Zur kaum noch überschaubaren Zahl dschihadistischer Gruppen, die im Nahen Osten agieren, ist jüngst eine weitere hinzugekommen – hinter der allerdings ein alter Bekannter steckt.
Im März stellten iranische Medien die »Brigade zur Befreiung des Golan« vor, eine Spezialeinheit der Harakat Hezbollah al-Nujaba, einer schiitisch-irakischen Miliz unter dem Kommando des Iran, die beim Fototermin in Syrien, passenderweise nahe der israelischen Grenze, von General Mohammad Reza Naghdi, einem General der Basiji-Miliz, vertreten wurde.
militärpräsenz Eine gezielte Provokation, auf die Benjamin Netanjahu reagieren musste. Doch die Aussage des israelischen Ministerpräsidenten, dass Israel kein Friedensabkommen akzeptieren kann, das »dem Iran und seinen Stellvertretern eine Militärpräsenz in Syrien« gewährt, dürfte den russischen Präsidenten Wladimir Putin, mit dem er sich zuvor getroffen hatte, wenig beeindruckt haben.
Russlands Luftwaffe war dem trotz iranischer Unterstützung in die Defensive geratenen Regime Baschar al-Assads im September 2015 zu Hilfe gekommen; seitdem kooperiert Russland mit den unter iranischem Kommando stehenden Truppen: Revolutionsgarden, Basiji, Hisbollah-Kämpfern sowie Milizen, die unter schiitischen Syrern, Afghanen und Irakis rekrutiert wurden. Anders wäre das geschwächte syrische Regime nicht zu halten. Schätzungsweise 30.000 Kämpfer unter iranischem Kommando stellen den Großteil der für Offensiven brauchbaren Bodentruppen, die im Städtekampf ohne Unterstützung russischer Bomber nicht weit kämen.
Die rote Linie, die Netanjahu tatsächlich erfolgreich ziehen kann, beruht auf der israelischen Luftüberlegenheit und dem Unwillen Putins, eine direkte Konfrontation zu riskieren. Israel behält sich militärische Reaktionen auf Angriffe von syrischem Territorium und die Bombardierung von Waffentransporten für die Hisbollah vor. Das gilt auch in unmittelbarer Nähe russischer Stellungen wie im März bei Palmyra.
Doch ob mit oder ohne Abkommen – die Iraner werden bleiben. Ein schnelles Ende wird dieser Krieg nicht finden. Das russische Militär ist auf groß angelegte Operationen fern der Landesgrenzen nicht vorbereitet. Entschiede sich Putin für eine umfangreichere Intervention, müsste er fürchten, dass der Einsatz, den er bislang als fast kostenloses Manöver (»Wir leiten einfach einen Teil unserer Ressourcen zu den Operationen in Syrien um«) verkauft, schnell zu einem unpopulären Krieg würde.
landesteilung Vergleichbare Probleme hat das iranische Regime: Die Kosten der Intervention erhöhen die Unzufriedenheit der Bevölkerung. Doch trotz der Risiken ist die Schaffung eines »schiitischen Korridors« zwischen Teheran und Beirut das zentrale außenpolitische Projekt des Regimes geworden. »Ethnische Säuberungen« belegen, dass dauerhaft Fakten geschaffen werden sollen. Die Schiiten, die anstelle vertriebener Sunniten nun zwischen Damaskus und der libanesischen Grenze angesiedelt werden, werden aus dem Norden geholt. Offenbar soll eine Teilung des Landes vorbereitet werden.
In einem Krieg, in dem zahlreiche Fraktionen und Interventionsmächte kämpfen, ist es jedoch fraglich, ob auf diese Weise eine auch nur vorübergehende Stabilität erreicht werden kann.
Putin scheint Syrien weiterhin als Bühne für seine geopolitischen Ambitionen nutzen zu wollen. Gleichzeitig kämpft die Türkei vor allem gegen kurdische Bestrebungen für Unabhängigkeit oder Autonomie, doch geriert sich Präsident Recep Tayyip Erdogan auch als neo-osmanischer Repräsentant der Sunniten. Dass die türkische Armee nun auch im Irak interveniert, ist kein gutes Zeichen.
Das iranische Regime hat hinreichend bewiesen, dass es seinen Verfassungsauftrag, die »Islamische Revolution« im Ausland zu verbreiten, ernst nimmt. Eine indirekte Herrschaft in Syrien zu konsolidieren, ist jedoch eine schwierige Aufgabe, für deren Bewältigung das dezimierte, demoralisierte, diskreditierte und nicht unbedingt dauerhaft loyale Personal der Diktatur Assads nicht ausreichen dürfte.
Israel In dieser Situation ist ein von proiranischen Milizen geführter Angriff auf Israel wohl zumindest eine Versuchung. Dass es zunächst »nur« um den Golan geht, dürfte eine Botschaft sein. Der Iran kann nun an einer zweiten Front angreifen, auch ohne die Hisbollah, deren Einsatz innenpolitische Konflikte im Libanon nach sich ziehen würde.
Eine solche begrenzte militärische Konfrontation würde die üblichen antiisraelischen Reflexe hervorrufen und die sunnitischen Staaten, vor allem die Türkei, in Verlegenheit bringen. Überdies wäre sie ein Signal an Russland, entweder einen erniedrigenden Rückzug antreten zu müssen oder zum Bündnis mit dem Iran zu stehen. Denn sollte es zu einem amerikanisch-russischen Bündnis kommen, ginge das auf Kosten der Ayatollahs.
Eine Abkehr vom Iran nämlich muss US-Präsident Donald Trump verlangen, wenn er sich mit Putin einigt, und wenngleich unklar ist, was die USA Russland dafür bieten könnten, schadet es aus iranischer Sicht wohl nicht, unmissverständlich klarzustellen, dass man keinesfalls freiwillig das Feld räumen wird.
Die nicht enden wollenden Chaostage im Weißen Haus tragen somit indirekt zur Unsicherheit bei. Auch bei Netanjahu dürfte die anfängliche Freude über den Regierungswechsel in den USA verflogen sein. Trump scheint letztlich die Syrienpolitik Barack Obamas fortzusetzen, sich also auf ein begrenztes US-Engagement gegen den IS beschränken und ansonsten den Kriegsparteien freie Hand lassen zu wollen.
baathismus »The devil we know« war immer die Leitlinie der israelischen Politik gegenüber dem baathistischen Regime der Assads: berechenbare Feinde, die immer wieder die Konfrontation suchten, aber seit 1973 die Eskalation vermieden. Der völkische arabische Nationalismus des Baathismus ist nun am Ende, seine Kader laufen im Irak zu den sunnitischen, in Syrien zu den schiitischen Islamisten über.
Der sunnitische Dschihadismus von IS und al-Qaida ist eine terroristische, auf absehbare Zeit aber keine existenzielle Gefahr für Israel. Der Iran hingegen agiert strategisch bedachter, geht allerdings an die Grenzen dessen, was die Ressourcen des Landes hergeben. Die Vorherrschaft des Iran ist fragil, dennoch muss sich das bereits von der Hisbollah bedrohte Israel auch an seiner zweiten Nordgrenze auf einen neuen und gefährlicheren Feind einstellen.