Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, die Schauspielerin Iris Berben, die 102-jährige Holocaust-Überlebende Margot Friedländer, Rabbiner Yehuda Teichtal und viele andere Gäste folgten der Einladung ins Springer-Hochhaus. Kurz nach dem ersten Jahrestag der Massaker und Geiselnahmen des palästinensischen Terrors war die Message klar: »We Will Dance Again«.
Der Titel des Solidaritätskonzertes mit dem Star-Pianisten Igor Levit bezieht sich auf das Nova-Festival, bei dem 364 Teilnehmer ermordet und viele weitere verletzt oder vergewaltigt wurden. Der Tanz soll weitergehen, aber zuerst müssen die verbleibenden 97 Geiseln nach Hause zurückkehren.
Der Gastgeber des Abends, Mathias Döpfner, CEO von Axel Springer SE, warnte in der Konzernzentrale vor dem Terror, der die Massaker in Israel begangen habe, aber »auch hier und überall« passieren könne. Es handle sich nicht um eine »innerisraelische Angelegenheit«.
Taten und Reaktionen
»In einer einmaligen Form von Täter-Opfer-Umkehr« hätten die Ereignisse vor einem Jahr zu einer »weltweiten, neuen, aggressiven Form von Antisemitismus geführt«, sagte Döpfner. Er sprach von »einem Angriff auf unsere Werte, auf die offene Gesellschaft, auf die Art, wie wir leben wollen.« Das Problem gehe »uns alle« an. »Deswegen sollten wir alle dafür sorgen, dass diese Täter-Opfer-Umkehr so nicht weitergeht.«
Er versuche trotz allem, den Optimismus nicht aufzugeben, erklärte der Springer-Chef. »Ich hoffe immer noch, dass das, was passiert, so schrecklich, so unerträglich es ist – und zwar nicht nur die Taten selbst, sondern auch die Reaktionen darauf –, vielleicht am Ende doch ein Weckruf werden wird, ein Weckruf für unsere Werte, ein Weckruf für die Menschlichkeit.«
Maram Stern, der Geschäftsführende Vizepräsident des World Jewish Congress, sprach über die Geiseln in Gaza: »Wir wissen nicht, was mit ihnen passiert ist. Wir wissen gar nicht, ob sie überhaupt noch leben. Es tut weh.«
Kein Ende
Er erwähnte seine Mutter, die »verschiedene Lager« überlebt hatte. Sie habe bis zu ihrem Tod nicht gewusst, was während der Schoa mit ihren Eltern und Geschwistern geschehen sei. »Jetzt stellen Sie sich vor, es gibt noch Eltern von 101 Geiseln, die nicht wissen, was mit ihnen geschehen ist.«
Stern plädierte dafür, dass das Thema Judenhass »im Bundestag besprochen wird«. Antisemitismus sei in jedem Land salonfähig geworden. »Antisemitismus ist keine Meinung. Antisemitismus ist einfach nicht zu akzeptieren.«
Für die israelische Botschaft in Berlin erklärte deren Gesandter Guy Gilady, der Krieg dauere nun schon ein Jahr und zwei Tage an. »Er nimmt kein Ende. Er wird so lange kein Ende nehmen, wie die 101 Geiseln noch in Gefangenschaft der Terroristen sind.«
Mehrere Fronten
Der 7. Oktober habe Israel verändert, so der Diplomat: »Manche sprechen schon jetzt von einem Posttrauma. Aber das ist nicht richtig, denn Israel ist noch immer mitten im Trauma. Und während wir hier sprechen, kämpfen unsere Soldaten an mehreren Fronten.«
»Wir dürfen die Hoffnung nicht verlieren«, sagte Gilady. »Dies ist nicht immer leicht in diesen Tagen, in denen es für manche unmöglich scheint, Empathie mit den angegriffenen Bürgern des Staates Israel zu empfinden. Empathie mit Menschen, die dieselben Werte teilen wie die Mehrzahl der Bürger der Staaten der westlichen, demokratischen, freiheitlichen Welt.«
Seit Monaten führe Israel einen Kampf gegen Feinde, die das Land vernichten wollten, sagte der Gesandte der Botschaft. »Israel schlägt zurück und wird weiter zurückschlagen. Wir haben das Recht und die Pflicht, uns zu verteidigen und wir haben keine andere Wahl. Wie wir diesen Kampf führen, entscheiden wir selbst.«
Starke Stimme
Diese versteckte Kritik an den ständigen Belehrungen, die die israelische Regierung auch aus Berlin zu hören bekommt, milderte Gilady ab, indem er sagte: »Wir brauchen Deutschland. Deutschlands starke Stimme, wenn es darauf ankommt, zum Beispiel bei wichtigen Abstimmungen. Wir brauchen unsere deutschen Freunde hinter uns. Wir brauchen Freunde, die uns den Rücken stärken, wenn besondere und exzessive Maßstäbe an Israel angelegt werden, wie sonst für kein anderes Land.«
Alon Gat, ein Überlebender des 7. Oktober, dessen Mutter und Schwester von der Hamas erschossen wurden, und dessen Frau Yarden Wochen in der Gewalt der Terroristen verbringen musste, sprach ebenfalls zu den etwa 400 Gästen des Abends: »Nach allem was ich durchgemacht habe, fühle ich mich besser, wenn ich hier in Deutschland bin. Dies hat mit Ihrer Unterstützung zu tun.«
Die Freilassung seiner Frau Yarden im Rahmen einer Vereinbarung mit den Terroristen im November letzten Jahres sei »der wundervollste Moment in meinem Leben« gewesen. Seine Schwester Carmel habe er leider nicht retten können. Sie wurde von den Terroristen exekutiert – nach 11 Monaten Geiselhaft.
Israelisches Altersheim
Nun müsse er seiner Tochter erklären, dass ihre liebe Tante nie zurückkommen werde. Er wolle nicht, dass die Vierjährige in einer Welt aufwachsen müsse, in der Geiseln länger als ein Jahr in Gefangenschaft leiden müssten. »Ich glaube wirklich, dass wir sie aus dieser Hölle herausholen können.«
Igor Levit, die Hauptperson des Solidaritätskonzertes, spielte traurig anmutende Kompositionen von Johannes Brahms auf dem bereitstehenden Flügel. Er tat dies in der beeindruckenden Art und Weise, für die er bekannt ist.
Zuvor erzählte er von einer Reise nach Israel, wo er in einem Altersheim Mendelssohn gespielt habe. »Hinterher kam eine ältere Dame auf mich zu und sagte einen Satz, der mich fast zu einem körperlich-nervlichen Zusammenbruch gebracht hat, nämlich aus einem Gefühl von Scham heraus. Sie sagte mir: ›Ich habe es schon mal überlebt. Und die Welt hat mir versprochen, das ich dies nicht nochmal erleben muss. Muss ich es dennoch nochmal erleben?‹« Die Aussage der älteren Dame sei ein Auftrag, sagte der Pianist.
Am Ende des auch von Axel Springer, dem Zentralrat der Juden, der Botschaft Israels und dem World Jewish Congress organisierten Solidaritätskonzertes gab es noch mehr nachdenklich stimmende Musik: Igor Levit und Felix Klein, der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, der zugleich Geiger ist, spielten »Kaddish« von Maurice Ravel »in Gedenken an die zahlreichen Opfer vom 7. Oktober«, wie Klein betonte.