Debatte

»Häufig einseitig«

Es ist ein verbreiteter Vorwurf: Die Medien in Deutschland berichten einseitig, wenn es um Israel und den Nahostkonflikt geht. Kritik an Israel sei politisch unkorrekt und werde tabuisiert. Die deutschen Medien seien tendenziös und pro-israelisch.

Doch stimmt das wirklich? Oder ist nicht vielmehr das Gegenteil der Fall, dass nämlich der jüdische Staat im Vergleich zu anderen Ländern besonders häufig und besonders vehement am medialen Pranger steht?

Expertise Diese Frage stand im Zentrum einer Diskussionsrunde, zu der die Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG) Ende September in das Haus des Rundfunks Berlin-Brandenburg (rbb) in Berlin-Charlottenburg eingeladen hatte. Das Podium an diesem Abend war mit journalistischer Expertise prominent besetzt. Neben den beiden Chefredakteuren von ARD und Deutschlandfunk, Rainald Becker und Birgit Wentzien, waren der Vorsitzende der »Bild«-Chefredaktionen, Julian Reichelt, und der Historiker und Publizist Michael Wolffsohn eingeladen. Moderiert wurde die Diskussion von Reinhard Borgmann, dem Leiter für politische Magazine beim rbb.

»Wenn es um Israel geht, ist die Berichterstattung in Deutschland von Falschmeldungen und Ressentiments geprägt. Und häufig einseitig gegen Israel gerichtet«, sagte Maya Zehden, Vizepräsidentin der DIG, in ihrer Begrüßungsrede. Ihr Verein kritisiere die tendenziöse anti-israelische Berichterstattung schon seit Langem. »Wenn eine bestimmte Wortwahl immer wieder in eine Richtung emotionalisiert wird, bleibt auch die Politik davon nicht unberührt«, sagte Zehden.

Angesichts der nach der Bundestagswahl zu erwartenden politischen Umbrüche und der immer wieder erhobenen Forderung, dass die Medien sich ihrer Funktion als »vierter Gewalt« bewusst sein müssten, sei jetzt genau der richtige Zeitpunkt für eine Debatte über den Umgang deutscher Medien mit Israel, meinte Zehden. Das Thema brannte offensichtlich vielen Menschen unter den Nägeln, die Veranstaltung war gut besucht.

wortwahl Daniel Killy, DIG-Präsidiumsmitglied und politischer Autor, sagte in seinem Impulsreferat, es seien oftmals gar nicht bewusste Falschmeldungen, die einen Bericht tendenziös werden ließen, sondern die Wortwahl. »Nach einem Terrorangriff in Israel sprechen Journalisten gerne von einer Eskalation der Lage, die man nun befürchte. Niemand macht das, wenn es eine Attacke in Spanien oder Deutschland gibt. So wird Terror indirekt Verständnis entgegengebracht und Israel als Aggressor dargestellt«, kritisierte Killy. Schon durch die permanente Wiederholung derartiger Begriffe würden die Medien zum negativen Image Israels beitragen.

Der Autor plädierte dafür, eine Liste mit vorbelasteten Begriffen und Termini zu erstellen, die in der Nahostberichterstattung entweder gar nicht oder nur wohldosiert verwendet werden sollten. »Eine solche Auflistung soll kein journalistischer Giftschrank sein. Sie würde aber helfen, die Berichterstattung über Israel zu qualifizieren und kritisches Bewusstsein zu schaffen«, sagte er.

sachkenntnis Der Historiker Michael Wolffsohn unterstellte vielen Kommentatoren der Situation in Nahost, regelrechtes »Israel-Bashing« zu betreiben. »Die Medien müssen eine gewisse Erwartungshaltung erfüllen. Israel mal nicht als bösen Aggressor und stattdessen positiv darzustellen, ist in Deutschland und Westeuropa überaus schwer«, sagte Wolffsohn.
Der anti-israelischen Berichterstattung liege oftmals eine große Ahnungslosigkeit der realen Gegebenheiten im Nahen Osten zugrunde. »Wir brauchen vor allem mehr Sachkenntnis und weniger Ideologie, um ein ausgewogeneres mediales Bild von Israel zu bekommen«, sagte der Historiker.

Der »Bild«-Journalist Reichelt kritisierte die fehlende Empathie vieler Journalisten. »Über kein Land, das unter ständigem Terror leidet, wird in Deutschland so zynisch, eiskalt und herzlos berichtet wie über Israel«, sagte er. In Berichten würden immer wieder Täter und Opfer vertauscht. Wenn palästinensische Attentäter von israelischen Soldaten erschossen werden, titelten deutsche Zeitungen regelmäßig Schlagzeilen wie »Palästinenser bei israelischer Militäraktion getötet«.

