Zwei Jahre nach dem judenfeindlichen Terroranschlag in Halle hat heute die Stadt der Opfer und Hinterbliebenen gedacht. Auf dem Marktplatz hielten am Samstag Hunderte Menschen minutenlang inne. Dazu läuteten ab 12.04 Uhr die Glocken der Marktkirche und des Roten Turms.
Zu dieser Uhrzeit hatte der schwer bewaffnete rechtsextreme und antisemitische Attentäter am 9. Oktober 2019 versucht, am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur in der voll besetzten Synagoge der Jüdischen Gemeinde zu Halle ein Blutbad unter den Betern anzurichten.
Als ihm dies nicht gelang, erschoss er auf der Straße die 40-jährige Jana L.. Wenig später tötete er den 20-jährigen Kevin S. in einem Döner-Imbiss. Auf seiner Flucht verletzte er mehrere Menschen schwer. An den Anschlagsorten wurden nun Kränze, Gebinde und Blumen niedergelegt.
»Unser besonderes Gedenken gilt den Opfern und ihren Angehörigen, über die der Täter unendliches Leid gebracht hat«, sagte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) vor der Synagoge.
Vertreter von Initiativen, die sich für Betroffene und Hinterbliebene des Attentats einsetzen, forderten mehr Unterstützung von der Politik und der Zivilgesellschaft. Der Beauftragte der Bundesregierung für die Anliegen von Opfern und Hinterbliebenen von terroristischen Straftaten im Inland, Edgar Franke, sicherte Hilfe zu. Es gelte, das Geschehene zu verarbeiten - heute und noch in vielen Jahren. Bei dem Attentat standen viele Menschen über Stunden hinweg Todesängste aus, laut Opfervertretern sind sie bis heute schwer traumatisiert.
»Der Judenhass ist so tief verankert in unserer Kulturgeschichte, dass es eben eine grundsätzliche Arbeit ist, dieses Phänomen zu bekämpfen.«
Felix Klein, Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung
Haseloff sagte, der 9. Oktober 2019 sei eine Zäsur für das Bundesland und ganz Deutschland gewesen. Er warnte die Gesellschaft vor dem Vergessen und vor Verharmlosungen antisemitischer Gewalt. »Das dürfen wir nicht unwidersprochen lassen«, sagte er. »Ziehen wir gemeinsam eine rote Linie des Anstands. Diffamierungen des Anderen müssen wir konsequent entgegentreten, Rechtsextremisten gemeinsam die Stirn bieten«.
Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sagte am Samstag im RBB-Inforadio, der Kampf gegen Antisemitismus bleibe eine Daueraufgabe. Er hätte sich wirklich gewünscht, sagen zu können, Halle habe eine Wende bedeutet. Dem sei aber nicht so. Antisemitismus sei in Deutschland weiterhin in der Mitte der Gesellschaft verwurzelt.
»Er ist so tief verankert in unserer Kulturgeschichte, dass es eben eine grundsätzliche Arbeit ist, dieses Phänomen zu bekämpfen«, sagte der Bundesbeauftragte. Unter anderem die Proteste gegen die Corona-Politik hätten gezeigt, dass Antisemitismus sehr anpassungsfähig und wandelbar sei.
Der Terroranschlag in Halle gehörte für Bundesinnenminister Horst Seehofer zu den schmerzhaftesten Erfahrungen seiner Amtszeit. »Der Anschlag auf die Synagoge in Halle hat mich tief erschüttert«, sagte der CSU-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. Ein junger Mensch habe ihm nach dem Anschlag zugerufen: »Ihr könnt uns nicht schützen.« Das sei ein bewegender Satz gewesen, der schmerze und alarmiere. Angriffe auf Jüdinnen und Juden in Deutschland seien »Angriffe auf unsere Demokratie, unsere Freiheit und unsere Werte«, betonte der scheidende Innenminister. »Wir werden Antisemitismus mit der vollen Härte des Rechtsstaates bekämpfen«, fügte er hinzu.
Halles Bürgermeister Egbert Geier (SPD) betonte, das Attentat habe eine tiefe Wunde und Narbe in der Stadt hinterlassen. »Antisemitismus, Rassismus und Intoleranz haben in Halle keinen Platz«, sagte er. Wichtig sei eine offene, bunte Gesellschaft.
In Halle sind bis zum Abend Aktionen und Mahnwachen zum Gedenken an die Opfer des Anschlags sowie Kundgebungen geplant.
Ministerpräsident Haseloff sagte, er sehe mit Sorge, dass sich Antisemitismus und Rassismus auch in der Mitte der Gesellschaft weiter ausbreite. Das zeige sich nicht nur in den sozialen Netzwerken, sondern auch im direkten Gespräch. »Die Grenze des Sagbaren verschiebt sich in einer Weise, wie wir es vor zehn oder 15 Jahren nicht für möglich gehalten hätten«. Die Veränderung und Verrohung der Sprache sei ein Warnsignal. Der Anschlag von Halle zeige, Wort und Tat seien nicht weit voneinander entfernt.
Der 9. Oktober 2019 unterstreiche, wie wichtig es sei, die Erinnerung an die Schoa wachzuhalten und von Generation zu Generation weiterzutragen. Hierfür hätten nicht nur die Schulen Sorge zu tragen, sondern auch Familien, Freundeskreis, Vereine, Verbände und Parteien. In Halle waren unterdessen bis zum Abend Aktionen und Mahnwachen zum Gedenken an die Opfer des Anschlags sowie Kundgebungen geplant.
Nicht nur Mitglieder der jüdischen Gemeinde kritisierten nach dem Attentat, dass die Polizei trotz des Feiertages nicht zum Schutz der Menschen in der Synagoge vor Ort gewesen war. Die Polizei, das Landeskriminalamt und Sachsen-Anhalts damaliger Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) hatten nach der Tat gesagt, sie hätten keinerlei Hinweise auf einen geplanten Anschlag oder auf eine veränderte Sicherheitslage der Synagoge gehabt. dpa/epd/ja
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