Der Generalbundesanwalt in Karlsruhe ermittelt nach den Anschlägen auf jüdische Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen Ende vergangenen Jahres gegen »zahlreiche« Personen wegen mutmaßlicher Bildung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung sowie weiterer Straftaten. Bereits Mitte Februar hatte ein Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof (BGH) die Durchsuchung von zwei Wohnungen von Verdächtigen angeordnet.
Eine von den Betroffenen eingereichte Beschwerde gegen die Anordnung sowie die Sicherstellung von Beweismitteln durch die Polizei hat der BGH nun verworfen. Der Beschluss erging bereits am 16. Mai, wurde aber erst jetzt bekannt. Das Medienportal »T-Online« berichtete zuerst darüber. In ihrem Beschluss nehmen die Richter auch eine umfassende Würdigung des Falls vor.
MULLAHS Demnach schlossen sich spätestens ab Juni 2022 mindestens vier Personen zusammen, um in Deutschland Anschläge auf Synagogen und andere jüdische Einrichtungen zu verüben. Der Drahtzieher der Aktionen, ein Deutsch-Iraner, stammt aus Nordrhein-Westfalen und hält sich seit September 2021 im Iran auf. Laut Gerichtsbeschluss soll er von dort einen weiteren Beschuldigten angestiftet haben, in der Nacht vom 17. auf den 18. November 2022 einen Anschlag auf das Rabbinerhaus der Alten Synagoge in Essen zu verüben.
Fast zeitgleich wurde in Bochum ein Molotow-Cocktail gegen einen Gebäudeteil einer Schule in Bochum geworfen, die unmittelbar an die dortige Synagoge angrenzt. Ein dritter, ebenfalls für den 17. November 2022 geplanter Brandanschlag auf die Dortmunder Synagoge wurde nicht ausgeführt.
Der für die Ausführung vorgesehene Attentäter wandte sich stattdessen an die Polizei und belastete auch andere Mitglieder der vom Generalbundesanwalt als »Operativteam« bezeichneten Gruppe. Einer von ihnen, der mutmaßliche Attentäter von Bochum, wurde daraufhin in Untersuchungshaft genommen. Anfang Mai erhob die Bundesanwaltschaft Anklage gegen den Deutsch-Iraner.
Innerhalb der Verschwörergruppe nahm der als Ramin Y. bezeichnete Mann im Iran die Rolle des Drahtziehers ein und koordinierte die Anschläge. Das sei offenbar »in Zusammenarbeit mit einer staatlichen Stelle im Iran, den Quds-Kräften der Revolutionsgarde« geschehen, so der Gerichtsbeschluss wörtlich.
KRIMINELLE VEREINIGUNG In rechtlicher Hinsicht, so der Bundesgerichtshof, sei der Sachverhalt als Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung gemäß § 129 Abs. des Strafgesetzbuches (StGB) anzusehen. Zwar verfüge die Gruppe den momentanen Erkenntnissen zufolge über einen vergleichsweise geringen Organisationsgrad; ihre Mitglieder wirkten jedoch unter Anleitung von Y. zusammen, »um ein über die Begehung der Straftaten hinausgehendes, als antisemitisch zu bewertendes Ziel zu erreichen«, so die Richter.
Die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts, der den Fall im Dezember 2022 an sich gezogen hatte, sei zu bejahen, so der BGH. Es gehe hier, so der Beschluss wörtlich, »um ein staatsgefährdendes Delikt von erheblichem Gewicht«, welches »die Schutzgüter des Gesamtstaats in einer derart spezifischen Weise angreift, dass ein Einschreiten des Generalbundesanwalts und eine Aburteilung durch ein die Bundesgerichtsbarkeit ausübendes Gericht geboten sind.«
Zur Begründung zogen die Richter nicht nur mögliche Auswirkungen der Anschläge auf das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung heran, sondern auch »die Beeinträchtigung des Erscheinungsbilds der Bundesrepublik in solchen Staaten, die ihr durch gemeinsame Wertvorstellungen verbunden sind« sowie »die mögliche Signalwirkung auf potentielle Nachahmungstäter«. Die geplante Tat habe eine »besondere Bedeutung«. Nach den vorliegenden Ermittlungsergebnissen hätten die Anschläge insbesondere Synagogen gegolten.
