Christliche Kirchen, vier muslimische Verbände und der Zentralrat der Juden in Deutschland haben am Dienstagabend in Berlin ein gemeinsames Förderprojekt für Flüchtlingshilfe und Integration gestartet. Ab sofort können sich interreligiöse Initiativen, die lokal aktiv sind, um Fördermittel bis zu 15.000 Euro bewerben. Dazu müssen mindestens zwei Gemeinden verschiedener Religionszugehörigkeit bei der Integration von Flüchtlingen zusammenarbeiten.
Initiatoren des Projekts sind die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK), der Zentralrat der Juden, der Zentralrat der Muslime, die Türkisch-Islamische Union, der Verband der Islamischen Kulturzentren und der Islamrat. Das Bundesinnenministerium unterstützt das Gesamtprojekt, das bis zum 31. Dezember 2016 läuft, mit einer halben Million Euro.
Beim Startschuss in der Berliner Katholischen Akademie sagte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Günter Krings (CDU), 70 Prozent der Menschen, die 2015 in Deutschland Asyl beantragt hätten, seien Muslime. Viele seien vor religiös motivierter Gewalt geflohen. Umso wichtiger sei es, dass diese Menschen in Deutschland religiöse Gemeinschaft und Frieden erleben könnten.
Ängste Der Berliner Bischof Manfred Dröge sagte, einige Betreiber von Flüchtlingsunterkünften hätten Bedenken, religiöse Gemeinschaften in die Unterkünfte zu lassen – auch aus Angst vor Fundamentalisten. Um diese Ängste auszuräumen, seien gemeinsame Angebote verschiedener Religionsgemeinschaften an die Flüchtlinge besser, damit ihnen gezeigt werden könne, dass Religionsfreiheit in Deutschland funktioniert.
Auch Burhan Kesici, Sprecher des Koordinierungsrats der Muslime, lobte das Projekt und betonte, Integration finde vor allem auf lokaler Ebene statt. Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Abraham Lehrer, sagte in Anspielung auf den Anti-Islam-Kurs der AfD, der interreligiöse Dialog sei in Zeiten, »in denen eine Partei sich aufschwingt, bestimmen zu wollen, welche Religion dazugehört und welche nicht«, und in einem Land, »in dem nicht nur Asylbewerberheime attackiert werden, sondern auch Gotteshäuser«, bitter nötig.
Aktive Gemeinden Auch die kleine jüdische Gemeinschaft sei seit dem vergangenen Jahr beispielsweise mit den Aktionen zum Mitzvah Day verstärkt in der Flüchtlingshilfe aktiv. Konkret nannte Lehrer Projekte der Synagogen-Gemeinde Köln, der Jüdischen Gemeinde Bremen und die Freunde der Synagoge Fraenkelufer in Berlin, die ihre Initiativen – gemeinsam mit anderen – im Foyer der Katholischen Akademie vorstellten.
Doron Kiesel, Professor für Interkulturelle Erziehung in Erfurt und Wissenschaftlicher Direktor der Bildungsabteilung im Zentralrat der Juden, gab zu bedenken, dass viele der Flüchtlinge, die derzeit nach Deutschland kommen, durch ihre Erfahrungen traumatisiert seien – und sich die Frage »Wer bin ich?« gar nicht stellen könnten.
Er halte das Projekt nur dann für sinnvoll, wenn dabei die Grundlagen des Grundgesetzes vermittelt werden könnten. Flüchtlinge dürften nicht als Opfer gesehen, sondern müssten auf Augenhöhe angesprochen und in die Verantwortung genommen werden, forderte Kiesel. Sie seien ohne die Erfahrung von Religionsfreiheit aufgewachsen und müssten sie nun selbst praktizieren.
Potenzial Der Hamburger Erzbischof Stefan Heße betonte, Christen, Juden und Muslime müssten das »friedensstiftende und integrationsfördernde Potenzial von Religion« auch im Alltag bezeugen. Die Sorge für Schutz suchende Menschen und der Dialog zwischen den Religionen sollten enger als bisher miteinander verknüpft werden, sagte der Sonderbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz für Flüchtlingsfragen.
Das Förderprojekt »Weißt du, wer ich bin?« ist die Neuauflage einer bereits bestehenden Kooperation. Dabei wurden zwischen 2004 und 2011 mehr als 100 lokale Initiativen eines interreligiösen Dialogs unterstützt.