Gregor Gysi hat mit der Tageszeitung Die Welt über antisemitische Zuschriften gesprochen, die er bekommt. Einen Teil davon kann man in den Kommentaren seines öffentlichen Facebook-Profils nachlesen. Dass der Linke-Politiker diese Zuschriften »innerlich« abblocke, wie Gysi sagt, weil es einen zerstöre, »wenn man so etwas wirklich an sich ranlässt«, kann jeder verstehen, der auch nur einmal einen solchen Brief bekommen hat. Dass zugleich damit das ganze Dilemma des Antisemitismus in der Linkspartei deutlich wird, lässt sich politisch allerdings nicht ignorieren.
Es ist das erste Mal, dass Gregor Gysi sich seit der großen Antisemitismus-Diskussion über die Linkspartei von 2011 ausführlich dem Thema widmet. Interessant sind seine Zwischentöne, die Resignation erahnen lassen, auch, weil er weiß, dass es ein Problem seiner Partei ist – was er freilich, in dieser Frage floskelhaft wie oft, im Interview teils relativiert, teils von sich weist. Aber es ist ein Gregor Gysi, dem man anmerkt, dass ihm das Problem trotz aller Abwehrreflexe natürlich klar ist.
Betroffenheit Gerade dann, wenn er sagt, dass er vielleicht aufgrund seiner Biografie, seiner jüdischen Großmutter und damit seiner persönlichen Betroffenheit »gehemmt« gewesen sei, konsequent genug gegen Antisemitismus in seiner Partei vorzugehen. Denn so »natürlich«, wie Gysi behauptet, ist es in der Linkspartei nämlich lange nicht, Israel als jüdischen Staat zu akzeptieren. Und dabei sagt Gysi klar und deutlich, dass Antisemitismus für ihn da zu attestieren sei, wo das Existenzrecht Israels infrage gestellt werde.
Man muss kein Hellseher sein, um zu wissen, dass ein erheblicher Anteil der antisemitischen Zuschriften, die Gysi erreichen, aus dem eigenen politischen Lager kommt – und eben nicht aus dem rechtsextremen Spektrum. Wenn es Gysi ernst damit ist, und so klingt es in dem Welt-Interview, dass Antisemitismus aus seiner Sicht mit einer linken Grundhaltung nicht vereinbar sein soll, dann wäre es an der Zeit, das manifeste Antisemitismusproblem in seiner Partei und gerade auch in seiner Fraktion offen anzugehen.
Denn, da hat Gysi recht, Antisemiten gibt es in allen Parteien – nur: Kaum eine aus dem demokratischen Spektrum weigert sich so beharrlich, sich öffentlich, nachhaltig und vor allem konsequent mit dem Antisemitismus in den eigenen Reihen auseinanderzusetzen wie die Linkspartei.
Der Autor lehrt Politikwissenschaft an der Georg-August-Universität Göttingen.