Israel ist unsere Zukunft», rief der AfD-Europaabgeordnete Marcus Pretzell am Wochenende in Koblenz. In der Rhein-Mosel-Halle trafen sich Europas Rechtspopulisten zu einer von Pretzell, Ehemann der Parteichefin Frauke Petry, organisierten Konferenz, an der der Niederländer Geert Wilders, die Französin Marine Le Pen vom rechtsextremen Front National und auch Frauke Petry teilnahmen.
Was der positive Bezug zum jüdischen Staat bedeutet, erklärte Pretzell schnell: Der jüdische Staat dient Rechtspopulisten wie ihm als Bollwerk gegen Muslime. Mit Judentum oder mit Gedenken an die Opfer der Schoa hingegen hat die AfD nichts zu tun. Frauke Petry selbst hatte im September 2016 dafür plädiert, dass der Nazibegriff «völkisch» wieder «positiv besetzt» werden müsse.
Wenn Israel die Zukunft ist, so zeigt sich die Gegenwart der AfD in einem Antrag der baden-württembergischen Landtagsfraktion. Die Fördergelder für die Gedenkstätte Gurs in Frankreich, in der die Nazis Juden und Regimegegner zusammengepfercht hatten, bevor sie sie in Vernichtungslager deportierten, sollen gestrichen werden. Von «Erinnerungstourismus» spricht die AfD, Geschichtsbewältigung fange schließlich «in der Heimat an». Der Antrag wurde vom AfD-Bundesvorsitzenden Jörg Meuthen eingebracht.
Außerdem, heißt es in der Beschlussvorlage an den Haushaltsausschuss, solle es künftig keine Fahrten von Schulklassen zu NS-Gedenkstätten mehr geben, stattdessen nur noch zu «bedeutsamen Stätten der deutschen Geschichte». Bedeutsam scheint die Schoa in den Augen der AfD nicht zu sein. Die Partei leugnet zwar nicht den Holocaust, aber sie plädiert für eine «ausgewogene Erinnerungskultur», bei der es keine «einseitige Betonung der dunklen Geschichtskapitel bei gleichzeitiger Verdrängung unserer historischen Leistungen» geben dürfe.
höcke-rede Von dieser Diktion ist auch die mittlerweile berühmte Dresdner Rede des Thüringer AfD-Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke durchdrungen. Am 17. Januar forderte er im Ball- & Brauhaus Watzke am Elbufer im Dresdener Stadtteil Mickten vor grölenden Anhängern der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative ein Ende der «dämlichen Bewältigungspolitik», die bloß die Entwicklung des Landes lähme, weil der Gemütszustand der Deutschen noch immer der «eines total besiegten Volkes» sei. Höcke forderte eine «erinnerungspolitische Wende um 180 Grad». Statt die nachwachsende Generation mit Erfindern, Philosophen, Musikern und Entdeckern vertraut zu machen, werde die deutsche Geschichte «mies und lächerlich» gemacht. «Wir Deutschen sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat», so Höcke.
Claudia Martin, die für die AfD in den baden-württembergischen Landtag gewählt wurde und Ende 2016 aus der Partei austrat, sagt, die AfD sei in einigen Politikfeldern «krasser als das, was die NPD früher wollte». Höckes Rede verfolge das immer gleiche Schema: Ihm gehe es darum, das «deutsche Volk» in Sachen Holocaust «zu entschulden». In Nazikreisen komme Höckes Botschaft an. «Aber er sagt es nicht offen. Denn er weiß, würde er es sagen, wäre dies justiziabel», so Martin zur Jüdischen Allgemeinen.
strategie Auch der Potsdamer Politologe Gideon Botsch sieht in den Äußerungen Höckes eine «Strategie der gezielten Provokation». Sie sei bereits in einem Strategiepapier mit Blick auf die Bundestagswahl in diesem Jahr skizziert. Der Partei gehe es nicht nur darum, sich mit Tabubrüchen bei Rechtswählern ins Gespräch zu bringen, sondern auch, die von ihr sogenannten «Altparteien» zu unüberlegten Reaktionen zu bewegen, die sie dann als «unfair» beschimpfen kann.
