NS-Entschädigung

»Hart und intensiv«

Beharrlich und durchsetzungsstark: Stuart E. Eizenstat Foto: imago images / Starface

Herr Botschafter Eizenstat, Sie waren vor 20 Jahren bei den Verhandlungen zur Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern als Unterhändler beteiligt. Wie kamen Sie zu dieser Aufgabe?
Ich wurde 1993 zum US-Botschafter für die Europäische Union benannt. Der damalige Präsident des World Jewish Congress, Edgar Bronfman, traf Hillary und Bill Clinton und erläuterte ihnen, dass die dezimierten jüdischen Gemeinden in Osteuropa keinerlei Infrastruktur hatten: Synagogen, Schulen, Gemeindezentren, sogar Friedhöfe wurden von den Kommunisten vereinnahmt. Bronfman empfahl, einen diplomatischen Vertreter damit zu beauftragen. Und ich wurde gefragt. Meine Mitarbeiter rieten mir, diesen Job nicht anzunehmen, da ich bereits einen ausfüllenden Beruf hatte. Ich sprach also mit meiner Frau, und sie erinnerte mich an mein Versprechen, das ich damals gegeben hatte.

Welches Versprechen?
Dafür muss ich etwas ausholen. Ich wuchs in einem jüdischen Haushalt in Atlanta auf. Mein Vater und zwei meiner Onkel waren im Krieg. Über den Holocaust wurde nie gesprochen. Ich wurde darauf erst 1968 aufmerksam, als Arthur Morse, mit dem ich in der Präsidentenkampagne für Hubert Humphrey arbeitete, ein Buch namens »While Six Million Died« veröffentlichte. Das war ein Schock für mich. Es zeigte, wie viel die Roosevelt-Regierung wusste. FDR war eine Ikone bei uns zu Hause, für mich war das schockierend. Ich schwor mir, dass ich, sollte ich jemals einen Chefposten in einer Regierung haben, mich diesem Thema widmen würde.

Sie waren immer wieder als Vermittler tätig, wenn es um Sammelklagen ging. Wie erinnern Sie sich an die Zeit Ende der 90er-Jahre?
Bevor ich mich mit Bodo Hombach, der damals Chef des Bundeskanzleramts war, traf, traf ich mich mit dem damaligen Kanzler Helmut Kohl. Ich erzählte ihm von meinem Vermittlungsvorhaben und sagte, dass es dabei nicht nur um die jüdischen Sklavenarbeiter gehen sollte, sondern auch um die Millionen nichtjüdischer Zwangsarbeiter. Er sicherte mir seine Unterstützung zu, aber sagte ganz klar, dass es keine Entschädigung für die nichtjüdischen Zwangsarbeiter geben werde, denn das würde die Büchse der Pandora öffnen. Auch Bodo Hombach reagierte so.

Wie haben Sie reagiert?
Ich beharrte auf meiner Position. Die jüdischen Verbände waren von meinem Vorstoß nicht begeistert, denn es sollte ja um die jüdischen Überlebenden gehen. Ich aber – und ich bin jüdisch – dachte, dass es nicht nur als jüdische Aufgabe gesehen werden sollte. Schröder bestimme Otto Graf Lambsdorff als deutschen Unterhändler. Und ich muss sagen: Es waren die ungewöhnlichsten Verhandlungen, die ich je geführt habe, und ich habe viele geführt.

Was genau war daran so ungewöhnlich?
Es gab so viele Konfliktparteien – die Anwälte der Sammelkläger, die jüdischen Verbände, die deutsche Privatwirtschaft und die Repräsentanten der deutschen Regierung. Es waren also multilaterale Verhandlungen. Sehr schwierig, sehr hart, sehr intensiv.

Wie steht es um die Schoa-Überlebenden in Osteuropa?
Die Situation der Überlebenden ist absolut inakzeptabel. Das sind Menschen, die die schlimmsten Tragödien miterleben mussten. Mehr als 80 Prozent der Schoa-Überlebenden in der ehemaligen Sowjetunion und in Osteuropa leben in Armut. In Israel sind es 40 Prozent und in den USA 35 Prozent.

Aus den Verhandlungen ging unter anderem die Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft« hervor. Sie feierte kürzlich ihr 20-jähriges Bestehen und widmet sich heute vorwiegend der Bildungsarbeit.
Ich finde, sie hat sich in großen Teilen sehr von dem entfernt, was ich mir erhofft hatte.

Wie beurteilen Sie die »Holocaust education« in den USA?
Nur zwölf der 50 Bundesstaaten haben eine Form der verpflichtenden Holocaust-Vermittlung im Unterricht. Der Präsident hat Ende Mai den »Never Again Education Act« unterzeichnet, der dem Holocaust Memorial Museum zehn Millionen Dollar über fünf Jahre garantiert. Man hat also die Notwendigkeit dafür erkannt. Die letzten Umfragen sind erschreckend: 66 Prozent der Millennials konnten nicht erklären, was Auschwitz war. Zehn bis 15 Prozent haben noch nie von der Schoa gehört. Und auch die Bundesstaaten, die vielleicht ein Programm für Holocaust Education haben, wissen nicht, wie sie das unterrichten sollen. Man muss sich die Frage stellen: Wie erklärt man das Teenagern? Es gibt also noch viel zu tun, denn die Zeitzeugen sterben.

Eine Zeitzeugin, Anita Lasker-Wallfisch, wurde im Rahmen eines Projekts zu einem Hologramm, dem Schülerinnen und Schüler Fragen stellen konnten.
Ich habe das gesehen und finde, das ist eine sehr effektive und interaktive Umsetzung. Denn wir müssen, um jungen Menschen das Bewusstsein für den Holocaust zu vermitteln, dies in ihren Medien tun. Ein Hologramm kann das.

Seit dem 1. Juli hat Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Sie waren US-Botschafter in Brüssel. Welche Erwartungen haben Sie?
Die Europäische Union ist ein sehr verlässlicher Partner und hat erst im vergangenen Jahr eine Resolution verabschiedet, die Länder dazu ermutigen soll, mehr für Schoa-Überlebende und für Holocaust-Bildung zu tun. Die deutsche Präsidentschaft sollte die Holocaust-Bildung noch mehr zum Schwerpunkt machen. Das Land kann dahingehend viel vorweisen. Auch in Sachen NS-Restitution sollte mehr getan werden. Die Museen tun nicht genug.

Die USA wählen im November. Was wünschen Sie sich für Ihre Land?
Ich wünsche mir, dass Joe Biden als Präsident gewählt wird und wir einen Neustart haben werden. Ich kenne ihn schon viele Jahre, er war bei der Schiwa für meine Frau dabei. Er wäre ein guter Partner für die Juden und für Israel.

Mit dem früheren US-Botschafter in Brüssel sprach Katrin Richter.

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