Das Ausmaß des Leids der Sinti und Roma im Konzentrationslager Buchenwald ist nach Auffassung der Thüringer Landesregierung viel zu lange unbeachtet geblieben.
Fast 40 Jahre habe es gedauert, bis die an ihnen begangenen Verbrechen in der Bundesrepublik als Völkermord anerkannt wurden, sagte Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) beim Gedenken zum 78. Jahrestag der Befreiung des KZ am Sonntag in der Gedenkstätte bei Weimar. Buchenwald zwinge wie kaum ein zweiter Ort in Thüringen zu Scham und Demut im Angesicht der Menschheitsverbrechen, die dort im Namen einer verblendeten Rassenideologie begangen worden seien.
»Dass wir heute eine lebendige Erinnerungskultur zur NS-Terrorherrschaft pflegen, verdanken wir auch dem unerschütterlichen Engagement und Selbstbehauptungswillen der Sinti und Roma«, sagte der Ministerpräsident. Mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen hätten sie die lange bestehende Mauer des Schweigens durchbrochen und auf ihr Schicksal aufmerksam gemacht.
Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma rief die staatlichen Institutionen dazu auf, den Antiziganismus als Gefahr ernstzunehmen. In ganz Europa würden rechtsextreme sowie nationalistische Gruppen und Parteien offen gegen Rechtsstaat und Minderheiten hetzen, hieß es in der Rede des Zentralratsvorsitzenden Romani Rose. Weil Rose krankheitsbedingt nicht selbst teilnehmen konnte, wurde die Ansprache von seinem Stellvertreter Jacques Delfeld verlesen.
Der Zentralrat betonte, 2022 seien in Deutschland 145 Straftaten gegen Angehörige von Sinti und Roma erfasst worden. Es sei von einer hohen Dunkelziffer auszugehen. Daher habe der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma begonnen, eine bundesweite Melde- und Informationsstelle gegen Antiziganismus aufzubauen. »Die Erinnerung an die Geschichte des Nationalsozialismus ist eine wichtige Voraussetzung, um die Gefahren für unseren Staat rechtzeitig erkennen«, hieß es in Roses Rede.
Nach Angaben der Gedenkstätte spielen Weimar und Mittelbau-Dora neben Bergen-Belsen eine zentrale Rolle in der NS-Erinnerungskultur der Sinti und Roma. Alleine nach Buchenwald seien rund 3500 Sinti und Roma verschleppt worden, hieß es.
Dem Gedenken war ein gemeinsamer Rundgang über das Lagergelände vorangegangen, bei dem Vertreter der Zivilgesellschaft ihre Beträge zur Gedenkarbeit vorstellten. Der Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Jens-Christian Wagner, betonte die Bedeutung der Vereine und Initiativen für die weitere Erinnerungsarbeit. Bald werde der letzte Zeitzeuge verstorben sein, sagte er. Dann sei es umso wichtiger, dass das Gedenken an die NS-Verbrechen auch stärker von der Gesellschaft getragen werde. Nur noch elf hochbetagte Überlebende kamen zur diesjährigen Gedenkfeier.
Bei den Feierlichkeiten wurde auch eine Gedenktafel für die US-Armee enthüllt. Sie würdigt deren Leistungen in der Zeit nach der Befreiung Buchenwalds am 11. April 1945, als tausende völlig entkräftete Überlebende von den US-Soldaten versorgt wurden.