Hand aufs Herz: Journalisten sind zuweilen etwas anstrengende Menschen. Bei Verfehlungen anderer teilt unser Berufsstand gerne und großzügig aus. Bei eigenen Fehlern indes werden wir nicht selten dünnhäutig, rechthaberisch oder gar pampig. Selbstkritik und die Bereitschaft zur Entschuldigung gehören nicht gerade zu unseren Stärken.
Umso bemerkenswerter war es, als die »Süddeutsche Zeitung« (SZ) kürzlich bekannte, eine eindeutig antisemitische Karikatur veröffentlicht zu haben: Die Darstellung des israelischen Premiers Benjamin Netanjahu stecke voller antisemitischer Stereotype, räumte SZ-Chefredakteur Kurt Kister ein. Der zweite SZ-Chefredakteur, Wolfgang Krach, bat ebenfalls um Entschuldigung. Die Karikatur könne auch judenfeindlich aufgefasst werden, so Krach.
Riesennase So weit, so gut. Doch in der vergangenen Woche befasste sich der Deutsche Presserat mit der einhellig als antisemitisch kritisierten Karikatur. »Die Grenze zur Diskriminierung von Juden nach Ziffer 12 Pressekodex ist nicht überschritten«, teilte das Gremium der freiwilligen Selbstkontrolle der Presse mit.
Die Gesichtszüge Netanjahus mögen zwar überzeichnet sein, im Rahmen der Meinungsfreiheit sei dies aber zulässig. Im Übrigen sei die Einschätzung mehrheitlich gefällt worden. Auf die Frage, ob es auch jüdische Mitglieder gegeben habe, kam aus dem Presserat als Antwort nur ein verlegenes Hüsteln.
Nein, man muss nicht Jude sein, um Antisemitismus als solchen zu erkennen. Es schadet aber auch nicht, direkt Betroffene nach ihrer Sicht zu fragen. Denn jeder Jude in Deutschland hätte dem Presserat erklären können, warum die Zeichnung genau so auch im NS-Hetzblatt »Der Stürmer« hätte erscheinen können – angefangen von den übergroßen Ohren, den wulstigen Lippen, der grotesken Riesennase bis hin zur Darstellung Netanjahus als kriegslüsternen Staatschef mit Magen-David-Rakete in der Hand.
Meinungsfreiheit Antisemitismus beginnt eben nicht erst, wenn sechs Millionen Juden umgebracht werden, auch wenn sich eine solche Sichtweise immer mehr durchzusetzen scheint. Vergangene Woche entschied die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft, dass Textzeilen wie »Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen« und »Mache Asche wie’n KZ-Ofen« des Rappers Kollegah von der Kunst- und Meinungsfreiheit gedeckt sind. Meinungsfreiheit für Judenhass – will unsere Gesellschaft das wirklich?
Zur Erinnerung: In Ziffer 12 des Pressekodex heißt es, »dass niemand wegen seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden darf«. Die SZ hat sich nach zuletzt drei (!) antisemitischen Karikaturen glaubhaft entschuldigt. Es zeigt: Auch Journalisten können aus Fehlern lernen.