80 Jahre nach dem Massaker an Juden in Kiew hat die Babyn-Jar-Gedenkstätte eine erste Liste mit 159 Beteiligten an dem von Deutschen in der Ukraine verübten Verbrechen veröffentlicht. »Einige waren Schützen, andere holten die Juden aus ihren Häusern, andere nahmen ihre Habseligkeiten und ihr Gepäck«, sagte der Leiter des akademischen Beirats der Holocaust-Gedenkstätte, Patrick Desbois.
Die Täter seien aus ganz Deutschland und anderen von Hitler-Deutschland besetzten Ländern gekommen. Nur einige Offiziere wurden der Gedenkstätte zufolge nach Ende des Zweiten Weltkriegs verurteilt. »Die große Mehrzahl kehrte zu einem normalen Leben nach dem Krieg zurück«, hieß es in der Mitteilung. Historiker vermuten, dass niemand der Beteiligten mehr am Leben ist.
»Nur wenige dieser Männer wurden nach dem Zweiten Weltkrieg von der Justiz belangt«, erklärte Andrej Umansky, stellvertretender Leiter des Akademischen Rates der Gedenkstätte. Insgesamt wurden demnach fünf SS-Angehörige und ein Polizist zu Haftstrafen verurteilt, obwohl viele Täter nach dem Krieg ihre Beteiligung zugaben.
ZEUGENAUSSAGEN »An diesem Tag habe ich vielleicht 150 bis 250 Juden erschossen. Die ganze Erschießungsaktion verlief reibungslos. Die Juden ergaben sich in ihr Schicksal wie Schafe zur Schlachtbank«, heißt es in der Beschreibung des Massakers durch einen SS-Mann namens Viktor Trill, den die Gedenkstätte jetzt veröffentlichte. In der Beschreibung des SS-Offiziers August Hafner heißt es: »Die Juden lagen dicht beieinander, so dass der ganze Boden gefüllt war. Dann begann das Gleiche von neuem. Einige mussten sich auf die Leichen von Juden legen, die bereits tot waren. In zwei Tagen waren es sechs oder sieben Schichten.«
Die Zeugenaussagen offenbaren laut dem Leiter des Akademischen Rates der Gedenkstätte, Patrick Desbois, das Muster des Vorgehens. Eine Erschießungsschicht habe von morgens bis fünf Uhr nachmittags gedauert, in der Tausende und Abertausende erschossen wurden. »Von dort aus wurden die Soldaten zu Partys gebracht, wo ihnen Alkohol und Frauen serviert wurden«, so Desbois. Die Forschungen seien ein Signal für heute. »Wenn Sie heute an einem Völkermord oder einem Massenverbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt sind, werden Sie zur Rechenschaft gezogen.«
MASSENGRAB Am 29. und 30. September 1941 erschossen deutsche Einsatzgruppen aus Wehrmacht, Polizisten und SS-Männern 33.771 jüdische Bewohner des besetzten Kiews. Bis zur Befreiung durch die Rote Armee im November 1943 wurden in Babyn Jar (Altweiberschlucht) rund 100 000 Menschen ermordet, darunter Kriegsgefangene, Partisanen, Roma und geistig Kranke. Die Schlucht gilt als das größte Massengrab in Europa.
2016 war der Bau einer Holocaust-Gedenkstätte in Babyn Jar zur Erinnerung an die 2,5 Millionen ermordeten Juden in Osteuropa angekündigt worden. Wann die Arbeiten beginnen, ist unklar. In der Ukraine ist das Vorhaben umstritten. Nationalistische Kreise werfen dem Projekt vordergründig wegen russischer Geldgeber eine zu große Nähe zum Nachbarland vor. Sie befürchten, dass der Beteiligung von ukrainischen Helfern am Holocaust zu viel Raum gegeben werde.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier reist an diesem Mittwoch zur offiziellen Gedenkzeremonie zum 80. Jahrestag von Babyn Jar in die Ukraine. Dabei besucht er die Stadt Korjukiwka in der Nordukraine. Dort wurden bei der größten und brutalsten »Strafaktion« des Zweiten Weltkrieges durch die Deutschen 1943 knapp 7000 Menschen ermordet. dpa