Josef Schuster fand eindringliche Worte. »Es reicht!«, sagte der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland am vergangenen Freitag in einem Grußwort zum Bundesparteitag der FDP. Er beklagte massive Hetze gegen Juden in Deutschland und rief zu Solidarität gegen Antisemitismus und Hass auf: »Wir erwarten, dass die Bürger sich gegen diesen Antisemitismus stellen! Und zwar lautstark und öffentlich.«
Schusters Ansprache fiel in eine denkwürdige Woche, die von zahlreichen antisemitischen Kundgebungen, Hassbotschaften in sozialen Medien und versuchten Angriffen auf Synagogen in Deutschland gezeichnet war. Der Anlass für den neuerlichen öffentlichen Ausbruch des Judenhasses war die militärische Antwort Israels auf die massiven Raketenangriffe durch die Terrorgruppen Hamas und »Islamischer Dschihad« in Gaza auf israelisches Staatsgebiet.
SYNAGOGE Die antisemitischen Vorfälle konzentrierten sich zunächst auf Nordrhein-Westfalen. Am Montag vergangener Woche wurde in Düsseldorf versucht, den Gedenkstein am Standort der 1938 zerstörten Großen Synagoge in Brand zu setzen. »Unbekannte hatten offensichtlich vorsätzlich Unrat auf dem Stein entzündet«, teilte die Polizei mit. »Das ist für uns nicht nur entsetzlich, sondern wir empfinden es sehr perfide, dass man diesen Ort, wo die alte Synagoge abgebrannt ist, wieder in Brand setzt«, sagte Oded Horowitz, Vorstandsvorsitzender der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf und des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein, der Jüdischen Allgemeinen.
Am darauffolgenden Dienstag attackierten mehrere Personen in Bonn den Eingang der Synagoge. »Anwohner hatten die Polizei darüber verständigt, dass junge Leute vor der Synagoge hantiert und Steine auf das Fensterglas geworfen haben. Sie machten vor der Synagoge Feuer und verbrannten eine israelische Fahne. Es wurden in arabischer Sprache beschriftete Zettel gefunden«, berichtete Ricky Kaminski, Co-Vorsitzende der Bonner Gemeinde, am Tag darauf dieser Zeitung. Ein Fensterglas sei durch Steinwurf zerbrochen.
In Münster alarmierten am selben Abend mehrere Zeugen die Polizei wegen einer Gruppe vor der Synagoge, die eine israelische Fahne verbrannte. Sharon Fehr, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde, lobte die Sicherheitskräfte sowie Augenzeugen: »Durch das dankenswerte schnelle Eingreifen der Polizei in Münster konnte vermutlich Schlimmeres verhindert werden.«
Dank gebühre auch den solidarischen Bürgerinnen und Bürgern in Nähe der Synagoge, die die Polizei umgehend benachrichtigten. »Zurück bleiben höchst verunsicherte Mitglieder der Jüdischen Gemeinde in Münster«, so Fehr weiter.
»Es war so schrecklich, diese hassverzerrten Gesichter zu sehen.«
Judith Neuwald-Tasbach
Am Mittwochabend stoppte die Gelsenkirchener Polizei rund 180 Demonstranten, die sich vom Bahnhofsvorplatz in Richtung Synagoge bewegten und antisemitische Rufe wie »Scheißjuden« und »Kindermörder Israel« skandierten.
ENTSETZEN Zuvor hatte Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul angeordnet, die polizeilichen Schutzmaßnahmen an Synagogen und jüdischen Einrichtungen zu verstärken. »Das war ein schreckliches Erlebnis für unsere Gemeinde. Es war so schrecklich, diesen überbordenden Hass, diese hassverzerrten Gesichter und auch diese geballten Fäuste zu sehen«, sagte Judith Neuwald-Tasbach, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen, der Jüdischen Allgemeinen.
Zu den Geschehnissen in Bonn, Münster und Gelsenkirchen sagte Oded Horowitz: »Die Vorfälle verursachen richtige Angst und Entsetzen.« Er erwarte, dass die Landespolitik den Gemeinden mehr Mittel für Sicherheit zur Verfügung stelle, und betonte: »Wenn wir nicht dafür sorgen, dass die Mitglieder sich in unseren eigenen Einrichtungen und in der Stadt sicher fühlen, könnte das möglicherweise zu Reaktionen und Auswanderung aus Deutschland führen.«
Horowitz verwies zugleich auf den »unglaublichen Krieg« gegen Israel und Juden in den sozialen Medien. Der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus RIAS dokumentierte am 14. Mai zahlreiche verletzende und bisweilen bedrohende antisemitische Äußerungen in sozialen Medien gegenüber Juden und jüdischen sowie israelischen Institutionen.
Der Zentralrat der Juden veröffentlichte auf Twitter eine unzensierte Auswahl gegen ihn gerichteter antisemitischer Beschimpfungen in sozialen Medien.
Am 16. Mai veröffentlichte der Zentralrat der Juden auf Twitter eine unzensierte Auswahl gegen ihn gerichteter antisemitischer Beschimpfungen in sozialen Medien. »Wir haben uns entschieden, eine unzensierte Auswahl zu veröffentlichen. Wer antisemitisches Gift verbreitet, muss damit rechnen, beim Namen genannt zu werden«, schrieb der Zentralrat.