Botsch erinnert zudem daran, dass Höcke seine Rede an dem Tag hielt, an dem das Bundesverfassungsgericht ein Verbot der NPD ablehnte. Dadurch stehe die AfD unter Druck, denn sie müsse mit der Konkurrenz von entschlossen auftretenden rechtsextremen Wahlalternativen rechnen. «Das kann sie in Einzelfällen entscheidende Stimmen kosten», analysiert Botsch. «Eine Radikalisierung des Tonfalls auf dem rechtsextremen Flügel der AfD spricht für eine mögliche Nervosität angesichts dieser Konkurrenz.»
Der Politologe Samuel Salzborn hatte schon im Oktober 2016 prognostiziert: «Es ist nur eine Frage der Zeit, wann aus der Partei für Antisemiten auch eine dezidiert antisemitische Partei werden wird.» Und der Rechtsextremismusexperte Olaf Sundermeyer erkennt in Höckes Rede und der Reaktion der Parteispitze das alte Spiel einer Doppelstrategie: die rechtsextreme Klientel bedienen und gleichzeitig nationalkonservative Bildungsbürger nicht abstoßen.
ordnungsmassnahmen Ende vergangener Woche soll ein großer Teil des AfD-Vorstands für einen Ausschluss Höckes plädiert haben. Bei der letztlichen Abstimmung wurden jedoch lediglich «parteiliche Ordnungsmaßnahmen» angekündigt, und diese noch unverbindlich. Harmlos und inhaltsleer fielen auch die Distanzierungen der Parteispitze aus: Ausgerechnet die rechte Wochenzeitung «Junge Freiheit» hatte sich Petry ausgesucht, um Höcke dort lediglich «Alleingänge und ständige Querschüsse» vorzuwerfen, nicht aber seine unüberhörbare Hassrhetorik. Parteivize Beatrix von Storch monierte, Höcke habe nur «seinem Ego» gedient, statt wichtige Themen anzusprechen. Und Nicolaus Fest, Autor und AfD-Mitglied, verkündete, Deutschland habe andere Probleme, man brauche keine «geschichtstheoretischen Erörterungen».
Verteidiger von Höcke wie Parteivize Alexander Gauland oder Parteichef Meuthen erklärten, sie hätten nichts Antisemitisches in der Rede finden können. «Anlass zu Tadel an dieser Rede, nicht jedoch zu weiterreichenden Maßnahmen», sah Meuthen.
Höcke selbst ging wieder in die Offensive und wies die Kritik als «bösartige und bewusst verleumdende Interpretation» zurück. Er bedaure, dass «die Diskussion über meine Dresdner Rede die sachliche Ebene» verlassen habe. Sein Thüringer Landesverband sprang ihm mit der Erklärung zur Seite, man wisse, dass Deutschland aus dem Holocaust eine Verantwortung erwächst, der sich Landesvorstand und Fraktion stellten.
auschwitz Für den Zentralrat der Juden in Deutschland kam die Entscheidung der AfD, Höcke weiter als Spitzenpolitiker zu halten, «nicht überraschend». «Die Entscheidung, einen Mann in den eigenen Reihen zu lassen, der die Ideologie von Rechtsextremisten vertritt und verbreitet, spricht für sich», sagte der Präsident des Zentralrats, Josef Schuster. Unmittelbar nach Höckes Brauhausauftritt hatte Schuster gesagt, der AfD-Mann habe «das Andenken an die sechs Millionen ermordeten Juden mit Füßen getreten» und das Menschheitsverbrechen von Auschwitz relativiert.
An antisemitischen und geschichtsrelativierenden Aussagen mangelt es bei Höckes angeblich missverstandenem Auftritt nicht: Richard von Weizsäckers berühmte Rede von 1985 zum 8. Mai nennt er eine «Rede gegen das eigene Volk»; die Bombardierung Dresdens durch die Alliierten 1945 vergleicht Höcke mit den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki. Das Ziel des Luftangriffs sei nicht das Ende der NS-Herrschaft gewesen, sondern die Alliierten wollten «nichts anderes als unsere eigene Identität rauben». Nach 1945 hätten die Alliierten weiter daran gearbeitet, «uns mit Stumpf und Stiel (zu) vernichten» und «unsere Wurzeln (zu) roden».
Von mehreren Seiten wurde Strafanzeige gegen Höcke wegen des Verdachts auf Volksverhetzung gestellt.