In Offenbach wurde ein Rabbiner attackiert, wenige Monate zuvor geschah in Berlin Ähnliches, und in beiden Fällen haben die jugendlichen Täter einen, wie es heißt, arabischen Migrationshintergrund. Die Versuchung ist groß, diese Migrantengruppe als größte Bedrohung jüdischen Lebens in Deutschland anzusehen, das, wenn es die nicht gäbe, normal wäre.
Doch das ist falsch: Jüdisches Leben hierzulande, so sehr das Aussprechen dieses Befundes schmerzt, ist nicht normal. Wer erkennbar als Jude durch die Städte geht, läuft Gefahr, attackiert zu werden, physisch oder verbal. Das Problem heißt Antisemitismus, nicht Migrationshintergrund oder muslimisches Bekenntnis.
milieu Dass in bestimmten Milieus der Begriff »Jude« zum Schimpfwort avancieren konnte – mit den bekannten ernsthaften Folgen –, hat gewiss damit zu tun, wie in vielen Migrantenfamilien aus dem arabischen Raum gedacht und gesprochen wird, etwa über den Nahostkonflikt. Aber auch damit, wie die deutsche Mehrheitsgesellschaft tickt, der das antijüdische Ressentiment nicht eben äußerlich ist: Juden seien am Geld interessiert, sie wollten immer Rache – das sind keine muslimischen Gedanken, sondern die wirren Ideen von Antisemiten, gleich welcher Herkunft.
Wer nach den brutalen Attacken gegen Rabbiner durch arabischstämmige Jugendliche den Antisemitismus zum Migrantenproblem erhebt, redet damit die Tat urdeutscher Jugendlicher, die in Bayern jüdischen Mädchen Pfefferspray ins Gesicht sprühten, klein.
schichten Dass die Mehrheit der Deutschen ohne Migrationshintergrund aktuell statistisch seltener durch Gewalttaten auffällt, liegt eher daran, dass sie sich angewöhnt hat, sich unauffälliger zu artikulieren und zu verhalten. Es dürfte also eher ein Schichten- denn ein Herkunftsproblem sein, wenn man erklären will, wie antisemitische Gewaltbereitschaft in den Kopf eines 14-jährigen Offenbacher Jungen kommt.
Wo Worte, auch wenn sie beleidigend sind, fehlen, kommen oft Fäuste zum Einsatz. Selbstverständlich macht es einen Unterschied für den Angegriffenen, ob er »nur« beleidigt oder zudem noch krankenhausreif geschlagen wird. Aber wenn es uns wirklich darum geht, die Ursachen dieser judenfeindlichen Gewalt zu erkennen und zu bekämpfen, gilt es zu konstatieren: Das Übel heißt Antisemitismus, nicht Einwanderung.
Die Autorin ist Politologin und Projektleiterin der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KIgA) e.V. in Berlin.