Ganz offiziell haben die Waffeninspektoren der UNO bestätigt, woran niemand mehr zweifeln konnte. Am 21. August wurde in der Nähe von Damaskus Giftgas eingesetzt. Die Frage, die die Inspektoren nicht beantwortet haben, ist, wer für den Einsatz verantwortlich ist. Während Russland die Rebellen beschuldigt, vermutete der deutsche Außenminister Guido Westerwelle, »dass nur das Assad-Regime Material und Fähigkeiten für diesen Giftgasangriff mit so furchtbaren Folgen hatte«.
Um einem US-Militärschlag zu entgehen, hat sich das Regime in Syrien bereiterklärt, seine C-Waffenlager unter internationaler Aufsicht zu räumen. Der syrische »Minister für Versöhnung« verkauft die Verhinderung der Intervention als einen »Sieg für Syrien«, den »unsere russischen Freunde« erreicht hätten.
deal Wie könnte ein Deal aussehen, der Baschar al-Assad tatsächlich dazu zwingen könnte, eines der weltweit größten C-Waffenarsenale unter internationale Kontrolle stellen zu lassen? Diese Frage stellt sich Ely Karmon, Experte für Massenvernichtungswaffen am israelischen Institute for Counter-Terrorism (ICT). Für ihn ist die von den USA und Russland in Genf ausgehandelte Lösung unrealistisch: »Inmitten eines blutigen Bürgerkriegs ist der Vorschlag unmöglich umzusetzen. Erst muss es einen Waffenstillstand geben, und beide Seiten müssten den Inspektoren die Chance geben, ihre Arbeit zu tun.« Selbst wenn sich das Regime in Damaskus auf einen Waffenstillstand einließe, gebe es starke Zweifel, ob auch die Rebellen mitmachten.
Die oppositionelle Freie Syrische Armee (FSA) lehnt die Vereinbarung ab und wirft dem Assad-Regime vor, die Waffen in Nachbarländer zu transportieren. Ein FAS-Sprecher erklärte, die Fokussierung auf die C-Waffen sei für Assad ein Persilschein, weiter zu morden, solange er andere Waffen benutze.
westen In einem Bericht zu den syrischen C-Waffen sprechen Karmon und seine Kollegen von mehr als 1000 Tonnen chemischer Kampfstoffe, die auf viele Lagerstätten über das Land verteilt seien. Die meisten davon lägen nahe der türkischen Grenze. Viele der als Lagerstätten der C-Waffen angegebenen Städte sind umkämpft.
Karmon kritisiert den Westen, der die Herstellung von Assads Arsenal logistisch unterstützt habe. Bereits in den 80er-Jahren hätten neben Deutschland auch Russland, Frankreich, die Schweiz und sogar die USA die Ausrüstung geliefert, das heute die Infrastruktur der C-Waffen-Anlagen ausmache. »Erst jetzt, wo Assad die Waffen benutzt hat, ist die Welt aufgewacht.«
Mit der Entwicklung der Waffen hat Syrien nach der Niederlage gegen Israel im Jom-Kippur-Krieg von 1973 begonnen. Im Juli 2012 räumte das Regime erstmals ein, Chemiewaffen zu besitzen, behauptete aber, sie seien ausschließlich zur Landesverteidigung vorgesehen. Syrien hatte sich stets geweigert, der C-Waffenkonvention beizutreten. Doch bald soll der Beitritt erfolgen.
In Israel wird befürchtet, dass Assad der libanesischen Hisbollah Teile des C-Waffenarsenals überlassen könnte. Für Karmon ist ein solches Szenario durchaus realistisch, denn Syrien hat die Hisbollah bereits mit Langstreckenraketen beliefert, und die Hisbollah unterstützt Assad mit einigen Tausend ihrer eigenen Kämpfer. Syrien und Iran könnten die Schiiten-Miliz dazu drängen, die C-Waffen gegen Israel einzusetzen, um den Konflikt zu verlagern. Hinzu kommt die Gefahr, dass die Waffen einer der in Syrien kämpfenden Dschihadisten-Gruppen in die Hände fallen könnten.
islamisten Laut einer aktuellen Studie des Fachblatts »IHS Jane’s« müssen 30.000 bis 35.000 Kämpfer gegen Assad als islamistische Hardliner gelten. Darüber hinaus gebe es rund 10.000 Dschihadisten, die nicht nur für einen Umsturz in Syrien kämpften, sondern den globalen Kampf des Al-Qaida-Netzwerkes unterstützten; unter ihnen sollen sich 700 Europäer befinden. Diese Studie widerspricht dem, was US-Außenminister John Kerry am 3. September vor dem Senat beteuerte: Berichte, wonach große Teile der Rebellen von Al Qaida infiltriert seien, bezeichnete Kerry als »im Wesentlichen unzutreffend«.
Sicher ist: Die Islamisten verfügen über kampfstarke Einheiten und scheuen nicht den offenen Konflikt mit den liberaleren Teilen der Opposition. Letzte Woche gab es einen Angriff der Gruppierung »Islamischer Staat Irak und die Levante« auf eine Rebellenhochburg in der Nähe der türkischen Grenze. Ein Waffenstillstand zwischen den beiden Lagern konnte nach zwei Tagen und wegen schwindender Kräfte aufseiten des Al-Qaida-Ablegers vermittelt werden. Die Türkei hat erstmals von einer Bedrohung der eigenen Sicherheit durch die an ihrer Grenze operierenden dschihadistischen Elemente gesprochen.
Der erste Schritt zu einem chemiewaffenfreien Syrien soll bald gemacht sein. Es wird erwartet, dass Assad die Liste mit allen sich im Land befindenden Giftgaswaffen vollständig übergibt. Wie die Konsequenzen in dem Fall aussehen werden, wenn Assad gegen den Deal verstößt, bleibt die Kernfrage.