Der Mord an Walter Lübcke, die Anschläge in Halle und Hanau: In der zu Ende gehenden Wahlperiode waren diese rechtsextremistisch motivierten Taten die Spitze eines Eisbergs, der sich bereits davor in einem polarisierten Debattenklima aufgetürmt hatte. Hass im Netz, Hetze per Post, an Wände geschmierte Drohungen schockierten Demokraten und wurden zugleich zum bedauerlichen Normalfall.
Im aktuellen Bundestagswahlkampf rechnet der Verfassungsschutz noch einmal mit der Zunahme der Hetze von rechts, wie Präsident Thomas Haldenwang kürzlich sagte. Dann könnte sich auch erstmals zeigen, wie viel die von der Bundesregierung auf den Weg gebrachten Maßnahmen gegen Rechtsextremismus tatsächlich bringen, um Opfer zu schützen und Täter zu verfolgen. Bislang fällt die Bilanz der Aktivitäten der Bundesregierung in dem Bereich zwiespältig aus.
kabinettsausschuss Dass sie mit dem »Kabinettsausschuss zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus« das Thema in den zurückliegenden rund zwei Jahren oben auf die politische Agenda gehoben hat, findet auch bei Opposition und Zivilgesellschaft zunächst einmal Anerkennung. »Erstmalig hat ein Innenminister Deutschland ein Rassismusproblem attestiert«, sagte die Grünen-Bundestagsabgeordnete Filiz Polat dem epd.
Es gebe jetzt sicherlich eine stärkere Sensibilisierung für das Thema, sagte die Linken-Innenpolitikerin Ulla Jelpke. Der Rechtsextremismus sei die größte Bedrohung für die innere Sicherheit, hatte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) zuletzt immer wieder betont. Es war ein neuer Superlativ.
Seehofer wurde selbst mit Vereinsverboten aktiv. 2020 verbot er die Neonazi-Vereinigungen »Combat 18«, »Nordadler« und »Sturm-/Wolfsbrigade 44«. Allen drei Vereinen bescheinigte der Verfassungsschutz eine »Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus«. Der Amadeu Antonio Stiftung reichen Vereinsverbote allein aber nicht aus. »Rechtsextreme Netzwerke müssen radikal aufgeklärt und zerschlagen werden«, fordert Sprecher Lorenz Blumenthaler. Der Verfolgungsdruck auf Rechtsextreme müsse zudem erhöht werden.
grundlage Zumindest gesetzgeberisch legte die im Kabinettsausschuss ebenfalls vertretene Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) die Grundlage für eine konsequentere Verfolgung von Straftaten. Der Bundestag beschloss nach ihren Vorschlägen die Strafbarkeit sogenannter Feindeslisten, auf denen Rechtsextreme politische Gegner an den Internetpranger stellen. Mit dem neuen Tatbestand der »verhetzenden Beleidigung« wurde zudem die Möglichkeit geschaffen, persönliche Verunglimpfungen auf Grundlage einer Diskriminierung schärfer zu bestrafen. Strafrechtlich relevante Beleidigungen in sozialen Netzwerken müssen zudem künftig nicht nur gelöscht, sondern auch ans Bundeskriminalamt gemeldet werden – allerdings erst ab Februar 2022.
Andere zentrale Vorhaben, die der Ausschuss in seinem insgesamt 89 Punkte umfassenden Maßnahmenplan festgelegt hatte, scheiterten dagegen. Dazu gehören das »Wehrhafte-Demokratie-Gesetz« für eine verlässliche Förderung von Anti-Extremismus-Initiativen und Bildungsträgern sowie die Streichung des Begriffs »Rasse« im Grundgesetz. Auch die Verlängerung der Frist, um Ansprüche nach dem Antidiskriminierungsgesetz geltend zu machen, von zwei auf sechs Monate scheiterte. Der Widerstand kam jeweils von der Union im Bundestag.
Andere Punkte aus dem Plan warten noch auf ihre Umsetzung, etwa die Hotline für Opfer von Diskriminierung und eine Beratungsstelle für Menschen, die in ihrem Umfeld eine rechtsextreme Radikalisierung beobachten. An beiden werde gearbeitet, wie das Büro der Integrationsbeauftragten Annette Widmann-Mauz (CDU) und das Innenministerium als jeweils Zuständige auf Nachfrage mitteilten.
rassismus Die Linken-Politikerin Jelpke resümiert, es seien vor allem »viel Geld und schöne Überschriften« für das Paket zusammengetragen worden. Sie erwartet von der künftigen Regierung mehr, um strukturelle Probleme anzugehen. Filiz Polat von den Grünen wünscht sich dafür ein »Gesellschaftsministerium«, in dem Migration, Gleichstellung, Teilhabe und Antidiskriminierung zusammengedacht werden. »Im Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus ist es zehn nach zwölf«, sagt sie.
Die Amadeu Antonio Stiftung wünscht sich vor allem, »den warmen Worten der vergangenen Monate endlich Taten folgen lassen«. Das sei sie den Betroffenen rechter Straftaten schuldig, sagt Sprecher Blumenthaler.