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Bundestag

Geheimnisvolles Papier

Plenarsaal des Bundestages: Hier soll die Resolution noch im Frühherbst verabschiedet werden. Foto: picture alliance/dpa

Noch in der parlamentarischen Sommerpause soll es eine Lösung im Antisemitismusstreit geben. Zumindest, wenn es nach dem Willen der Verhandler bei SPD, Grünen, FDP und CDU/CSU geht. Seit Monaten brüten diese über einem interfraktionellen Antrag für eine Entschließung mit dem Titel »Nie wieder ist jetzt: Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken«.

Derzeit wird noch um einzelne Formulierungen gerungen. Aber die Spekulationen über den Inhalt der Resolution schießen bereits ins Kraut. So vermeldete kürzlich die »Zeit«, dass der Entwurf neben Solidaritätsbekundungen mit Juden auch Formulierungen enthalte, »die die deutsche Kultur- und Wissenschaftsförderung massiv betreffen, ja sie symbolisch unter Kuratel stellen könnten«. In letzter Konsequenz, behauptete der Autor, könne es dann zu einer »flächendeckenden Überprüfung von Künstlerinnen und Forschenden, die sich um öffentliche Förderung bewerben, durch das Bundesamt für Verfassungsschutz« kommen.

Auch im Rat für Migration, einem Zusammenschluss von mehr als 200 deutschen Wissenschaftlern, macht ein Text die Runde, in dem entlang dieser Linie argumentiert wird. In dem Diskussionspapier mit mehreren Einwänden gegen die Antisemitismusresolution, die Ende Juli als »Argumentationshilfen« an alle Ratsmitglieder geschickt wurden, werden die ganz großen Geschütze aufgefahren. Von »rechtlichen Bedenken« ist die Rede und von einer »Gefährdung der Demokratie«. Die geplante Resolution sei »undurchführbar«, sie trage in Wahrheit nichts zum Schutz vor Antisemitismus bei, sondern mache alles nur noch schlimmer.

Der Antragsentwurf wird von den Verhandlern wie ein Staatsgeheimnis gehütet.

Die Bundestagsmehrheit betreibe eine Politik der »sanften Repression« und mobilisiere »manichäische Mittel«. Mit anderen Worten: Sie teile die Welt in Gut und Böse ein. »Oppositionelle Ideen und Stimmen« würden zum Schweigen gebracht, so das Papier. Sollte der Beschluss vom Bundestag angenommen werden, könnte das »verheerende Folgen« für den Kunst- und Kulturbetrieb in Deutschland haben, wird beklagt.

Sogar das böse Wort von der Zensur fällt: »Die Etablierung von offiziellen Zensor:innen, die Erweiterung der Aufgabenbereiche des Verfassungsschutzes auf die Überwachung von Kunst und Wissenschaft oder auch die Auslagerung von Prozessen der Gesinnungsprüfung an Drittanbieter:innen widerspricht dem freiheitlich-demokratischen Grundverständnis und ermöglicht weitere repressive Maßnahmen, die in den Händen der AfD ein katastrophales Potenzial entfalten.« Auf Anfrage bestätigte der Vorstand des Rates für Migration, den Text zu unterstützten, betonte aber, nicht selbst dessen Urheber zu sein.

Einige Punkte sind noch umkämpft

Berechtigte Warnungen? Oder eher Hysterie? Nur wenige Personen waren und sind in die Verhandlungen über den Text einbezogen. Nicht die Fachpolitiker und Antisemitismusexperten haben das Dossier an sich gezogen, sondern die für Inneres zuständigen Vizevorsitzenden der vier Fraktionen, darunter der grüne Fraktionsvize Konstantin von Notz und sein Gegenpart bei der CDU/CSU, Andrea Lindholz.

Der Antragsentwurf wird von den Verhandlern wie ein Staatsgeheimnis gehütet. Groß ist ihre Sorge, dass er von interessierter Seite zerpflückt wird und am Ende – wie schon im November und im April – wieder keine Einigung zustande kommt.

Der Jüdischen Allgemeinen liegt ein aktueller Entwurf des Textes vor. Das meiste ist demnach bereits Konsens zwischen den Ampel-Fraktionen und der Union. Einige Punkte sind aber noch umkämpft. Neben der eher banalen Frage, inwieweit der Antrag die Bundesregierung für ihre bislang getane Arbeit gegen Antisemitismus loben soll, sind auch Fragen im Hinblick auf förderrechtliche Auflagen für Empfänger von Finanzmitteln des Bundes darunter. Die CDU/CSU beharrt darauf, dass Förderanträge von zivilgesellschaftlichen Organisationen grundsätzlich auf Antisemitismus überprüft werden müssen. Die Ampel präferiert eine weichere Formulierung.

Eine Überprüfung durch den Verfassungsschutz ist aber nicht Gegenstand der Verhandlungen, bestätigten dieser Zeitung mehrere mit den Verhandlungen vertraute Personen.

