ist ursprünglich eng mit der Landwirtschaft verbunden. Viele Gesetze und Vorschriften drehen sich um den Anbau von Pflanzen und das Halten von Tieren.
Genau, und dieses Wissen ist vielen verloren gegangen. Am Schabbat zum Beispiel dürfen wir nicht Dreschen. Aber wer weiß schon noch, was das eigentlich ist? Deswegen plane ich, die Kinder des jüdischen Kindergartens hier bei uns in Stuttgart mal mit zu meinen Tieren zu nehmen. Außerdem möchte ich meine Rinder bald zu einem Schochet nach Straßburg zu bringen, so dass es mehr koscheres Fleisch in Bio-Qualität zu kaufen gibt.

Gibt es noch eine jüdische Weisheit, die Sie den Landwirten mitgeben wollen?
Viele Bauern sind wirklich entmutigt. Die Wut, die man jetzt auf den Straßen sieht, kommt aus einer echten Verzweiflung. Ich kenne einen Bauern, der hat sich umgebracht, weil er nicht mehr wusste, wie er seinen Hof halten kann. Ich versuche immer, die Menschen zu erheitern, meinen Kollegen Mut zu machen. Ich bin sehr fasziniert von der chassidischen Lehre von Rabbi Nachman aus Bratslav. Es gibt dieses berühmte Lied, das auf seinem Text basiert: »Die ganze Welt ist eine schmale Brücke – und das wichtigste ist, keine Angst zu haben.« Mit diesem Motto können sicher auch einige Bauern etwas anfangen.

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