Der Gründer des bisher renommierten Abraham Geiger Kollegs zur Rabbinerausbildung, Walter Homolka, hat sich nach Vorwürfen sexualisierter Belästigung eines Studenten durch einen Mitarbeiter des Kollegs als Gesellschafter zurückgezogen. Die Leo Baeck Foundation, die bisher nur einen Teil der Anteile hielt, habe unentgeltlich alle Anteile an der gemeinnützigen Gesellschaft von Homolka übernommen, teilte das Kolleg am Freitag in Potsdam mit. Die Stiftung sei damit alleinige Trägerin des Geiger-Kollegs. Das Brandenburger Wissenschaftsministerium bekräftigte am Samstag, Ministerin Manja Schüle (SPD) gehe davon aus, dass die Vorwürfe durch die Universität Potsdam umfassend und unabhängig aufgeklärt würden.
träger »Die Anteilsübertragung ist ein wichtiger Schritt für die Neuaufstellung des Abraham Geiger Kollegs«, sagte Kolleg-Kanzlerin Anne-Margarete Brenker am Freitag. Das Führungsteam des Kollegs nehme damit eine weitere »wesentliche Weichenstellung« vor, nachdem am Vortag die frühere Berliner Finanzstaatssekretärin Gabriele Thöne übergangsweise als Direktorin eingesetzt worden war. »Höchste Priorität hat für uns, zügig alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um das Abraham Geiger Kolleg in die Zukunft zu führen und so auch weiterhin das liberale Judentum in Deutschland zu stärken«, erklärte Thöne. Das neue Führungsteam um den Rabbiner Edward van Voolen und die Kanzlerin Anne-Margarete Brenker wolle das Kolleg reformieren. Dabei sei die Berufung Thönes der erste Schritt.
Am vergangenen Sonntag hatte der geschäftsführende Direktor der School of Jewish Theology in Potsdam, Daniel Krochmalnik, seinen Rückzug von diesem Amt erklärt. Er begründete den Schritt mit der Veröffentlichung neuer Vorwürfe gegen das AGK im Nachrichtenmagazin »Der Spiegel«.
Schlammschlacht Krochmalnik war seit 2018 Professor für Jüdische Religion und Philosophie in Potsdam. Im April trat er in den Ruhestand, wollte jedoch sein Lehrdeputat und die Tätigkeit als geschäftsführender Direktor zunächst weiterführen. Wegen eines medizinischen Eingriffs habe er aber nun »nicht die Kraft für diese Schlammschlacht«, begründete er den Schritt in einem Schreiben an den Uni-Präsidenten. Krochmalnik galt bisher als Vertrauter von Rabbiner Walter Homolka.
Personen aus Homolkas Umfeld sprechen laut »Spiegel« von »Herrscherallüren, zerstörten Karrieren und einer Atmosphäre, in der Loyalität wichtiger sei als Fachwissen«. Ein Student habe sich im Januar an die Gleichstellungsbeauftragte der Fakultät gewandt und sich darüber beschwert, dass ein Mitarbeiter des Kollegs, der zugleich Ehemann Homolkas ist, ihm pornografisches Material geschickt habe. Die »Welt« hatte den Fall kürzlich publik gemacht.
Der Zentralrat der Juden hatte vergangene Woche eine zeitnahe, unabhängige Prüfung der Vorgänge durch eine Anwaltskanzlei angekündigt.
Eine Untersuchungskommission der Universität prüft aktuell »diverse Vorwürfe« gegen Homolka und seinen Ehemann, ein Abschlussbericht liegt noch nicht vor. Zudem wurde laut »Spiegel« einer Studentin am Zacharias Frankel College – einer ebenfalls von Homolka geführten Einrichtung – kurz vor ihrer Ordination als Rabbinerin gekündigt. Sie soll sich intern für eine Aufklärung der Vorwürfe starkgemacht haben.
selbstbeschädigung Krochmalnik sieht die Dinge ganz anders. Er bedauert in seinem Brief, dass die Sache überhaupt publik geworden sei. »Es ist mir leider nicht gelungen, meinen Kollegen klarzumachen, dass eine öffentliche Beschädigung des AGK und seines Direktors zwangsläufig eine Selbstbeschädigung der School sei.« Seine Appelle, »den unsittlichen Mailverkehr eines Mitarbeiters niedriger zu hängen«, hätten nichts gefruchtet. Mit Hinweis auf den 2021 eröffneten Neubau des AGK schreibt er: »Nun haben wir ein herrliches neues Gebäude und ein ruiniertes öffentliches Ansehen, das schmerzt.«
Der Zentralrat der Juden hatte vergangene Woche eine zeitnahe, unabhängige Prüfung der Vorgänge durch eine Anwaltskanzlei angekündigt. Das AGK ist vom Zentralrat unabhängig, sodass dieser kaum gegen Rabbiner Homolka vorgehen könnte, sollten Verfehlungen festgestellt werden. Auf Anfrage hieß es beim Zentralrat: »Sollte die Untersuchung zeigen, dass die vorhandenen Strukturen des AGK Machtmissbrauch oder sexualisierte Belästigung begünstigen, dann müssen auf der Grundlage der Erkenntnisse entsprechende Konsequenzen gezogen werden.« Eine gründliche Aufklärung sei auch im Sinne der Opfer. »Daher hat die unabhängige Untersuchung jetzt Priorität.«
Inzwischen wurde bekannt, dass das brandenburgische Wissenschaftsministerium bereits im Januar erste Hinweise auf Missstände am Abraham Geiger Kolleg gehabt haben soll. »Das zuständige Fachreferat hat daraufhin die Universität Potsdam, die dienst- und personalrechtlich zuständig ist, um Klärung der Vorwürfe gebeten«, teilte Ministeriumssprecher Stephan Breiding am Freitag mit. (mit kna und dpa)