Ich bin entsetzt», sagt Ernst Kahl. Der Künstler hat durch Anrufer erfahren, dass eine seiner Zeichnungen am Dienstag in der «Süddeutschen Zeitung» in einem Kontext erschienen ist, der Dieter Graumann von «fast schon ›Stürmer‹-Niveau» sprechen lässt. «Ich bin absolut schockiert», so der Zentralratspräsident, «dass in einer so renommierten und seriösen Zeitung wie der SZ offenbar derart fahrlässig mit Ressentiments gespielt wird. Es wundert mich sehr, wie es möglich ist, dass antisemitische Assoziationen hier so leichtfertig zugelassen werden.»
dämon Das Bild zeigt ein bösartiges Monster mit Raffzähnen und Hörnern, Messer und Gabel in der Hand. Dazu heißt es in der Bildunterschrift unter anderem: «Deutschland serviert. Seit Jahrzehnten wird Israel, teils umsonst, mit Waffen versorgt. Israels Feinde halten das Land für einen gefräßigen Moloch.»
Illustriert wird mit der Zeichnung eine Doppelrezension zweier Bücher über Israel, Peter Beinarts Die amerikanischen Juden und Israel. Was falsch läuft und Werner Sonnes Staatsraison? Wie Deutschland für Israels Sicherheit haftet. Überschrieben ist der Text von Heiko Flottau mit «Der Niedergang des liberalen Zionismus».
Flottaus Rezension ist sachlich. Doch die Bebilderung gibt seinem Text einen Drall ins offen Antisemitische. Dafür kann der Autor nichts. Der Zeichner noch weniger. Das Bild, das hier Israel dämonisiert, wurde ursprünglich für die Zeitschrift «Der Feinschmecker» gezeichnet. Die Süddeutsche Zeitung, erklärt Ernst Kahl, hat einen Fundus seiner Bilder, aus dem sie sich immer wieder für Illustrationen bedient. Ohne Rücksprache, wie er betont: «Ich wäre gern vorher gefragt worden. Dann hätte ich mit Sicherheit Nein gesagt.»
effekt Ohne Ernst Kahls Illustration wäre an dem Text von Heiko Flottau nichts auszusetzen. Und ohne dessen Text wäre Kahls Bild harmlos. Erst in der Kombination von beiden plus der Bildunterschrift entsteht der bewusst bösartige Effekt, der an schlimmste, in Konsequenz mörderische antijüdische Hetze erinnert. Zu verantworten hat das allein die Redaktion der Süddeutschen Zeitung, in deren Ressort «Das politische Buch» Text und Zeichnung erschienen sind.
Die zuständige Redakteurin, Franziska Augstein, ist sich allerdings keiner Schuld bewußt: «Ernst Kahls gehörntes, hungriges Monster hat mit den antisemitischen Klischees nichts zu tun», schrieb sie auf Süddeutsche.de. Immerhin: «Nachdem das Bild aber zu Missverständnissen geführt hat, wäre es besser gewesen, ein anderes zu wählen.»
Am Mittwoch distanzierte sich die Redaktion der Süddeutschen Zeitung offiziell: «Die Veröffentlichung der Zeichnung in diesem Kontext war ein Fehler», hieß es in einer Stellungnahme.
Presserat Inzwischen forderte das American Jewish Committee (AJC) den Deutschen Presserat dazu auf, die Süddeutsche Zeitung für die Kombination von Bild und Bildunterschrift zu rügen. «Es ist skandalös, dass eine große deutsche Zeitung sich einer jahrhundertealten antisemitischen Bildsprache bedient. Diese Verknüpfung antisemitischer Stereotype mit der Politik der israelischen Regierung trägt zum Hass gegenüber Juden und Israelis bei», erklärte die Direktorin des AJC Berlin Ramer Institute, Deidre Berger.
«Solche hasserfüllten Darstellungen verletzten die Grundwerte unserer Demokratie. Es ist schockierend, dass eine führende deutsche Tageszeitung eine Zeichnung veröffentlicht, die Israel als gieriges blutrünstiges Monster darstellt. Damit beschwört die Zeichnung primitive Stereotype von Juden und bedient den Nazi-Mythos, dass Juden für ihr eigenes Unglück selbst verantwortlich seien», so Berger weiter.
Israels Botschafter in Deutschland Yakov Hadas-Handelsman wandte sich mit einem Brief an SZ-Chefredakteur Kurt Kister, in dem er das Vorgehen der Zeitung scharf kritisierte. In einem Facebook-Post der Botschaft hieß es: «Wir nehmen zur Kenntnis, dass die Süddeutsche Zeitung mittlerweile zustimmt, dass eine derartig dämonisierende Darstellung Israels als ›gefräßigen Moloch‹ in Bild und Text nicht mit Israelkritik in Zusammenhang gebracht werden darf.»
Die SZ-Redaktion bedauerte ihrerseits «die verursachten Missverständnisse».