In Ran Tzahors Büro geht es zu wie in einem Bienenstock – um ihn herum vibriert und summt es ununterbrochen: Sein Handy hört nicht auf zu klingeln. Ein Anruf unterbricht den nächsten, während das Ladekabel immer wieder herausfällt und er es immer wieder ungeduldig hineinstopft. Mitarbeiter stecken den Kopf durch die Bürotür und müssen dringend etwas wissen, und wenn Ran seine Assistentin etwas fragen will, übertönt er den Geräuschpegel, indem er mal kurz durch die geschlossene Türe schreit.
Trotzdem wirkt Ran alles andere als hektisch. Der 49-Jährige sitzt ruhig an dem großen, gewachsten Esstisch, der sein Büro dominiert. Dass er ständig mit einem Kugelschreiber Kringel auf ein Blatt Papier malt, kann als Indiz für seine Anspannung gewertet werden. In wenigen Tagen fliegt Israels erfolgreichster Showproduzent nach Berlin, um das größte jüdische Sport-Event Europas, die Europäischen Makkabi-Spiele (EMG), in Berlin mit einem einstündigen Spektakel zu eröffnen.
Shows Plötzlich ist es still, keiner ruft an, und Ran Tzahor hat Zeit. Wahrscheinlich nicht lange, mag er sich denken, also redet er schnell. Will alles erzählen: wie er es geschafft hat, die größten Ereignisse in Israel auf die Bühne zu bringen, welche Shows er bereits wo veranstaltet, mit wem er gearbeitet hat, und wie er seine Ideen findet.
»Kunden zeigen mir das Produkt oder erklären mir den Anlass, und in meinem Kopf gehen die Showlichter an«, erzählt er. Das klappt auf höchstem Niveau, wie bei Tel Avivs 100. Geburtstagsfest oder nun der EMG-Eröffnung.
Lineare Erzählweisen sind nicht Rans Stärke, es wirkt vielmehr, als ob seine Gedanken wie in einer Diashow vorbeirasen. Man kann sich daher leicht vorstellen, dass es inspirierend und wahnsinnig schwierig ist, mit Ran zu arbeiten. »Schwierig? Mit mir?«, fragt er ungläubig. Dann grinst er und sagt laut: »Auf jeden Fall! Ich glaube, es ist die Hölle, weil ich ein unglaublicher Perfektionist bin.«
Zumindest hat ihm sein Perfektionismus bei den Vorbereitungen für die EMG-Eröffnung in Berlin geholfen, der deutsche Sinn für Genauigkeit passt gut zu Rans Herangehensweise. Und zu seinem familiären Hintergrund, denn Rans Familie mütterlicherseits kam noch vor dem Zweiten Weltkrieg aus Deutschland ins damalige britische Mandatsgebiet.
LED-Lichtshow »Ich habe die Makkabi-Show von null an konzipiert und von Israel aus zusammengestellt«, berichtet er weiter. Das knallbunte Makkabi-Logo, das an einen aufgesprungenen Davidstern erinnert, wird überdimensional groß in bunten LED-Farben auf die Berliner Waldbühne projiziert, ein Orchester aus 25 israelischen und 25 deutschen Musikern symbolisiert das Jubiläum von 50 Jahren deutsch-israelischen diplomatischer Beziehungen, die in diesem Jahr gefeiert werden. Tänzer aus beiden Ländern werden zu einem Mashup aus Beethoven und zwei DJanes auftreten. die Berliner Band Jewdyssee präsentiert den offiziellen Makkabi-Song »Maccabi Chai«.
Dazu gibt es Einlagen vom deutsch-muslimischen Sänger Adel Tawil zusammen mit dem amerikanisch-jüdischen Künstler Matisyahu. Bundespräsident Joachim Gauck wird die Spiele vor erwarteten 10.000 Gästen eröffnen, und das ganze Spektakel wird live im Fernsehen und im Internet übertragen. »Es bedeutet viel für Israel, die Makkabi-Spiele erstmals in Deutschland zu haben«, sagt Ran. Für ihn persönlich könnte es der Durchbruch ins europäische Ausland werden.
Der Grundstein für Tzahors Karriere wurde ganz klein im Tel Aviver Vorort Ramat Gan von einer Schauspiellehrerin gelegt. Sie erklärte in einer Vorlesung, dass ein Schauspieler in einem Moment immer nur eine Rolle spielen könne, wohingegen einem Regisseur Hunderte Rollen zur Verfügung stünden.
»Das ist spannend«, dachte sich Ran. Und wollte es ausprobieren. Während des Studiums arbeitete er an kleineren kommerziellen Produktionen und Werbefilmen mit und verlor sein Herz prompt an die Regie. Nur noch eine Rolle zu verantworten, wenn auch vor der Kamera, reizte ihn nicht mehr. Trotzdem hat er die Schauspielschule abgeschlossen. »Aufgeben?«, fragt Ran und grinst. Nein, das ist wohl kein Wort aus seinem Repertoire.
100 Jahre Tel Aviv Ran lässt sich nicht gerne in die Karten schauen, weder was seine Mitarbeiter betrifft – »zwischen 50 und 1000, je nach Produktion« seien es –, noch wo und wie er sich inspirieren lässt. Da war zum Beispiel im Jahr 2009 Tel Avivs 100-Jahres-Feier, mit der phänomenalen Lichtshow am Rabin-Platz, der größten Show, die je in Israel produziert wurde.
