Ein kleiner weißer Aufkleber, darauf steht: »Wählt Chrysi Avgi, damit Griechenland gesäubert wird!« Neben der Parole findet sich die blau-weiße griechische Flagge und der Spruch »Griechenland gehört den Griechen«. Diesen Aufkleber sieht man immer häufiger an Eingangstüren oder Bushaltestellen in der griechischen Hauptstadt. Am 6. Mai schaffte es die Neonazi-Partei Chrysi Avgi (übersetzt: Goldene Morgenröte) mit beinahe sieben Prozent zum ersten Mal seit ihrer Gründung 1993 ins Nationalparlament.
Für viele Griechen war das ein Schock. Parteichef Nikolaos Michaloliakos, der bereits voriges Jahr als Mitglied des Athener Stadtrats bei einer Sitzung mit einem Hitlergruß provozierte, leugnete nach den Wahlen die Existenz der Gaskammern im »Dritten Reich«. Die jüdische Gemeinde Thessaloniki hat Michaloliakos’ Äußerung verurteilt: Es seien »unhistorische Behauptungen, die Fanatismus, Intoleranz und Rassismus fördern«.
Immer wieder werden in Griechenland Synagogen oder andere jüdische Gebäude mit Hakenkreuzen beschmiert oder jüdische Friedhofe geschändet. Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Thessaloniki, gleichzeitig Vorsitzender des Zentralrats der Juden Griechenlands, David Saltiel, ist besorgt über den Wahlerfolg von Chrysi Avgi: »Wenn die Demokratie nicht geschützt wird, wenn die Bürger Griechenlands und ganz Europas nicht erkennen, dass die Antwort auf die sozialen Probleme nicht die Verletzung der Menschenrechte und Gewalt ist, dann befürchte ich, dass alles außer Kontrolle gerät.«
rassismus Erschreckende Signale Ende Mai auch aus der Hafenstadt Patras, als es dort zu rassistischen Ausschreitungen kam. Anlass war der Mord an einem Griechen, angeblich verübt von drei Afghanen. Etwa 350 aufgebrachte Mitglieder und Sympathisanten von Chrysi Avgi versuchten, mit einem Bagger die Absperrungen der Polizei vor einer ehemaligen Textilfabrik zu durchbrechen, wo mehrere Hundert Einwanderer und Flüchtlinge unter elenden Bedingungen auf eine Überfahrt nach Italien warteten. Viele Immigranten flohen aus Angst in die Millionenmetropole Athen, die noch als sicher gilt.
Doch die Zahl der rassistischen Angriffe ist auch in der griechischen Hauptstadt in den letzten Tagen drastisch angestiegen. Schlägertruppen greifen fast täglich Flüchtlinge und Einwanderer auf offener Straße, in Bussen oder in der U-Bahn mit Messern oder anderen Gegenständen an.
Am vorigen Freitag wurden in Athen wegen einer Attacke auf einen pakistanischen Einwanderer sechs Verdächtige vorübergehend festgenommen, darunter zwei Abgeordnete von Chrysi Avgi sowie die Tochter von Parteichef Michaloliakos. Alle sechs kamen mangels Beweisen nach kurzer Zeit wieder auf freien Fuß. Beobachter gehen davon aus, dass die Neonazis mit der Gewalt gegen Fremde ihre sinkende Popularität wieder aufzuholen versuchen. Aktuellen Umfragen zufolge kann Chrysi Avgi bei den Neuwahlen am 17. Juni voraussichtlich nur noch mit unter fünf Prozent rechnen. Das ist zwar weniger als zuletzt, die in Griechenland geltende Drei-Prozent-Hürde wäre dennoch übersprungen.
minister Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus wurden in Griechenland bereits im vergangenen November salonfähig gemacht, als die rechtsextreme LAOS zusammen mit Nea Demokratia und der sozialistischen PASOK die Notregierung des ehemaligen Bankiers Lucas Papademos trug. LAOS-Vorsitzender Georgios Karatzaferis, der für seine antisemitischen Äußerungen und fremdenfeindlichen Parolen bekannt ist, unterstützte die von der Europäischen Union diktierte Sparpolitik. Dadurch hat er sich bei den Wählern unbeliebt gemacht. Seine Partei hat bei den Wahlen am 6. Mai den Sprung ins Parlament nicht mehr geschafft. Vermutlich gelingt es ihr am Sonntag auch nicht.
Besorgniserregend ist jedoch, dass mehrere LAOS-Politiker ihre neue politische Heimat bei der konservativen Nea Demokratia gefunden haben – ohne auf ihre Überzeugungen zu verzichten. Damit haben sie der konservativen Partei einen kräftigen Schub nach rechts gegeben. Ein prominenter LAOS-Politiker, Makis Voridis, der in seiner Jugend eine rechtsextremistische Bewegung führte, wechselten bereits im Februar zur Nea Demokratia. Mittlerweile ist der Ex-Verkehrsminister ein beliebter Talkshow-Gast und wird sogar als neuer Parteivorsitzender gehandelt.