Um sich der Täter-Opfer-Umkehr bewusst zu werden, die mit solchen Headlines betrieben wird, führte Reichelt ein Beispiel an. Man solle sich einmal vorstellen, die Zeitungen hätten nach dem islamistischen Anschlag auf der Strandpromenade von Nizza getitelt: »Lkw-Fahrer von Polizisten erschossen«. »Diese sprachlichen Entgleisungen gegenüber Israel und den Israelis, die wir uns gegenüber keinem anderen Land erlauben würden, müssen aufhören«, sagte Reichelt, der von einer »regelrechten Lust an sprachlichen Entgleisungen« in der Israelberichterstattung einiger seiner Kollegen in den Auslandsressorts sprach.

differenzierung ARD-Chefredakteur Rainald Becker warnte indes davor, den Journalisten per se Anti-Israelismus zu unterstellen. Oftmals fehlten schlicht die handwerklichen Fähigkeiten, die es für eine gute und differenzierte Berichterstattung brauche. »Die allgemeinen Defizite in Bildung und Ausbildung spiegeln sich auch im Journalismus wider. Hier muss dringend nachgesteuert werden«, forderte Becker.

Als er das sagte, nickte seine Kollegin vom Deutschlandfunk zustimmend. »Als Journalisten müssen wir unser Handwerk verstehen und uns zwingend an die geltenden Richtlinien und Standards halten. Das gilt in der Berichterstattung über Israel genauso wie allgemein«, sagte DLF-Chefredakteurin Birgit Wentzien. Sie würde sich mehr Berichte und Reportagen im Rundfunk wünschen, die die Bedeutung Israels für die Bundesrepublik und umgekehrt herausstellen.

Jochen Feilcke, Vorsitzender der DIG in Berlin und Brandenburg, meldete sich nach Öffnung der Diskussionsrunde aus dem Publikum zu Wort. »Ich gehöre zu den Menschen, die bei den Rundfunkanstalten anrufen, wenn mir etwas auffällt«, sagte der 75-Jährige. Eine Sache, die ihm immer wieder auffalle, sei die Auswahl von sogenannten Nahostexperten, die in den verschiedenen Formaten zu Wort kommen. »Ich habe nicht ein einziges Mal gesehen, dass im deutschen Fernsehen ein israelischer Experte zu Wort kommt, der der Regierung von Premier Netanjahu nicht am Zeug flicken will«, sagte Feilcke. Ein wirksames Mittel gegen anti-israelische Ressentiments sei im Übrigen ein Besuch des Landes. Feilcke empfahl allen Journalisten einen »Weiterbildungsurlaub« in Israel. Für diesen Vorschlag gab es großen Applaus aus dem Publikum.

Michael Wolffsohn, Historiker und Publizist
»Die Medien liefern, was die breite deutsche Öffentlichkeit mehrheitlich will: Israel-Bashing. Wir haben es also nicht nur mit einem Problem der Medien zu tun, sondern der deutschen und darüber hinaus der westeuropäischen Gesellschaft, in der es seit rund 30 Jahren nachweislich eine – diplomatisch ausgedrückt – enorme Distanz zu Israel gibt. Israel ist in der Bundesrepublik seit den frühen 80er-Jahren immer in der Dreiergruppe der unbeliebtesten Staaten. Israel positiv zu verkaufen, ist nicht nur wegen Premierminister Benjamin Netanjahu sehr schwer in Deutschland und Westeuropa. Meine Erklärung: Aus derselben Geschichte haben die beiden Seiten unterschiedliche Schlussfolgerungen gezogen. Die westeuropäische Seite hat in Bezug auf den Begriff der Gewalt die Schlussfolgerung gezogen: Nie wieder Gewalt als Mittel der Politik. Umgekehrt haben die Juden und Israel die Schlussfolgerung gezogen: Wenn wir nicht gewaltfähig sind, sind wir wieder Opfer. In dieser Asymmetrie spiegelt sich meiner Ansicht nach die totale Verständnislosigkeit Westeuropas für Israel wider.«

