Auf einem jüdischen Friedhof in Berlin ist nach Recherchen der »Bild«-Zeitung einer der berüchtigtsten Nazi-Verbrecher beerdigt worden. Gestapo-Chef Heinrich Müller wurde demnach 1945 in einem Massengrab auf dem jüdischen Friedhof an der Großen Hamburger Straße im Stadtteil Mitte begraben, berichtet das Blatt in seiner Donnerstagsausgabe. Der Chef der Geheimen Staatspolizei gilt als einer der Hauptverantwortlichen für den Völkermord an den Juden.
Der Präsident des Zentralrates der Juden, Dieter Graumann, äußerte sich entsetzt. Er sagte der »Bild«-Zeitung: »Dass einer der brutalsten Nazi-Sadisten ausgerechnet auf einem jüdischen Friedhof begraben ist, das ist eine geschmacklose Ungeheuerlichkeit.« Damit werde das Andenken der Opfer mit Füßen getreten.
Massengrab Wie die Zeitung schreibt, steht nun, 68 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, endgültig fest, dass der NS-Verbrecher das Kriegsende nicht überlebt hat. Der Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Johannes Tuchel, wird von der Zeitung mit den Worten zitiert: »Heinrich Müller hat das Kriegsende nicht überlebt. Seine Leiche wurde 1945 auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Mitte in einem Massengrab beigesetzt.« Dies belegten Dokumente, die Tuchel in verschiedenen Archiven gefunden habe.
Westliche Geheimdienste hätten noch lange geglaubt, Müller habe den Krieg überlebt. Nach Angaben Tuchels wurde Müllers Leiche indes im August 1945 in einem provisorischen Grab in der Nähe des ehemaligen Reichsluftfahrtministeriums von einem Beerdigungskommando gefunden. Historischen Dokumenten zufolge sei der NS-Verbrecher damals eindeutig identifiziert worden.
Bestätigung Der Direktor der Stiftung Topographie des Terrors, Andreas Nachama, bestätigt gegenüber der Jüdischen Allgemeinen das Rechercheergebnis: »Heinrich Müller wurde ausweislich der Beerdigungsliste für das im 1944 angelegten Splittergraben vorhandene Beerdigungsbuch zusammen mit 2427 Kriegstoten Ende April/Anfang Mai 1945 dort beigesetzt.« Die von Johannes Tuchel jetzt bestätigte Beerdigung in dem Massengrab sei für ihn keine Überraschung. »Ich war immer davon ausgegangen, dass eine solche ad hoc und vor Ort aufgeschriebene Liste keine gezielten Falscheintragungen enthält.«
Der Friedhof sei in Nachamas Amtszeit als Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin restauriert worden. Damals sei sowohl mit dem Gemeinderabbiner Yitshak Ehrenberg als auch mit der zuständigen Senatsdienststelle über eine Exhumierung aller Kriegstoten nachgedacht worden. »Halachisch wäre das aus Gründen des ewigen Liegerechts nicht möglich, da unter den Toten im Splittergraben auch Überreste des Jüdischen Friedhofs sein können«, so Nachama.
Und internationales Recht gebe Kriegstoten – unter den dort Beerdigten befinden sich auch Soldaten – ewiges Liegerecht. »Insofern ist es nur möglich gewesen, zu verhindern, dass auf dem Friedhof eine Gedenkwand mit den über 2000 Namen entsteht und damit Heinrich Müller ein Andenken auf dem Jüdischen Friedhof gehabt hätte.« Alles, was jetzt dort vor Ort zu sehen ist, ist eine allgemeine Hinweisplakette auf die Kriegstoten im Massengrab.
gestapo-Zentrale Laut Bild-Chefreporter Hans-Wilhelm Saure ist nicht auszuschließen, dass noch weitere Nazi-Täter auf dem Jüdischen Friedhof an der Großen Hamburger Straße beerdigt wurden. »Die Gestapo-Zentrale, NS-Ministerien und die Reichskanzlei lagen in der Nähe des Friedhofs«, sagte Saure auf Anfrage. Aus diesem Grund seien in diesem Bereich Berlins nach und kurz vor Kriegsende auch tote NS-Verbrecher aufgefunden worden. »Durch die Wirren des Krieges und der Nachkriegszeit könnten damals wie Müller auch andere SS-Täter auf dem Jüdischen Friedhof begraben worden sein und heute noch anonym dort liegen.«
Ilan Kiesling, Sprecher der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, erklärte auf Anfrage: »Bei der Wiedereinweihung des Jüdischen Friedhofs in der Großen Hamburger Straße im Jahre 2008 waren sich alle Beteiligten aufseiten der Gemeinde und des Landes Berlin durchaus bewusst, dass auf dem Areal auch viele Nichtjuden, darunter Nazis, begraben liegen.«
»Die Gestapo hatte den Friedhof verwüstet und zu Kriegsende wurden dort Splittergräben angelegt, in welchen dann zivile Kriegsopfer, aber auch Soldaten verscharrt wurden«, führte Kiesling weiter aus. Dies sei ein Zustand, der starkes Unbehagen innerhalb der Gemeinde hervorrufe. Ein würdevollerer Umgang mit dieser Sachlage, der aus jüdischer Sicht auf Ewigkeit Bestand haben müsste, sei leider noch nicht gefunden. ja (mit epd)