Soziale Medien wie TikTok, Instagram und Community-Foren ermöglichen eine ungefilterte und fast grenzenlose Verbreitung antisemitischer Inhalte, die täglich von Millionen zumeist jungen Usern konsumiert werden: Zu diesem Ergebnis kommt die Studie »de:hate report #3« der Amadeu Antonio Stiftung, die in der vergangenen Woche der Öffentlichkeit vorgestellt wurde.
Die Autoren haben sich vor dem Hintergrund der militärischen Eskalation im Nahen Osten im Mai in sozialen Netzwerken und Communities umgeschaut, um der Frage nachzugehen, warum und auf welche Weise sich insbesondere der israelbezogene Antisemitismus in sozialen Netzwerken derartig massiv Bahn brechen kann – obwohl doch zumindest die großen Plattformen wie TikTok oder Instagram angeben, ausgeklügelte Community-Management-Systeme zu nutzen, um Hassrede und Herabwürdigungen zu unterbinden.
INFLUENCER Eine der Studienerkenntnisse: Vor allem Influencern kommt bei der Verbreitung antiisraelischer Stereotype und Ressentiments eine wichtige Rolle zu. Viele sähen sich durch ihre Follower einem hohen Positionierungsdruck ausgesetzt oder teilten ohne hinreichendes Wissen über den Nahost-Konflikt Inhalte und Argumente, die antisemitische Narrative bedienten. Durch die Vorbildfunktion der Influencer für ihre Follower verbreiteten sich deren Ansichten in den entsprechenden Communitys wie ein Lauffeuer.
Aber auch durch Hashtags und unterschwellig antisemitische Codierungen verbreiteten sich zunehmend antiisraelische Inhalte, etwa auf der chinesischen Plattform TikTok, wie es in der Studie heißt. So wurde im Mai etwa versucht, unter dem Hashtag #PLM (Palestinan Lives Matter) an die »Black Lives Matter«-Bewegung anzuknüpfen. »Angelehnt an antiimperialistische, postkoloniale oder aber auch islamistische Argumentationsmuster entstand eine antiisraelische Grundstimmung, die ebenfalls von jungen User:innen aufgegriffen wurde«, heißt es in der Studie.
»Auf TikTok erlernen die meist sehr jungen Nutzer:innen fast schon spielerisch antisemitische Argumentationen.«
Theresa Lehmann, Amadeu Antonio Stiftung
Dieser Trend sei umso bedenklicher, wenn man sich die ungebrochene Beliebtheit der App vor Augen führt. So ist TikTok eine der in diesem Jahr am meisten heruntergeladenen Apps für mobile Endgeräte in Deutschland mit einer Alterszielgruppe zwischen 16 und 24 Jahren.
Dazu sagt die pädagogische TikTok-Expertin der Amadeu Antonio Stiftung, Theresa Lehmann: »Auf TikTok erlernen die meist sehr jungen Nutzer:innen fast schon spielerisch antisemitische Argumentationen.«
AUFKLÄRUNG Anhand der Studienanalyse könne man sehen, dass die Vermittlung dieser Inhalte vor allem durch popkulturelle Codes, aktuelle Musik, Emojis und Memes für die jugendlichen Nutzer meistens zunächst völlig unbemerkt artikuliert würden.
Wie eine TikTok-Sprecherin nach Veröffentlichung der Studie der Jüdischen Allgemeinen mitteilte, verurteile die Plattform Antisemitismus. »Wir arbeiten hart an der Bekämpfung von Hass, indem wir Konten und Inhalte, die gegen unsere Richtlinien verstoßen, proaktiv entfernen und Suchanfragen nach hasserfüllten Ideologien auf unsere Community-Richtlinien umleiten. Wir werden unsere Maßnahmen zur Bekämpfung antisemitischer Inhalte weiter ausbauen und begrüßen die Gelegenheit, unsere Zusammenarbeit mit der Amadeu Antonio Stiftung fortzusetzen«, so die Sprecherin.
Die Digitalteam-Leiterin der Amadeu Antonio Stiftung, Simone Rafael, fordert indes eine breite Aufklärungskampagne über codierten Antisemitismus in sozialen Netzwerken. »Wir wünschen uns eine sichere digitale Umgebung gerade für Kinder und Jugendliche«, sagt Rafael.
HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN Dazu gehöre auch das konsequente Sperren antisemitischer Hashtags durch die Netzwerke – etwas, das bis dato noch viel zu selten geschehe - ebenso wie Aufklärungsarbeit auf Augenhöhe durch Pädagogen und Projekte, »damit antisemitische Akteurinnen und Akteure so wenig Chancen wie möglich bekommen, um Jugendliche zu radikalisieren«.
Als Handlungsempfehlungen nennt die Studie konkret die Schulung der Community-Moderation, damit diese auch codierten Antisemitismus als solchen erkennt. Auch sollten die Unternehmen stärker mit der Wissenschaft zusammenarbeiten und Einblick in ihre Datenverläufe und Algorithmen gewähren.
Darüber hinaus müsse es aus Sicht der Amadeu Antonio Stiftung an den Schulen eine Aufklärungs- und Sensibilisierungskampagne für das Thema geben. Auch Eltern sollten sich mit dem Problem beschäftigen und entsprechende Äußerungen nicht unkommentiert lassen.