Rainald Becker, ARD-Chefredakteur
»Die Medien sind nicht an allem schuld. Wer das behauptet, verkennt die Fakten. Journalismus und die verschiedenen Formen von Journalismus – Nachrichtenjournalismus hat andere Funktionen als Dokumentationen und Reportagen – muss man differenziert betrachten. Man muss sehr genau unterscheiden, wer da berichtet, ob persönliche Eindrücke des Autors mit hineinfließen und um welches journalistische Genre es sich handelt. Dem einen Zuschauer gefällt ein Beitrag, dem anderen gefällt er nicht. Das ist immer so. Wir leben in einer Zeit, in der die Medien gerne für alles verantwortlich gemacht werden. Das ist einfach falsch. Diese Diskussion macht deutlich, wie weit Medienwirkung und Medienwahrnehmung in Deutschland auseinanderliegen. Nach meinen Kommentaren in den Tagesthemen bekomme ich regelmäßig Zuschriften, der Kommentar sei ja gar nicht ausgewogen gewesen. Natürlich nicht. Ein Kommentar ist eine persönliche Meinungsäußerung. Die soll und kann nicht ausgewogen sein. Grundsätzlich finde ich, dass die Berichterstattung in Deutschland vielfältig ist. Man muss immer das Gesamtangebot betrachten.«

Birgit Wentzien, Chefredakteurin Deutschlandfunk

»Mahnung und Achtsamkeit sind wesentlich für die Israelberichterstattung im Deutschlandfunk. Wir müssen die Welt wahrnehmen und beschreiben. Wir können sie nicht nur erklären. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat keine Räson außer dem täglichen Arbeiten mit journalistischen Standards und Selbstverständnissen. Die große Herausforderung ist, davon nicht abzuweichen. Als Journalisten müssen wir unser Handwerk verstehen und uns zwingend an die geltenden Richtlinien und Standards halten. Aus Hörerzuschriften lese ich heraus, dass wir als Deutschlandfunk für die einen pro-israelisch sind, für die anderen pro-palästinensisch. Wir machen es keinem recht. Dass die Kollegen sich anstrengen, dem journalistischen Ethos immer und überall zu genügen, ist selbstverständlich. Dass dies auch immer gelingt, hoffe ich. Aber wo Menschen arbeiten, passieren leider auch Fehler. Die Chefredakteure haben dafür zu sorgen, dass die Korrespondenten souverän arbeiten und bei den Fakten bleiben. Wenn ich über einen Sachverhalt nachrichtlich berichte, kann ich nicht gleichzeitig auch empathisch berichten. So verstehe ich meinen Job nicht.«

Daniel Killy, DIG-Präsidiumsmitglied und Autor

»Eskalation. Das ist so einer dieser Begriffe, die die Israelberichterstattung tendenziös machen. Er wird immer dann verwendet, wenn eine Reaktion Israels auf eine Terrortat zu vermuten ist. Angriffe aus Gaza sind Ereignisse, Verteidigungsaktionen. Die Antwort Israels ist Eskalation. Dieses Sprachmuster zieht sich seit Jahren durch die öffentlich-rechtliche Berichterstattung, durch Zeitungsartikel und sogar durch Kommentare zum Thema. Durch das Wort ›Eskalation‹ wird die klassische Kausalität von Angriff und Verteidigung auf den Kopf gestellt. Der sich Verteidigende wird zum Aggressor, aus der Reaktion wird Aktion. Mit nur einem Wort wird die Wahrheit ad absurdum geführt. Wenn etwas eskaliert, ist es stets die Abwehr der Israelis. Diese Art der Berichterstattung mündet letztlich in Verständnis für die Friedensfürsten von Fatah und Co., die mal wieder einen Terrorakt begangen haben. Ein einzelnes Wort wie Eskalation kann also Verständnis für die Täter ausdrücken. Scheinbar harmlose Worte können ebenso viel Schaden anrichten wie sachlich falsche Berichte.«

Julian Reichelt, Chefredakteur der »Bild«-Redaktionen

»Als deutsche Medien haben wir eine besondere Verantwortung gegenüber Israel. Ich beobachte aber, dass es bei vielen Kollegen eine für mich nicht nachvollziehbare Sehnsucht nach dem Befreiungsschlag gegenüber dieser besonderen Verantwortung gibt. Wenn es um Israel geht, fallen zu oft journalistische Minimalstandards weg. Das drückt sich immer wieder in tendenzösen und mit Ressentiments beladenen Berichten aus. Der Duden hat gerade das Wort ›israelkritisch‹ aufgenommen. Die Worte ›syrienkritisch‹ oder ›russlandkritisch‹ habe ich im Duden nicht gefunden. Tatsächlich hat also die Kritik an einem speziellen Land, an einer tatsächlich sehr gut funktionierenden Demokratie, die aus unserer besonderen Geschichte hervorgegangen ist, Eingang in das Standardwerk unserer Sprache gefunden – Kritik an all den schrecklichen Unrechtsstaaten dieser Welt hingegen nicht. Ich glaube, das drückt sehr präzise aus, was für ein gewaltiges Ungleichgewicht dort in unserer Sprache stattfindet. Dieses Ungleichgewicht besteht nicht nur in den Medien, sondern in der deutschen Gesellschaft als Ganzes.«

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