Die Entschließung des Parlaments vom Mai 2019 zur BDS-Bewegung soll hingegen bekräftigt werden. Der Text fordert die Bundesregierung auf, »die gegen die BDS-Bewegung gerichteten Aktivitäten zu verstärken« und ein »Betätigungsverbot oder ein Organisationsverbot von BDS in Deutschland« zu prüfen.

Wie soll Antisemitismus definiert werden?

Die Entschließung des Bundestags entfaltet zwar keine unmittelbare Bindungswirkung. Sie ist dennoch mehr als eine Wunschliste. So wird im Entwurf die Bundesregierung aufgefordert, bis Ende dieses Jahres Bericht zu erstatten zu der Frage, wie die Verwendung von Haushaltsmitteln für problematische Projekte verhindert werden kann.

Die Anwendung der Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) zum Erkennen von Antisemitismus wird im Text ausdrücklich bekräftigt. Die Bundesregierung wird aufgefordert, auch Bund und Länder zur Übernahme der IHRA-Definition zu bewegen.

Die Entscheidung für die IHRA-Definition ist im aktuellen Entwurf eindeutig.

Zu Beginn der Verhandlungen soll auch die alternative Definition »Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus« ins Spiel gebracht worden sein, wie die Jüdische Allgemeine erfuhr. Diese misst dem israelbezogenen Antisemitismus deutlich weniger Bedeutung zu. Die Entscheidung für die IHRA-Definition ist im aktuellen Entwurf jedoch eindeutig.

Nicht enthalten ist dagegen die Forderung nach der Verankerung einer Staatszielbestimmung zum Kampf gegen Antisemitismus und zur Förderung jüdischen Lebens im Grundgesetz. Brandenburg hatte vor zwei Jahren eine solche in seine Landesverfassung aufgenommen.

Volker Beck schreibt einen Brief

Für den früheren Grünen-Bundestagsabgeordneten Volker Beck geht der aktuelle Entwurf nicht weit genug. Der heutige Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft wandte sich vor kurzem in einem elfseitigen Schreiben an seine ehemaligen Fraktionskollegen. Mit den Kritikern der geplanten Entschließung geht er darin hart ins Gericht und wirft ihnen vor, einen Popanz aufzubauen: »Kräfte in den beteiligten Fraktionen, die konkretem präventiven oder repressiven Handeln gegen Antisemitismus kritisch gegenüberstehen, haben offensichtlich gezielt Journalist:innen und Aktivist:innen mit den Entwürfen aufmunitioniert, um mit einer Medienkampagne voller aufgebauschter Strohmänner nicht nur jedes konkrete Handeln gegen Antisemitismus zu diskreditieren, sondern zu Fall zu bringen«, schrieb Beck.

Ihm sei von dieser Seite aber »kein einziger konkreter Vorschlag zur Stärkung jüdischen Lebens oder zur Bekämpfung von Antisemitismus« zur Kenntnis gelangt. Seine Parteifreunde – in deren Reihen einige der genannten Kritiker sein dürften – forderte Beck auf, mit dem interfraktionellen Antrag nicht hinter die BDS-Resolution von 2019 zurückzufallen.

»Für eine weitere Betroffenheitskaskade mit wertlosen und kontrafaktischen Beteuerungen, etwa dass in Deutschland trotz steigenden antisemitischen Taten kein Platz für Antisemitismus sei, besteht kein Bedarf.« Der Wert der Resolution bemesse sich an den konkreten Handlungsschritten und -aufträgen an die Bundesregierung.

Irritation beim Präsidenten des Zentralrats

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, zeigt sich von der Diskussion über den Resolutionsentwurf irritiert. »Wir sollten in diesem Land doch einen Konsens darüber haben, dass antisemitische und verfassungsfeindliche Personen oder Organisationen nicht mit Steuergeldern gefördert werden«, sagte er auf Anfrage. »Mir ist bewusst, dass nicht alles direkt verboten werden kann, muss oder sollte, aber ein Recht auf Förderung gibt es meines Wissens nicht.«

Schuster findet es »unerklärlich«, dass die fraktionsübergreifende Resolution gegen Antisemitismus nicht schon längst zustande gekommen ist. »Es bleibt zu hoffen, dass die parlamentarische Sommerpause auch eine Zeit der Besinnung sein wird«, sagt er.

Auch der Vorstand der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD) forderte die Politik auf sich zu einigen. In der Bundestagsresolution müsse zum Ausdruck kommen, dass der Kampf gegen Antisemitismus »heute auch ein Freiheitskampf ist, der das Handeln der ganzen Gesellschaft erfordert. Darüber sollte doch ein breiter politischer Konsens herrschen und wir erwarten, dass sich die Fraktionen endlich darauf einigen«, so der ORD-Vorstand in einer Stellungnahme für die Jüdische Allgemeine.

Ob sich diese Hoffnung erfüllt oder nicht, dürfte sich bald zeigen. Bis Ende dieser Woche wollen sich die Unterhändler der Fraktionen auch über die strittigen Punkte verständigt haben. Noch im Frühherbst soll die Entschließung im Bundestag verabschiedet werden. So zumindest der Plan.

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