Wenn ein Komiker im deutschen Fernsehen schlechte Witze über sein jüdisches Dasein macht, wird er als sichtbares Symbol der einkehrenden deutsch-jüdischen Normalität gefeiert. Wenn ein jüdischer Publizist öffentlich gegen den Islam stichelt, ergreift einen nicht unerheblichen Teil seiner jüdischen Landsleute das Gefühl des Stolzes. Wenn eine jüdische Initiative amateurhaft formulierte Protestbriefe an Gott und die Welt, inklusive Bundeskanzlerin und Außenminister, verschickt, verspüren zahlreiche Glaubensgenossen eine tiefe Genugtuung und brüderliche Verbunden- heit. Ja, es gibt viele Wege, ein Zeichen zu setzen, dass wir wieder da sind. Nicht alle sind geschmackvoll. Die meisten aber sind legitim.
Widerstand Wenn Juden auf Berlins Straßen sich selbst feiern wollen – und das haben viele am ersten Maisonntag vor – ist dies ihr gutes Recht. Warum nicht einen Wagen mieten und pünktlich zum Ausklang der Maikrawalle den bürgerlichen Berliner Westen »aufmischen«? Dennoch regt sich gegen die jüdische Parade der »Liebe und Verbrüderung« Widerstand: Es entspreche nicht den Gepflogenheiten, jüdische Feste »demonstrativ zu begehen«, seufzen die Skeptiker – ganz so, als würde jedes Jahr der große Chanukka-Leuchter diskret in einem Wohnzimmer entzündet und nicht vor Dutzenden Journalisten, geladenen Gästen und Gemeindevertretern am Brandenburger Tor.
Mit den angeblichen jüdischen Gepflogenheiten hat das Unbehagen aber nichts zu tun. Vielmehr mit der Frage, wie wir uns der Öffentlichkeit präsentieren wollen. Und je mehr Juden sich bewusst für Deutschland als Lebensmittelpunkt entscheiden, desto dringender gehören einige Gepflogenheiten abgeschafft. Frühestens seit dem Beginn der gewollten Einwanderung aus der Sowjetunion vor 20 Jahren und spätestens, seitdem Hunderte jüdische Israelis und Amerikaner gerade Berlin zum europäischen Zentrum jüdischer Lebenskünstler machen, brauchen wir neue Wege, um Juden anzusprechen und uns als Juden der
Community Ein Patentrezept dafür gibt es nicht. Das bedeutet: Wir müssen neue Formen des »Zusammengehens« ausprobieren. Weder das amorphe Netz von Individualisten noch starre Gemeindehierarchien reichen da aus. Mehr denn je brauchen wir ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl. Denn wir entdecken, dass uns diese deutsche Gesellschaft eigentlich gefällt, dass wir uns hier wohlfühlen. Gleichzeitig wird jedoch auch deutlich, was die Mehrheit der Deutschen in uns sieht: Die toten Juden sind die Erinnerung, die lebenden ein Politikum.
Loveparade Mit dem jüdischen Dasein inmitten einer diffizilen psychologischen Umgebung spielerisch umzugehen, ist ein Kunststück, das nur selten gelingt. Auch die geplante Parade klingt ein wenig nach jiddischem Kitsch. Doch die Form spielt im Grunde keine besondere Rolle. Wir müssen auf unterschiedliche Art und Weise zeigen, dass man an uns nicht mehr vorbeikommt, dass wir unbequem, geschmacklos, skandalös, manchmal auch spannend und interessant sind. Kurzum: Wir leben. Mit uns soll man streiten. Wir sind die Stolpersteine der hiesigen Gegenwart, der Kloß im Hals und der Klotz am Bein des neuen Deutschland. Wir passen in keine vorgefertigten Muster, sind nicht mehr die Unbekannte in der deutsch-jüdischen Gleichung. Wir sind sichtbar. Und wenn es einer »Loveparade« Lubawitscher Prägung bedarf, um das anderen vor Augen zu führen, dann sei’s drum. Kol hakavod! Wer es besser machen will, soll es anders machen! Hauptsache authentisch, Hauptsache, man weiß, dass es nicht ein einzig wahres Judentum gibt.
Denn auch das gehört zur Realität: Am kommenden Sonntag werden womöglich nicht wenige in Berlin-Charlottenburg eine jüdische Loveparade feiern. Aber noch weit mehr werden zu Hause bleiben, mit den Kindern spielen, sich nach einer durchfeierten Nacht ausruhen. Oder sie stehen am Straßenrand und schimpfen auf die jüdische Einheitsparade. Das ist unsere Art – bunt und streitlustig. So sind wir nun mal.
Der Autor ist Jurist und Publizist in Berlin.