Die Tatsache, dass die Anschläge mutmaßlich von einem fremden Staat, dem Iran, initiiert worden seien, berühre nicht nur die innere Sicherheit Deutschlands, sondern auch ihre Souveränität, stellte der BGH fest. Die den Beschuldigten zur Last gelegten Taten seien »geeignet, gegenüber in Deutschland lebenden Angehörigen der jüdischen Religionsgemeinschaft ein Klima der Angst und Einschüchterung zu verbreiten.« Da die Bundesrepublik dem Schutz jüdischen Lebens eine »herausragende Bedeutung« beimesse, müsse der Staat auch imstande sein, diesen Schutz »effektiv zu gewährleisten«.
VERFASSUNGSSCHUTZ In dem am Dienstag von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) vorgestellten Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2022 wird der vorliegende Fall zwar nicht ausdrücklich erwähnt, aber ausführlich vor »staatsterroristischen Aktivitäten« des Iran auch in Deutschland gewarnt. »Nachrichtendienste der Islamischen Republik Iran setzen auch staatsterroristische Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele ein.
Maßgebliche staatsterroristische Ziele sind die Einschüchterung und Neutralisierung Oppositioneller, aber auch die Bestrafung von ›Verrätern‹ oder ›Überläufern‹. Ausspähungsaktivitäten iranischer Nachrichtendienste dienen der Vorbereitung staatsterroristischer Aktivitäten, darunter Entführung oder sogar Tötung der Zielperson«, heißt es wörtlich in dem Papier.
Solche Aktivitäten staatlicher Stellen im Iran richteten sich nicht nur gegen Exiliraner und Oppositionelle, sondern beträfen auch Iran-Touristen. Besonders gefährdet seien Personen mit deutscher und iranischer Staatsangehörigkeit. Diese würden vom Regime im Iran grundsätzlich als Inländer behandelt. Gleichzeitig nutze der Iran jedoch die zweite Staatsbürgerschaft zur Ausübung politischen Drucks, so der Verfassungsschutzbericht.
»Es ist davon auszugehen, dass Iran auch weiterhin gezielt westliche Mono- und Doppelstaatler unter konstruierten Vorwänden festnimmt und als Druckmittel einsetzt. Dies dient der Durchsetzung seiner politischen Ziele, um beispielsweise den Austausch gegen im Ausland inhaftierte Personen zu erreichen.«
GEFÄHRDUNGSPOTENZIAL Darüber hinaus sei das islamistische Regime seit rund zehn Jahren sehr aktiv dabei, mit Cyberangriffen Informationen zu gewinnen. Die Angriffe richteten sich unter anderem gegen Israel und die USA. In Deutschland würde sich die iranische Cyberspionage vorwiegend gegen Institutionen im Bereich von Bildung und Forschung sowie gegen Oppositionelle richten, so die Verfassungsschützer.
Sie folgerten: »Die iranische Opposition, aber auch (pro-)israelische beziehungsweise (pro-)jüdische Ziele werden in Deutschland weiterhin Ziel iranischer Nachrichtendienste sein. Das Gefährdungspotenzial ist in den letzten Jahren angestiegen.« Es sei deshalb davon auszugehen, dass iranische Nachrichtendienste die Interessen des Regimes in Teheran auch weiterhin »mit allen Mitteln« – auch durch Gewalttaten und sogar Tötungen – verfolgen würden.
LISTUNG Ob diese Erkenntnisse allerdings dazu führen werden, dass Deutschland die Islamische Revolutionsgarde des Iran (IRGC) als terroristische Vereinigung einstuft, ist bislang unklar. Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender von Bündnis90/Die Grünen im Bundestag, sagte dieser Zeitung dazu: »Die sich immer deutlicher abzeichnende aktive Rolle iranischer Stellen in Deutschland bei diversen antisemitischen Vorfällen bis hin zur Begehung von massiven Straftaten ist skandalös. Welche Beiträge hoheitlichen Akteure hier leisten, muss dringend, umgehend und vollständig aufgeklärt werden, auch um zu entscheiden, welcher Konsequenzen es exakt bedarf.«
Es müsse alles Menschenmögliche getan werden, um jüdische Einrichtungen vor kriminellen und terroristischen Aktivitäten und Gefährdungen zu schützen. »Die Politik ist in der Pflicht, mit einem schlüssigen Gesamtkonzept einen umfassenden und wirksamen Schutz von Jüdinnen und Juden sowie den Einrichtungen jüdischen Lebens sicherzustellen«, so von Notz.