Oder Rans jährliche Darbietungen am Unabhängigkeitstag. Die Großproduktionen, die mit Feuerwerk, LED-Shows, Musik und Tanz, Funken sprühen, werden nicht nur live von Tausenden gesehen, im Fernsehen übertragen, sondern anschließend auch auf YouTube viel aufgerufen. Ran hat einen eigenen YouTube-Kanal angelegt.
Plötzlich ist die Ruhe vorbei, das Handy klingelt wieder. Irgendetwas mit den Sicherheitsvorkehrungen für Bundespräsident Gauck an der Berliner Bühne ist noch nicht geklärt. Rans Kringel auf dem Papier werden kleiner und kleiner. Ein zweiter Anruf. Jemand kümmert sich darum. Jetzt ist es ruhig.
In der Tat ist es sogar auffallend ruhig, denn für seine Produktionsfirma, die er 1999 gegründet hat, hat sich Ran nicht etwa an einer der Tel Aviver Prachtstraßen niedergelassen, sondern hat in einer kleinen Gemeinde, unweit von der unspektakulären Kleinstadt Petach Tikwa, ein Haus gemietet. Mitten in einer Wohnstraße, im Garten zwitschern Vögel. »Hier kann ich besser denken als im Lärm der Stadt«, sagt der Vater von drei leiblichen und zwei Adoptivkinder. Die beiden Jüngsten dienen gerade im Militär.
Detailfreak »Leidenschaft und Anspruch haben mich so weit gebracht«, erklärt Ran. Und sein unumstößliches Motto, dass er auch immer selbst Produzent ist, wenn er Regie führt. Warum? »Ich bin ein Detailfreak«, sagt er und versucht ein bisschen schuldig auszusehen. Es gelingt ihm nicht. Er lehnt sich zurück und legt erstmals den Kugelschreiber aus der Hand, kommt ins Erzählen: Vor 18 Jahren hatte er seine erste größere Produktion, die Präsentation eines Flugzeugs in einem Hangar am Ben-Gurion-Flughafen.
Außerdem arbeitete er jahrelang für Channel 2 als Line Producer für Dudu Topaz in der Raschut Habidur Show – einer Spielshow, die bis heute als eine der erfolgreichsten Fernsehproduktionen Israels gilt und etwa den gleichen Kultstatus wie Wetten, dass Anfang der 90er-Jahre in Deutschland hatte.
»Eine Wahnsinnszeit«, erinnert sich Ran. Sein Vater Giora Tzahor war stolz. Dessen Foto hängt gleich zweimal gerahmt in Rans Büro: einmal in einem riesigen Zeitungsbericht mit verpixelter Augenpartie, daneben das Originalfoto mit einem warmen Lächeln in den Augen. Der berühmte Mossad-Agent starb vor drei Jahren bei einem Autounfall.
Vielleicht ist es das Thema, vielleicht ist die Zeit wirklich um, Ran sieht auf sein Handy, zieht den Ladestecker ab und bietet an, im Auto auf dem Weg zum nächsten Termin weiterzuerzählen. Dann steht er schnell auf und scheint von einem Schmerz überrascht zu werden.
Rennrad Im Auto liegen eine Krücke und ein Fahrradhelm. Die hinteren Sitze sind umgeklappt. »Normalerweise habe ich mein Rennrad immer dabei«, erklärt Ran. Auf die offensichtlichere Frage, was es mit der Krücke und dem Schmerz auf sich habe, wartet er mit einem verspielten Grinsen um die Mundwinkel. Er schließt sein Handy an das nächste Ladegerät und fährt durch die autoleeren Moschavstraßen Richtung Autobahn.
Zwei Kreuzungen weiter bleibt er stehen, nimmt das Handy und zeigt Fotos von einem Radrennen. Ran führt. 15 Minuten später sei dann der Unfall passiert, Oberschenkelknochen gebrochen. Das war vor einem Monat. Ob er vielleicht ein Foto von den Schrauben zeigen soll, mit denen das Bein zusammengehalten wird? Bis zur Makkabiade-Eröffnung will Ran fit sein. »Das schaffe ich auch, ich werde da nicht mit Krücke stehen, niemals«, sagt er.
Dann steht er kurz vor der Autobahnauffahrt und ist offenbar mitten in einem typischen Ran-Moment. In seinem Kopf rasen die Bilder der verschiedenen Wege und Möglichkeiten in einem internen Datenstrom, an dem Außenstehende so gut wie unbeteiligt bleiben. Ran muss zum Arzt, eine weitere Untersuchung, ob alles gut zusammenwächst, auf dem Weg zur Praxis liegen zwei Bahnhöfe.
Den Perfektionisten hat er nicht im Büro gelassen: Als es um das Bedienen der Navigations-App geht, macht er das lieber schnell selbst, während er fährt. Protest, dass Handy und Autofahren nicht zusammenpassen, wird lachend weggewischt. »Ich würde es ja jemanden anderen machen lassen, aber ich kann einfach nicht anders«, erklärt er. Das sei genauso, als ob jemand versuchen würde, ihn in eine Schublade zu stecken. Frau, Kinder, Hund, Haus, Garten. »Nein, ich bin anders, wie sagt man, also nicht zwei, vier, sechs, sondern die Zahlen dazwischen.«