Europa

»Große Besorgnis«

Vĕra Jourová Foto: ©EU/Shimera/ Chara Kaminara-Pipitsouli

Europa

»Große Besorgnis«

Vera Jourová über die Wahrnehmung von Antisemitismus, junge Juden und ihre Zukunft

von Michael Thaidigsmann  11.07.2019 09:14 Uhr

Frau Jourová, die EU hat vergangene Woche eine Umfrage veröffentlicht unter jüngeren Juden in zwölf Ländern. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse?
Wir müssen leider konstatieren, dass gerade unter jüngeren Juden in der Europäischen Union große Besorgnis herrscht. Vier Fünftel der Teilnehmer gaben an, Antisemitismus sei für sie das größte oder eines der größten Probleme, mit dem sie zu kämpfen hätten. Über 41 Prozent gaben an darüber nachzudenken, Europa den Rücken zu kehren und auszuwandern. Das finde ich äußerst besorgniserregend. Gerade an Schulen und Universitäten haben wir es mit einem Anstieg an Judenhass zu tun, auch im Vergleich zur letzten Umfrage 2012. Junge Menschen sind besonders betroffen vom Antisemitismus. Die Umfrage zeigt das Ausmaß des Problems. Wir hoffen, dass das Regierungen zum Handeln bewegt.

Verstecken junge Juden ihr Jüdischsein in der Öffentlichkeit?
Viele junge Leute sind sich sehr bewusst, dass sie auf der Straße oder am Arbeitsplatz Anfeindungen ausgesetzt sein könnten, wenn sie sich als Juden »zu erkennen geben«. Interessanterweise haben wir aber in der Befragung auch festgestellt, dass ungefähr 60 Prozent der befragten Jüngeren regelmäßig jüdische Symbole wie die Kippa oder den Davidstern in der Öffentlichkeit tragen - deutlich mehr als die älteren. Sie bringen also bewusst ihre jüdische Identität zum Ausdruck und lassen sich nicht unterkriegen. Das sollte eigentlich normal sein heutzutage, ist es aber nicht überall. Wir müssen uns anstrengen, dass alle jüdischen Bürger sich überall in Europa sicher und respektiert fühlen. Wichtig ist, so wie das der Antisemitismusbeauftragte in Deutschland neulich getan hat, das Problem sichtbar zu machen, damit Gegenmaßnahmen ergriffen werden können.

Nun ist dieser Befund nicht ganz neu. Hat die EU geschlafen?
Nein, wir sind schon lange hellwach, was das angeht. Diese Umfrage wurde ja gerade deshalb durchgeführt, um der Sache auf den Grund zu gehen. Wir wollen wissen, wie die Betroffenen denken und wir hören ihnen im Übrigen auch zu wenn es um mögliche Lösungen geht. Die Tatsache, dass die IHRA-Antisemitismusdefinition in vielen Universitäten jetzt anerkannt wird, wurde von den jüdischen Studierenden angeregt und von uns unterstützt.

Wo sehen Sie Ansatzpunkte, um die Lage zu verbessern?
Es hilft ja nichts, nur die Probleme zu beklagen, man muss konkrete Antworten geben. Als ein Beispiel möchte ich den Kampf gegen illegale Hassbotschaften im Internet nennen. Das betrifft gerade die Jüngeren, die sich oft wehrlos fühlen. Wir haben 2016 gemeinsam mit den großen Internet-Plattformen einen Verhaltenskodex erarbeitet. Seitdem werden Hassbotschaften und verhetzende Kommentare in sozialen Netzwerken viel schneller und gründlicher gelöscht. 2016 waren es nur 28 Prozent, heute sind wir bei einer Löschquote von 72 Prozent aller gemeldeten Inhalte, und das binnen 24 Stunden.

Reicht das?
Natürlich muss noch viel mehr passieren. Die Umfrage zeigt uns: Nur ein Drittel der Befragten jungen Juden ist zufrieden mit dem, was staatliche Stellen im Kampf gegen den Antisemitismus tun. Ich habe deshalb eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die von der Antisemitismusbeauftragten der Kommission geleitet wird, in der Vertreter der Ministerien mit jüdischen Vertretern ganz gezielt über konkrete Probleme wie Sicherheit, Bildung oder die Anwendung der IHRA-Definition reden. Die erste Sitzung habe ich am 20 Juni in Brüssel eröffnet. Konkret wollen wir, dass bis Ende 2020 alle EU-Mitgliedstaaten nationale Strategien gegen Antisemitismus verabschieden. Das muss noch besser werden, aber wir sind auf einem guten Weg. Das europäische Judentum muss hier eine Zukunftschance haben. Das geht nur, wenn wir das Vertrauen junger Jüdinnen und Juden nicht verspielen.

Mit der EU-Justizkommissarin sprach Michael Thaidigsmann.

Thüringen

Jüdisches Bildungsprojekt »Tacheles mit Simson« geht erneut auf Tour

Ziel des Projektes sei es, dem Aufkommen von Antisemitismus durch Bildung vorzubeugen, sagte Projektleiter Johannes Gräser

 15.09.2025

Berlin

Jüdisches Paar in U-Bahn geschlagen und beleidigt

Der Polizeiliche Staatsschutz hat die Ermittlungen übernommen

 15.09.2025

Interview

»Björn Höcke ist die prägendste Figur für die AfD-Ideologie«

Der Journalist Frederik Schindler hat ein Buch über Björn Höcke geschrieben. Wie wurde aus dem rechtsextremen Politiker das, was er heute ist?

von Nils Kottmann  15.09.2025

Eurovision

Israel hält nach Boykottaufrufen an ESC-Teilnahme fest

Israel will trotz Boykott-Drohungen mehrerer Länder am Eurovision Song Contest 2026 teilnehmen. Wie andere Länder und Veranstalter reagieren

 15.09.2025

Antisemitismusskandal

Bundespräsident trifft ausgeladenen Dirigenten Shani

Nach dem Eklat um eine Ausladung der Münchner Philharmoniker in Belgien hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den künftigen israelischen Chefdirigenten Lahav Shani ins Schloss Bellevue eingeladen

von Anne Mertens  15.09.2025

Berlin

Margot Friedländer Preis wird verliehen

Die mit insgesamt 25.000 Euro dotierte Auszeichnung gehe an Personen, die sich für Toleranz, Menschlichkeit, Freiheit und Demokratie einsetzen

 15.09.2025

Essen

Islamist plante Mord an Juden

Der 17-jährige Erjon S., ein kosovarischer Staatsangehöriger, soll aus einer islamistisch-jihadistischen Ideologie heraus gehandelt haben

 15.09.2025

München

Alte Synagoge feiert Wiedereröffnung

Nach jahrelanger Restauration soll die Bauhaus-Synagoge wieder im Glanz von 1931 erstrahlen

 15.09.2025

Madrid

Israelfeindliche Demonstranten blockieren Vuelta á España erneut

60 Kilometer vor dem Ziel steht eine Gruppe von Protestierern mit einem Banner auf der Straße. Das Rennen musste abgebrochen werden

 15.09.2025