Ist die Hamas eine terroristische Vereinigung? Eigentlich hat die Europäische Union diese Frage seit langem eindeutig beantwortet.
Seit Dezember 2001 steht die radikal-islamistische Organisation, die die Vernichtung Israels anstrebt, 2007 gewaltsam die Macht im Gazastreifen übernommen und seitdem die palästinensische Enklave fest in ihrem Griff hat, auf der EU-Liste der terroristischen Vereinigungen. Diese Einstufung ermöglicht es den Mitgliedsstaaten der Union unter anderem, Vermögenswerte der Hamas einzufrieren und ihre Unterstützer strafrechtlich zu belangen.
Wurde zunächst nur der militärische Teil, die Al-Kassam-Brigaden, verboten, kam 2003 die gesamte Organisation der Hamas auf die schwarze Liste. Die Einstufung wurde seitdem von den Regierungen der EU-Staaten bekräftigt. Regelmäßig versucht die Hamas jedoch, juristisch dagegen vorzugehen.
BEGRÜNDUNG Allerdings monierte das Europäische Gericht erster Instanz im Jahr 2014 in einem umstrittenen Urteil, dass die Begründung für die Einstufung der militanten Palästinenserorganisation in erster Linie auf Presseberichten und Material aus dem Internet beruhe. Das reiche nicht aus, urteilten die Richter, und dekretierten, die Hamas müsse wieder von der Terrorliste gestrichen werden. Jedoch ließ das Gericht vorübergehend die Bestimmungen in Kraft, nach welchen die Gelder der Gruppe in Europa gesperrt blieben.
2015 legte der Rat der Europäischen Union eine ausführliche Begründung für sein Verbot vor, und vier Jahre später bekräftigte der Europäische Gerichtshof (EuGH), die oberste Rechtssprechungsinstanz der Union, in einem Grundsatzurteil die Argumente des Rates und die Einstufung der Hamas als terroristische Organisation. Da die islamistische Gruppe weder ein Staat noch die legitime Regierung eines Staates sei, könne sie auch nicht auf den völkerrechtlichen Grundsatz der Nichteinmischung rekurrieren. Dieser gelte nur für souveräne Staaten.
Allerdings fand das EU-Gericht erster Instanz im September 2019 erneut ein Haar in der Suppe und stellte einen Formfehler des Rates fest. Präsident und Generalsekretär des maßgeblichen Vertretergremiums der Mitgliedsstaaten in Brüssel hätten nämlich die Begründungen der streitigen Rechtsakte, obwohl sie in gesonderten Dokumenten enthalten gewesen seien, nicht unterzeichnet. Das Gericht erklärte daher diese Rechtsakte, soweit sie die Hamas betrafen, für nichtig. Sieben weitere Klagepunkte der Hamas wies das Gericht aber zurück.
Dennoch ging der Rat gegen das Urteil erneut vor den EuGH in Berufung– und bekam am Dienstag Recht. Die Große Kammer hob das Urteil aus der ersten Instanz auf und stellte fest, dass das Gericht einen »Rechtsfehler« begangen und die EU-Verträge falsch ausgelegt habe. Die Begründungen für die Einstufung der Hamas als terroristische Vereinigung seien vom Rat zeitgleich mit den entsprechenden Rechtsakten angenommen worden und mit diesen »untrennbar verbunden«. Ihre Authentizität könne somit nicht in Frage gestellt werden, so die Richter.
RECHTSFEHLER Zwar sähen die EU-Verträge vor, dass Rechtsakte von den Vorsitzenden der entsprechenden Institutionen unterzeichnet werden müssten, bevor sie Gültigkeit entfalten könnten. Dies gelte aber nur für solche Akte, die an keinen bestimmten Adressaten gerichtet seien.
Soweit die streitigen Rechtsakte hingegen einem Bündel von Einzelentscheidungen gleichstehen, unterliegen sie dagegen keiner solchen Unterzeichnungspflicht, sondern nur einer Bekanntgabepflicht. Das gelte auch für die Begründungen, die die Hamas beträfen, urteilten die Richter. Daher sei der Präsident des Rates nicht verpflichtet, neben dem Rechtsakt, der eine allgemeine Begründung für die Maßnahmen enthält, auch die einzelfallbezogene Begründung eines solchen Rechtsakts zu unterzeichnen.
Ob damit die Klagewelle der Hamas vor den EU-Gerichten in Luxemburg beendet sein wird, darf bezweifelt werden. Die Einstufung als terroristische Vereinigung steht jedoch mittlerweile auf einem rechtlich soliden Fundament.