PAROLEN Bereits am Freitagabend besuchten in Berlin Vertreter aus Politik und Kirche Gottesdienste jüdischer Gemeinden, darunter Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD). Der Terror gegen Israel sei ein Verbrechen, erklärte die Bundesjustizministerin: »Und die antisemitischen Demonstrationen sind eine Schande für unser Land.« Wer hierzulande »antisemitische Parolen brüllt, wer die israelische Flagge verbrennt, der begeht Straftaten, die verfolgt werden müssen«, sagte Lambrecht.
Noch am Wochenende verurteilten einige Vertreter muslimischer Verbänden die Gewalt gegen Juden und Synagogen. Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, sagte der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung«: »Wer unter dem Vorwand von Kritik an Israel Synagogen und Juden angreift, hat jedes Recht auf Solidarität verwirkt.«
In Berlin wie auch in Hamburg, Frankfurt und Köln kam es derweil am vergangenen Samstag bei porpalästinensischen Demonstrationen wiederholt zu unverblümter antisemitischer Hetze. So wurde etwa in Berlin immer wieder gefordert, Tel Aviv zu bombardieren, mit »Millionen Menschen in Jerusalem einzumarschieren«. Parolen wie »Kindermörder Israel« und »Free Palestine« waren zu hören. Bei mehreren Kundgebungen kam es laut Agenturberichten zu Zwischenfällen und Ausschreitungen. Polizisten wurden körperlich und verbal massiv attackiert.
»Nichts rechtfertigt die Bedrohung von Juden in Deutschland oder Angriffe auf Synagogen in unseren Städten.«
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier
Zentralratspräsident Josef Schuster forderte nach den israelfeindlichen und antisemitischen Demonstrationen ein konsequentes Vorgehen: »Seit Tagen verbreiten Mobs in vielen deutschen Städten blanken Judenhass. Sie skandieren übelste Parolen gegen Juden, die an die dunkelsten Zeiten deutscher Geschichte erinnern.« Dagegen müsse die Polizei konsequent vorgehen. »Antisemitismus darf nicht unter dem Deckmäntelchen der Versammlungsfreiheit verbreitet werden. Die muslimischen Verbände und Imame müssen mäßigend wirken«, forderte Schuster.
KONSEQUENZEN Politiker und Amtsträger fordern Konsequenzen aus den Geschehnissen. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) betonte am Wochenende, wer antisemitischen Hass verbreite, werde die volle Härte des Rechtsstaates zu spüren bekommen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erklärte am Sonntag: »Wir sehen auch den antisemitischen Hass auf unseren Straßen. Nichts rechtfertigt die Bedrohung von Juden in Deutschland oder Angriffe auf Synagogen in unseren Städten.« Innenminister Georg Maier (SPD) will gegen antisemitische Straftäter mit aller Härte vorgehen. Das betreffe auch Hetze und Gewaltaufrufe im Internet, sagte er am Dienstag in Erfurt.
Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) verurteilte den wachsenden Antisemitismus in Deutschland mit den Worten: »Wir betrachten Angriffe auf Juden und jüdische Einrichtungen als Angriffe auf uns selbst und die Demokratie.« Selbstverständlich dürfe man kritisch gegen die Politik Israels demonstrieren.
»Aber Angriffe auf Synagogen, antisemitische Parolen, Gewaltandrohung gegen Jüdinnen und Juden, das Verbrennen von Israelfahnen fällt nicht unter diese Meinungsfreiheit«, unterstrich Kretschmann am Dienstag in Stuttgart. Er wolle klipp und klar sagen, dass das Existenzrecht Israels zur Staatsräson der Bundesrepublik gehöre. Die jüdische Bevölkerung könne mit der Solidarität der Landesregierung und der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung rechnen.
BUNDESTAG Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sagte der FAZ, es müsse »empfindliche und schnelle Folgen haben, wenn sich jemand antisemitisch betätigt. Die Staatsanwaltschaft und die Polizei müssen in die Lage versetzt werden, Antisemitismus schnell und besser zu erkennen und zu ahnden«. Klein kündigte eine nationale Strategie für den Kampf gegen Antisemitismus an. Sie setze auf Repression und Prävention und müsse von der kommenden Bundesregierung umgesetzt werden.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) unterstrich am Montag in einem Telefongespräch mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, dass die Bundesregierung weiter entschieden gegen Proteste in Deutschland vorgehen werde, »die Hass und Antisemitismus verbreiten«.
Die Angriffe der Hamas auf Israel waren am Mittwoch Thema einer aktuellen Stunde im Bundestag, an der auch Bundeskanzlerin Merkel teilnahm. Einstimmig verurteilten alle Fraktionen die Raketenangriffe auf Israel. Auch zu den jüngsten Vorfällen in Deutschland bezogen die Abgeordneten Position.
Bereits zuvor hatte Außenminister Heiko Maas (SPD) für die Bundesregierung die Aussprache eröffnet und ein härteres Durchgreifen gegen Antisemitismus gefordert. Man müsse »antisemitischen Hasspredigern, Hetzern und Gewalttätern hier in unseren eigenen Städten mit der ganzen Härte des deutschen Rechtsstaates entgegentreten – und zwar egal, ob sie schon immer hier leben oder erst in den letzten Jahren hierhergekommen sind«. Es dürfe auf deutschen Straßen »keinen Zentimeter Platz geben für Antisemitismus, niemals und nie wieder«. (mit epd und dpa)