Die meisten Juden auf der Welt haben die Entscheidung gefällt, nicht im Lande Israel, sondern in der Diaspora zu leben. Übrigens ist das nicht erst heute so, es stimmte schon zu der Zeit, da der Hohepriester an Jom Kippur im Allerheiligsten noch den Gottesnamen aussprach: In der Spätantike existierte nicht nur in Alexandrien, sondern auch in Rom eine große Exilgemeinde, und die römischen Staatsbürger jüdischen Glaubens nannten ihre Kinder ganz unbekümmert »Julius« oder »Agrippina«.
Stramme Zionisten schütteln sich dabei freilich vor Grausen. Sie beharren darauf, dass Juden in anderer Herren Länder nichts verloren hätten; schließlich hat mit der Gründung Israels 1948 jeder Mensch, der eine noch so vage Verbindung zum Judentum nachweisen kann – sei es durch Abstammung, Konversion oder Heirat mit einem jüdischen Ehepartner – das Recht erworben, in Tel Aviv oder Haifa seine Steuern zu zahlen. Diasporajuden sind aus dieser Sicht nichts weiter als Drückeberger.
Aber gibt es überhaupt noch stramme Zionisten? Israels Staatschef Schimon Peres etwa hat bei seinem Besuch in Deutschland als Erstes die Jüdische Gemeinde zu Berlin besucht, sie so mit seiner Anwesenheit geehrt und dort eine auffallend wohlmeinende Rede gehalten. Kein Wort davon, dass die Juden gefälligst sofort auszuwandern hätten. Und das, bitte schön, in Deutschland! Im Land der Täter und Verräter! Was wird Peres erst sagen, wenn er demnächst in New York zu Besuch ist? Wird er die amerikanischen Juden am Ende noch dafür loben, dass sie in God’s Own Country bleiben und nicht mal wissen, wie man »Alija« auf Hebräisch buchstabiert?
Doch ganz im Ernst: In die Beziehungen zwischen Israel und der Diaspora scheint sich mittlerweile durch die Hintertür ein angenehm pragmatischer Umgangston eingeschlichen zu haben. Das war nicht immer so. Noch vor wenigen Jahren ging es mitunter rauer zu. Doch beide Parteien haben erkannt, dass sie aufeinander angewiesen sind. Und das ist gar nicht einmal so schlecht.